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Die nationale Pisa-Studie ist Munition im Wahlkampf. Ihre Ergebnisse interessieren kaum

von CHRISTIAN FÜLLER

Der Kandidat war schnell bei der Hand mit seiner Interpretation. Als am Samstag erste Ergebnisse des nationalen Pisa-Schultests durchsickerten, triumphierte Edmund Stoiber. Die von der Union regierten Länder machten halt die bessere Bildungspolitik, sagte der Kanzlerkandidat von CDU und CSU.

Stoiber hat gut reden. Bayern und Baden-Württemberg liegen bei dem ersten Schulvergleich der Bundesländer angeblich auf Platz eins und zwei. Zu den Schlusslichtern zählen das Saarland und Bremen. Die Pisa-Wissenschaftler und die Kultusminister dementierten zwar gestern fleißig. Es werde versucht, „eine Rangfolge unter den Ländern zu erfinden“, lautete die Stellungnahme der Kultusministerkonferenz. Die authentische Pisa-Studie werde aber erst am 27. Juni veröffentlicht. Dennoch kam es, wie es kommen musste. Das „Programme of International Students Assessment“, kurz Pisa, hat hierzulande eine ganz andere Funktion als im Rest der Welt: den politischen Streit zu nähren, anstatt pädagogische Informationen zu liefern.

Der CDU-Ministerpräsident des Saarlands, Peter Müller, etwa wies gestern sofort alle Verantwortung für seine schlechten Schulen weit von sich. Die SPD sei schuld, das Abschneiden sei die Abschlussbilanz einer miserablen sozialdemokratischen Bildungspolitik, so Müller wörtlich in der Welt am Sonntag. Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jörg Tauss, keilte prompt zurück. Der Vergleich der Bundesländer sei „in dieser Form lächerlich“. Das klang verdächtig nach der Post-Pisa-Sprachregelung, an der einige SPD-regierte Länder seit einigen Wochen basteln, um ihr Schulversagen herunterzureden.

Mit Pisa sollen die Deutschen zum ersten Mal einen umfassenden Überblick über ihre Schulen bekommen. Im vergangenen Dezember hatten die Ergebnisse der Studie „Pisa International“ das Land geschockt – die Dichter und Denker rangierten in der Lesefähigkeit im unteren Mittelfeld von 32 verglichenen Nationen. Nun steht mit „Pisa E“, einer erweiterten Paralleluntersuchung für die Bundesrepublik (s. unten), der erste Vergleich der Schulsysteme der Bundesländer an – und wieder droht größter anzunehmender Unmut.

Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Eva-Maria Stange, hat die Politik bereits vorsorglich gewarnt. Die innerdeutschen Ergebnisse von Pisa sollten nicht „für Parteiengezänk und Wahlkampf auf den Rücken der Kinder herhalten“. Stange forderte alle Parteien auf, sich „für eine große Schulreform in Deutschland die Hand zu reichen“. So weit wird es wohl nicht kommen. Pisa ist längst Wahlkampfthema – und die Resultate vom Samstag eignen sich auch bestens dafür.

Bislang ist nicht etwa die differenzierte Ausarbeitung der Studie bekannt geworden, sondern eben nur eine Reihenfolge. Und die lässt sich wunderbar entlang von Parteigrenzen lesen: Mit Abstand an erster Stelle rangiert danach Bayern (CSU-regiert), gefolgt von Baden Württemberg und Sachsen (beide CDU-regiert). Nur Rheinland-Pfalz (SPD-regiert) spielt oben mit, heißt es, das bevölkerungsreichste und wichtigste Bildungsland Nordrhein-Westfalen (SPD-regiert) sei erst im Mittelfeld zu finden. Am Ende des Rankings stehen Mecklenburg-Vorpommern, das Saarland, Sachsen-Anhalt und Bremen – zwei der neueren Bundesländer und zwei Bundesländer, die lange Jahre von der SPD beherrscht wurden.

Die Erziehungswissenschaftler hatten mit dem übereilten (Miss-)Interpretieren der Pisa-Ergebnisse gerechnet. Die bange Frage, die fast alle Experten umtreibt, stellte der Essener Bildungsökonom Klaus Klemm vor wenigen Tagen: „Was passiert nur am D-Day?“ Wahrscheinlich wenig Gutes. Und tatsächlich starrt die Öffentlichkeit nach der jetzt bekannt gewordenen Rangliste nur noch auf den Tabellenplatz. Dahinter stehende Fragen nach dem Wie und Warum einer guten Schule interessieren kaum jemanden.

Etwa die, ob es einzelnen Bundesländern gelingen würde, den engen Zusammenhang von sozialer Herkunft und Schülerleistung aufzubrechen. Bei Pisa International hatte sich gezeigt, dass die Deutschen nur auf diesem Feld Spitzenleistungen vollbringen: Die Verkäuferstochter geht danach mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Hauptschule, der Professorensohn fast zwangsläufig ins Gymnasium.

Oder die Fragen, ob in den Bundesländern die Abstände zwischen den guten und den schlechten Schülern genauso so krass ausfallen wie bei Pisa International? Wie im Einzelnen die Ergebnisse in den niedrigen Schulformen wie Haupt- oder Gesamtschule ausfallen? Dass diese Themen kaum Widerhall finden, ist allerdings kein Zufall, sondern eine sorgfältig geplante Strategie.

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Dagmar Schipanski, etwa rätselt seit Monaten, wie man nur darauf kommen könne, dass der Pisa-Ländervergleich instrumentalisiert werde. Die notorische Naivität der CDU-Politikerin korrespondiert freilich mit der kalten Berechnung ihres Generalsekretärs Erich Thies. Thies ist nicht der neutrale Verwaltungschef der KMK, sondern selbst CDUler – und ein ausgebuffter Politprofi. Er hat seinen Anteil daran, dass die fleißigen Pisa-Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung das denkbar dümmste Datum für die Veröffentlichung eines nationalen Schulvergleichstests akzeptiert haben: Kurz vor einer Bundestagswahl.

Noch nie gab es in Deutschland einen Leistungsvergleich von Schulen. Der Kulturföderalismus, der doch angeblich so viel produktiven Wettbewerb schafft, hat sich darum stets gedrückt. Nun aber wollen alle schnell noch vor der Wahl wissen, welches Land die vermeintlich besten Schulen hat. Und wer Recht hatte im Kulturkampf um die Schulen Ende der 60er-Jahre, CDU oder SPD. Dass es nicht etwa um eine Bundesliga der Schulen geht, ist dabei völlig aus dem Blickfeld geraten. Die Frage, die der nationale Pisa-Vergleich beantwortet, so konstatiert Klaus Klemm nach dem bescheidenen Abschneiden der Deutschen bei Pisa International, ist diese: „Welches Bundesland wird Erster in der zweiten Liga?“

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