: Weltoffene Ämter
Immer mehr Einwanderer kommen nach Deutschland. Ihre Betreuung stellt deutsche Verwaltungen vor neue, unbekannte Herausforderungen
von ANGELIKA HENSOLT
„Wissen Sie, was das ist?“ – Barbara John, Ausländerbeauftragte des Landes Berlin, hält eine kleine Plastikkarte in die Luft. „Das ist eine Dolmetscherkarte aus Westaustralien.“ Mit Hilfe dieser Karte kann Einwanderern innerhalb kürzester Zeit ein Dolmetscher in ihrer Sprache vermittelt werden, erklärt John. Dieser dolmetsche dann bei Behördengängen und sorge dafür, dass sich Verwaltungsmitarbeiter und Migranten verständigen können.
Eine solche „Dolmetscher-Chipkarte“ gibt es in Deutschland nicht – obwohl 15 Prozent der Bevölkerung nichtdeutscher Herkunft sind und oft nur ungenügend Deutsch sprechen. Stattdessen herrscht im Umgang mit Einwanderern häufig Sprachlosigkeit in deutschen Verwaltungen. Für Brigitte Zypries, Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, ist das ein unhaltbarer Zustand: „Die Verwaltung ist der Dienstleister aller – auch der Zuwanderer.“ Die Mitarbeiter müssten Einwanderer bei der Integration unterstützen, dafür benötigten sie interkulturelle Kompetenz, fordert Zypries.
Diese Forderung nach interkultureller Kompetenz stellt die deutschen Verwaltungen vor völlig neue Herausforderungen. Albert Schmidt, Präsident des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, erlebt diese neuen Herausforderung am eigenen Leib. Bisher war seine Behörde meist zuständig für die Abschiebung von Migranten. Sobald das Zuwanderungsgesetz in Kraft tritt, wird sein Amt unter dem neuen Namen „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ auch für die Integration der Einwanderer zuständig sein. „Wie soll ich meine 2.500 Mitarbeiter für diese neuen Herausforderungen öffnen?“
Nicht nur Albert Schmidt stellt sich diese Frage. Die meisten deutschen Behörden stehen momentan vor ähnlichen Problemen: Viele Mitarbeiter sind mit den besonderen Problemen und Bedürfnissen der Migranten überfordert. Es fehlt an qualifizierten Beamten, die sich auf die spezielle Situation der Einwanderer einstellen können. Unachtsamkeit, mangelnde Sensibilität und Inkompetenz in interkulturellen Fragen beherrschen den Behördenalltag im Umgang mit Migranten. Die Folge: Die Migranten fühlen sich missverstanden, diskriminiert und ziehen sich zurück.
Deutschland ist inzwischen zwar ein Einwanderungsland, aber noch lange kein Integrationsland. Genau das muss es aber werden, wenn „wir auch künftig erfolgreich sein wollen“, glaubt Barbara John.
Was also ist zu tun? Interkulturelle Öffnung heißt das Zauberwort. Wie diese Öffnung vonstatten gehen kann, formuliert der Berliner Publizist Warnfried Dettling: Vor allem müssten integrationspolitische Aspekte in die Personalentscheidungen einfließen. Das heißt, befördert wird der, der sich durch interkulturelle Kompetenz auszeichnet. Außerdem müssten die Einwanderer selbst eine aktive Rolle übernehmen und bei der Integration neuer Migranten eingebunden werden, fordert Dettling.
An diesem Punkt setzt auch Albert Schmidt an: Er will verstärkt Personal mit einem nichtdeutschen kulturellen Hintergrund einstellen. In Schulungen sollen seine Mitarbeiter außerdem „interkulturelle Kompetenz“ erwerben. Besonders die weiblichen Kolleginnen seien bereit, sich dieser neuen Herausforderung zu stellen, betont er.
Übrigens: Nicht nur Einwanderer machen eine interkulturelle Öffnung notwendig. Publizist Dettling weist darauf hin, dass Deutschland auch ohne einen einzigen Migranten „multikulti“ wäre. Es gebe so viele Minderheiten, dass diese in der Mehrheit seien. Und mit dieser Vielfalt und Differenz müsse die Gesellschaft umzugehen lernen.
Das Modellprojekt Transfer interkultureller Kompetenz (TiK) entwickelt Strategien zur interkulturellen Öffnung von Regeldiensten der sozialen Versorgung und erprobt diese in 7 Städten der Bundesrepublik. Tik verbindet die Weiterbildung von BeraterInnen sozialer Dienste mit einer Organisationsberatung am Arbeitsplatz. Ziel sind die interkulturelle Öffnung der Institutionen und die Stärkung der interkulturellen Beratungskompetenz der KursteilnehmerInnen.Tik, Oranienstr. 34, 10999 Berlin, Tel. (0 30) 61 65 15 90, Fax (0 30) 61 65 15www.tik-iaf-berlin.de
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