Schweiz gegen Deutschland 2:1

Der Schweizer Nationalrat lehnt als Erstrat den Staatsvertrag über den Luftverkehr zwischen Deutschland und der Schweiz ab. Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) will bei endgültigem Scheitern eine einseitige Verordnung in Kraft setzen

von PHILIPP MÄDER

Es scheint, als hätten sich die Schweizer an eine ihrer nationalen Mythenerzählungen erinnert – den Kampf von Wilhelm Tell gegen Gessler, den Vogt, im Dienste des übermächtigen Auslands: Gestern lehnte der Nationalrat, die Volkskammer des schweizerischen Parlaments, den Staatsvertrag zwischen Deutschland und der Schweiz über die Regelung des Luftverkehrs ab. In der Parlamentsdebatte warf der Präsident der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), Ueli Maurer, der Regierung eine „unglaubliche Unterwürfigkeit“ gegenüber Deutschland vor.

Um den abgelehnten Staatsvertrag hatten deutsche und Schweizer Unterhändler drei Jahre lang hart gerungen. Dabei ging es hauptsächlich um die Länge der Ruhezeiten und die Zahl der Anflüge auf den Flughafen Zürich-Kloten, die über deutsches Hoheitsgebiet geführt werden dürfen. Bisher hatten die süddeutschen Gemeinden die Hauptlast vor allem des Lärms zu ertragen.

Die im Staatsvertrag festgeschriebene Zahl von maximal 100.000 Anflügen über deutschem Gebiet pro Jahr stellt einen Kompromiss dar, für den beide Regierungen von ihren ursprünglichen Forderungen abrücken mussten. Der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) lehnt den Vertrag ab, der ihm nicht weit genug geht.

Andere Stimmen aus dem vom Fluglärm am stärksten betroffenen Bundesland bedauern jedoch die jetzige Entscheidung der Schweiz. Karin Rehbock-Zureich, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Waldshut, sagte der taz, es sei nicht länger tragbar, dass Zürich die wirtschaftlichen Vorteile des Flughafens genieße, während Süddeutschland den Lärm abbekomme: „Die Ablehnung des Vertrags ist kein freundlicher Akt.“ Auch der baden-württembergische Verkehrsreferent des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Klaus-Peter Gussfeld, hatte sich mit dem Kompromiss abgefunden: „Den freundschaftlichen Beziehungen mit unseren Schweizer Nachbarn zuliebe wollten auch wir keine Maximalforderungen durchsetzen.“

Fragt sich, warum denn nun die Schweiz den Staatsvertrag ablehnte. Die Gründe dafür sind vor allem innenpolitische: Zum einen fürchtet die Schweiz, nach dem Niedergang der Swissair könnte nun auch ihr Flughafen zu einem Zubringer für München und Frankfurt verkommen. So schrieb der Zürcher Tages-Anzeiger gestern trotzig: „Die Schweiz hat Anspruch auf einen Hub.“ Zum andern fürchten die bürgerlichen Parteien, die den Vertrag im Gegensatz zu Sozialdemokraten und Grünen ablehnen, um ihre Klientel. Denn wenn die Flugzeuge nicht mehr über Deutschland anfliegen können, müssen sie die Route über das linke Zürichseeufer verlagern. Und an dieser privilegierten Wohnlage, der so genannten Goldküste, leben die finanzkräftigen Wähler dieser Parteien.

Deutschlands Verkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) geht nun aufs Ganze. Als Reaktion auf die Ablehnung des Vertrags will er bereits in dieser Woche die deutsche Flugsicherung anweisen, alle Vorbereitungen für die Rückübertragung der Luftraumkontrolle über deutschem Gebiet zu treffen. Zudem erklärte er, er werde den Flugverkehr über deutschem Gebiet mit einer einseitigen Rechtsverordnung regeln, die nur noch 80.000 Flugbewegungen zulasse, wenn der Vertrag an der Schweiz scheitere.

Endgültig nichtig wird der Vertrag aber erst dann sein, wenn im September auch der schweizerische Ständerat als zweite Parlamentskammer ein Nein verkündet. Dies ist wahrscheinlich, denn die bürgerlichen Parteien haben hier ein stärkeres Gewicht als im Nationalrat. Für den Fall, dass Bodewig seine Drohung wahrmacht, wollen die Swissair-Nachfolgerin Swiss und der Betreiber des Flughafens vor deutschen Gerichten und dem Europäischen Gerichtshof klagen.