: Geldloch behindert Movado
Wie gut öffentliche Einrichtungen in Berlin für Behinderte nutzbar sind, hat das Projekt Movado ermittelt. Die weltweit einzigartige Datenbank wird wahrscheinlich in 10 Tagen geschlossen
von CHRISTOPH SCHULZE
Der Umfang der Daten ist überwältigend: Sage und schreibe 50.000 öffentliche Einrichtungen haben die Mitarbeiter des Berliner Vereins „Movado – Projekt Barrierefreies Leben“ abgeklappert. Mit Hilfe von Zollstock und Wasserwaage wurde vermessen, um einzuschätzen, ob die Einrichtungen auch von Menschen mit Behinderungen problemlos genutzt werden können. Ist die Tür zum Hotelzimmer breit genug für einen Rollstuhl? Führt eine Rampe in das Becken des Schwimmbades? Sind die Schalter am Fahrstuhl in richtiger Höhe angebracht?
In ihrer Detailtiefe ist die Datenbank weltweit einzigartig und gilt als vorbildlich. 160 Anfragen bearbeiten die Mitarbeiter von Movado (Esperanto für Mobilität und andauernde Bewegung) täglich übers Internet, telefonisch oder über die Post.
Doch kurz vor seinem zehnten Geburtstag droht dem Projekt das Aus. „Wenn kein Wunder geschieht, können wir Ende des Monats dichtmachen“, informierte gestern Projektleiterin Irina Pfützenreiter. Der Grund: Die letzten 12 ABM-Stellen laufen dann ersatzlos aus und die Finanzierung der 21 Angestellten geht ebenfalls zu Ende. Wenigstens 120.000 Euro seien notwendig, um den Betrieb bis Jahresende aufrechtzuerhalten, so Pfützenreiter. Die gestrige Sitzung des Hauptausschusses im Abgeordnetenhaus war die letzte Chance vor der Sommerpause, den schon oft verhandelten Fall Movado zu klären. Bis Redaktionsschluss lag noch kein Ergebnis vor. Bei Movado ist man wenig optimistisch, in einer Mitteilung heißt es: „Wir stellen uns darauf ein, am 28. Juni, dem letzten Arbeitstag, Movado zu Grabe zu tragen.“
Die Datenbank gibt es seit 1993, sie wurde aber erst in letzter Zeit mit Details aufgefüllt und für Laien lesbar gemacht. Die begutachteten Einrichtungen wurden von Movado benotet: Eine 1 gibt es für Einhaltung der strengen DIN-Normen, 2 steht für rollstuhlgeeignet, 3 für bedingt rollstuhlgeeignet und so weiter. In anderen Städten seien Behinderte auf oft fehlerhafte oder beschönigende Angaben der Betreiber angewiesen, wenn sie etwa auf der Suche nach einem Hotelzimmer sind.
Neben dem direkten Nutzwert für Behinderte lassen sich an der Datensammlung auch die Schwächen der Berliner Infrastruktur feststellen. So gibt es in der gesamten Stadt keine orthopädische Praxis, die nach DIN-Normen rollstuhlgerecht ist. Auch die Zahl der rollstuhlgerechten Restaurants mit passendem Klo schockiert: null.
Ein zweites Standbein von Movado bildet das Angebot zur Unterstützung von Architekten und Planern bei Bauvorhaben. Berlins Behindertenbeauftragter Martin Marquard lobt die „sehr kompetente Bauberatung im Sinne von Barrierefreiheit“. Die Belange Behinderter würden nämlich auch bei ehrgeizigen Neubauten wie am Potsdamer Platz oder in den Hackeschen Höfen nur unzureichend berücksichtigt, kritisierte Movado in der Vergangenheit stets.
Die Arbeit der Initiative stützte sich von Beginn an vor allem auf ABM- und SAM-Kräfte. Dadurch war es immer nur temporär abgesichert. Dieses Jahr werden die Maßnahmen endgültig nicht mehr verlängert, 16 ABMler mussten im Laufe des Jahres schon gehen. In Spitzenjahren standen Movado bis zu 80 Stellen zur Verfügung. Nur so ließ sich die enorme Anzahl von Begutachtungen durchführen. „Alle zwei Jahre müssen die Einrichtungen erneut von uns unter die Lupe genommen werden“, schätzt Irina Pfützenreiter ein, „sonst entgehen uns Umbauten und die Datensätze veralten.“
Diesen Standard aufrechtzuerhalten, wird wohl nicht gelingen, egal was die Sitzung des Hauptausschusses beschloss. Die insgesamt 1,5 Millionen Euro, die Movado für die kommenden eineinhalb Jahre beantragte, werden schwerlich zusammenkommen.
Der Tag der offenen Tür am 28. Juni wird also vielleicht gleich die Abschiedsfeier für Movado sein. Von 12 bis 15 Uhr kann man sich dann in den Movado-Büros in der Langhansstraße 64 in Weißensee über die Arbeit des Vereins informieren. Die Datenbank ist im Internet unter www. movado.de/mobidat abrufbar.
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