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Ein Flaggschiff streicht die Segel

Nach der englischen Ausgabe und der Beilage „Bilder und Zeiten“ werden nun zum 1. Juli die „Berliner Seiten“ der „FAZ“ eingestellt – das Aus ist nur der erste Schritt in einem ganzen Katalog aus Sparmaßnahmen für die gesamte Verlagsgruppe

von ARNO FRANK

Es war Frank Schirrmachers ehrgeizigstes Projekt. Entsprechend salbungsvolle Worte fand der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), als die baldige Grablegung seines Kindes bekannt wurde: „Das ist ein trauriger Tag für uns alle. Die Berliner Seiten waren ein Paradebeispiel für neuartigen Hauptstadtjournalismus. Aber die wirtschaftlichen Zwänge erfordern Maßnahmen. Jetzt wird der Geist der Berliner Seiten im Feuilleton aufgehen.“ So wie der Geist Preußens – auch so ein Lieblingsthema der FAZ – in Deutschland aufgegangen ist?

Nicht ganz, denn das FAZ-Feuilleton selbst ist schon im Frühjahr aus „wirtschaftlichen Zwängen“ arg gerupft, ein geplanter Umzug nach Berlin kurzfristig storniert worden. Und nun wird weiter eingedampft, um ein weiteres Drittel der Belegschaft. Zugleich sollen die Sonderseiten „Style“, „Phono“ und vielleicht auch „Film“ gestrichen werden. Das Sparprogramm – für dessen Durchsetzung sogar Aufsichtsratmitglied Wolfgang Bernhardt vorübergehend in die Geschäftsführung berufen wurde – sieht insgesamt betriebsbedingte Kündigungen „im unteren dreistelligen Bereich“ vor. Bei rund 1.400 Mitarbeitern, darunter 450 Redakteuren, könnten dem Sparprogramm dieses und nächstes Jahr zwischen 100 und 500 Arbeitsplätze zum Opfer fallen; intern wird die Zahl der Kündigungen vorsichtig auf 200 geschätzt.

Ein Auslöser für die drastischsten Maßnahmen in der Geschichte der Zeitung ist der kollabierte Anzeigenmarkt: Hatte die FAZ GmbH im Jahre 2000 noch einen Gewinn von 33 Millionen Euro erwirtschaftet, klaffte Ende 2001 ein Loch von 27 Millionen – ohne Aussicht auf Erholung der Lage. Und das, wo die Frankfurter im Gefecht mit der Süddeutschen Zeitung (SZ) um Diskurshoheit lieber klotzen als kleckern. Ein FAZ-Businessradio leisten sie sich, eine Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) und ein Feuilleton mit wohlig dicker Personaldecke. Mit der Abschaffung von Dienstwagen für neue Redakteure (Kennzeichen: F-AZ) ist es da nicht mehr getan.

Merkwürdig nur, dass zunächst weder FAS noch Businessradio von den Einschnitten betroffen scheinen: Für das Radio, laut Schirrmacher „das Medium der Zukunft“, sollen neue Frequenzen gebucht werden. Und beim Prestigeobjekt FAS wähnt man sich noch in Sicherheit, weil es zu wenig Überschneidungen mit dem Mutterhaus gibt. Nur 15 Prozent der FAS-Leser greifen werktags zur FAZ. Bleiben also nur das hypertrophe Feuilleton, nunmehr auf SZ-Niveau gestutzt – und die „Berliner Seiten“.

Dort zeichnet sich das worst case scenario ab: Gehen müssen vier Redakteure, die ihren Vertrag noch nicht lange genug haben, und, zum 30. Juni, alle Pauschalisten. Insgesamt stehen damit rund 15 Journalisten einstweilen auf der Straße. Der ehemalige Leiter der Redaktion, Florian Illies, sprach davon, dass seine „Berliner Seiten“ ihren Zweck erfüllt hätten, jüngere Leser an das Blatt zu binden. Intern wird der Zuwachs auf etwa 2.000 zusätzliche Käufer geschätzt. Mehr seien nicht zu generieren, womit der Mohr tatsächlich seine Schuldigkeit getan hätte. Es dürfte Illies’ neue Aufgabe als Feuilleton-Statthalter in Berlin sein, diese „jungen Leser“ auch weiterhin der Zeitung zu erhalten. Ursprünglich waren ohnehin nur sechs Redakteure vorgesehen, es wurden mehr als zwanzig, und ursprünglich waren die „Berliner Seiten“ auch nur auf drei Jahre angelegt, wie der ehemalige Mitherausgeber Hugo Müller-Vogg der taz bestätigte – nun ist ein halbes Jahr früher Schluss.

„Der Geist der Berliner Seiten wird im Feuilleton aufgehen“, hatte Schirrmacher gesagt – und damit wohl Florian Illies gemeint, der ebendort weitermachen wird wie bisher. Ein Mitarbeiter der „Berliner Seiten“, der sich ab dem 30. Juni einen neuen Job suchen muss, kommentierte Schirrmachers blumige Worte gegenüber der taz trocken: „Schade nur, dass ich nicht auch im FAZ-Feuilleton aufgehen kann.“

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