: Vorm Fernseher sind alle gleich
Im Amerikahaus herrscht während des WM-Viertelfinales große Eintracht zwischen deutschen und US-Fans. Die Amis behalten ihre gute Laune: „Maybe next time!“
Die deutsch-amerikanische Freundschaft funktioniert. Zumindest im Amerikahaus am Bahnhof Zoo, wo gestern knapp 200 geladene Gäste, darunter US-Botschafter Dan Coats, das Viertelfinalspiel USA–Deutschland verfolgten. Gleich am Eingang, direkt hinter dem gründlichen Sicherheitscheck, liegen Papierfähnchen zum Mitnehmen – Schwarz-Rot-Gold und Stars and Stripes – auf gleich großen Haufen. Und wie durch ein Wunder gehen beide Flaggen gleich gut weg, die meisten Gäste greifen sich von jedem Stapel eine.
Richtige Fußballstimmung kommt allerdings selten auf. Der schmale Fernseher, der rechts von einer deutschen und links von einer US-amerikanischen Fahne flankiert wird, hängt viel zu tief, so dass die meisten Zuschauer zwischen den Köpfen ihrer Vorderleute hindurchgucken müssen, um eine Spielszene zu verfolgen – falls sie sich überhaupt dafür interessieren. Dass die US-Spieler in den ersten 20 Minuten richtig Druck machen und in der 18. Minute beinahe in Führung gehen, provoziert höchstens ein leichtes Raunen im Saal. Die meiste Unruhe entsteht immer dann, wenn am Barbecue-Stand Nachschub geliefert wird. Burger, Hotdogs und Kartoffelsalat gehen weg wie warme Semmeln. Am Getränkestand wird sehr unamerikanisch am frühen Nachmittag das erste Bier gezapft und den Gästen die sehr amerikanische Wahl zwischen Coca-Cola und Pepsi gelassen.
Wie nebenbei kommt alles, wie es kommen musste: Michael Ballack macht per Kopf das erste Tor für Deutschland, die deutschen Fans jubeln, und das böse Wort „fuck“ rutscht keinem der sehr höflichen Amis über die Lippen. Dann ist Halbzeit, in der der Mann an der Fernbedienung ein Einsehen hat: dem Soccer-Talk mit Jürgen Klinsmann wird der Ton abgedreht, statt dessen läuft Rock ’n’ Roll.
Nach der Halbzeitpause dauert es eine Weile, bis alle merken, dass es weitergeht. Erst als Torsten Frings einen Schuss von Gregg Berhalter auf der Linie abwehrt, sind alle plötzlich hellwach, sehen, wie die US-Mannschaft nach und nach besser ins Spiel kommt und auf den Ausgleich drängt. „Wir dürfen uns nicht so hinten reinstellen“, flucht ein Deutscher, der am Jackett ein deutsch-amerikanisches Freundschaftsabzeichen trägt. Sein amerikanischer Freund versteht nicht ganz, was er meint. Aber immerhin kommt jetzt, wenn die Amis vor Oliver Kahns Tor in Schussposition geraten, so etwas wie Aufregung auf. Als kurz vor Schluss Anthony Sanneh fast den Ausgleich erzielt, aber nur ans Außennetz köpft, kreischt eine Amerikanerin sogar kurz auf.
„Congratulations, make Germany go all the way“, gratuliert ein Amerikaner direkt nach dem Abpfiff seinen deutschen Bekannten. Lange Gesichter jedenfalls sind nicht zu sehen, über Soccer wird bald nach dem Spiel kaum noch geredet. Fast hat kriegt man den Eindruck, die Amis seien froh, dass der Nachmittag ohne Verlängerung zu Ende gegangen ist. Nur ein schwarzer Wachmann sagt, er sei „a little bit sad“. Aber er wäre kein Amerikaner, wäre er nicht schier grenzenlos optimistisch. „Maybe next time.“ See you in Germany!
RICHARD ROTHER
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