: Stalin schenkt ein Lächeln
Ornament und Verzweiflung: Margaret Bourke-White war die erste Frau in der „Hall of fame“ der Reportagefotografie. Die c/o-Galerie zeigt noch dieses Wochenende eine Auswahl ihrer Arbeiten
von JANA SITTNICK
Es ist schon amüsant, wenn biografische Kleinigkeiten einen Lebensroman geschmeidiger machen sollen: Als Margaret Bourke-White ein Kind war, soll ihr der Vater eine Schreibmaschine gezeigt haben mit den Worten, das sei sein „Werk“. Das kleine Mädchen begeisterte sich für den Apparat. Die Lust an der Technik war entfacht, und was später kam, konnte nur logische Folge der frühen Initiation sein.
1904 in Cleveland geboren, katapultiert Bourke-White sich an die Spitze des amerikanischen Fotojournalismus der Dreißigerjahre. Vorher machte sie sich mit Architektur- und Industriefotografie einen Namen. In diesen Arbeiten zeigt die Fotografin riesige Produktionsanlagen. Sie nimmt eine Papierwalze so auf, dass die umgeschlagenen, schlaufenartig übereinander liegenden Papierbögen gleichmäßige Schatten auf den Untergrund des weißen Papiers werfen. Sie fotografiert die Rücken der Angestellten einer Poststelle in Chicago, Stahlarbeiterinnen in Indiana oder weiß bemützte „Karottenmädchen“ der Suppenfabrik „Campbell Soup Ltd“.
Die Aufnahmen vermitteln eine kunstfertig entrückte, fast kontemplative Stimmung. Doch dann kommt einem Marx in den Sinn, das Verhältnis der Produzenten zu den Produktionsmitteln und der Charakter kapitalistischer Ausbeutung. Da ist Bourke-White mit ihrer suggestiven Bildsprache, die das Produktionsmittel als Ornament abbildet, nicht mehr als eine talentierte Ingenieurstochter aus Ohio.
Das ändert sich, als sie 1930 zur ersten hauseigenen Fotoreporterin des von Time-Herausgeber Henry Luce neu gegründeten Magazins Fortune aufsteigt. Ihre Geschichten prägen fortan einen neuen Reportagestil, der die Fotografie aus dem „Schatten“ des Textes holt. Bourke-White beginnt sich für die Menschen hinter den Maschinen zu interessieren, und ihre Bilder bekommen Klarheit und Präsenz. Als Luce sechs Jahre später Life ins Leben ruft, bietet er ihr als einziger Frau einen Posten in seinem New Yorker Reporterstab an, und dazu die erste Titelstory des neuen Magazins. Bourke-White fährt nach Montana und fotografiert den Bau des Wasserkraftwerks von Fort Peck: Drei monumentale Betonpfeiler in konischer Form, die sich nach oben hin zu einem Dreizack öffnen. Darüber der Himmel. Ganz unten am Bildrand entdeckt man irgendwann, winzig, zwei Menschen.
Eindrucksvoll ist eine Aufnahme sozialen Elends von 1937. Sie zeigt Schwarze in Louisville, Kentucky, die vor einer Lebensmittelausgabe Schlange stehen. In ihren Gesichtern: Ärger, Verzweiflung, Lethargie. Hinter den Wartenden prangt ein obszönes Gute-Laune-Plakat, das mit dem amerikanischen Traum wirbt: Eine strahlende, weiße Mittelstandsfamilie fährt Ford, ein Slogan verspricht: „There’s no way like the american way – world‘s highest standard of living“.
In den späten Dreißigern erkundet Bourke-White den Lebensraum mexikanischer Indios, der Eskimos in Kanada und der Plantagenarbeiter in Brasilien. Ganz nah rückt die Fotografin hier an ihre Modelle heran und fängt das Leuchten der Menschen ein, ohne sentimental zu werden. 1941 reist Margaret Bourke-White als einzige westliche Ausländerin für Life nach Moskau. Sie porträtiert den pockennarbigen Stalin, der ihr ein väterliches Lächeln schenkt, sie nimmt die nächtlichen Bombardements Moskaus auf und die Menschenschlangen vor dem Leninmausoleum auf dem Roten Platz. Sie ist als Kriegskorrespondentin in Italien und bei der Landung der Alliierten in Nordafrika dabei. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fotografiert Margaret Bourke-White zerstörte deutsche Städte, auch Hermann Göring in Wannsee. Im KZ Buchenwald fotografiert sie Leichenberge und Überlebende.
Trotz ihrer Parkinson-Erkrankung arbeitet Margaret Bourke-White bis in die Sechzigerjahre für Life an Brennpunkten der Welt. Sie fotografiert Gandhi in Indien, Minenarbeiter in Südafrika, geschwungene Ackerfurchen in Colorado und amerikanische Kampfbomber.
Mit fortschreitender Lähmung wird es ihr immer schwerer, die Kamera zu bedienen. 1971 stirbt sie an den Folgen ihrer Krankheit in Connecticut. Ihr eindringlicher, klarer Stil prägte die Reportagekultur des 20. Jahrhunderts. In der „Hall of fame“ der Fotografie steht sie ganz dicht neben Cartier-Bresson, Capa und Eisenstaedt.
„Margaret Bourke-White“, noch heute und Sonntag, 12 bis 20 Uhr, bei c/o Berlin, Linienstraße 144, Mitte
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