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Häutungen bis zur Kenntlichkeit

Ausgeprägter Anti-amerikanismus und-zionismus treten deutlicher zutage

von HEIDE PLATEN

Ein strammer Nationalist, ein gottesfürchtiger Burschenschafter, in die Jahre gekommen, grau geworden in einer Kontinuität des Denkens und Handelns, die Brüche nicht zulassen will. Der Berliner Rechtsanwalt Horst Mahler (66) lässt sich vieles schimpfen, ein Faschist ist er nicht, noch nicht, vorerst wohl auch kein alter Nationalsozialist, kein neuer Neonazi. Horst Mahler, im Jahr 2000 in die Nationaldemokratische Partei Deutschland (NPD) eingetreten, changiert vor braunem Hintergrund wie ein Chamäleon. Das macht ihn so gefährlich. Denn Mahler trifft den Nerv der Zeit, rückwärts, mit festem Blick, fast 200 Jahre in die Vergangenheit gewandt, auf die Höhe des deutschen Idealismus.

Das wirft nur deshalb Fragen auf, weil dieser Horst Mahler sich erst seit 1997 rechts definiert. Vorher war er eine geraume Weile beinhart links, war seit 1970 Vordenker und -schreiber der Rote Armee Fraktion (RAF), die den bewaffneten Kampf in Europa propagierte und Anfang der Siebzigerjahre zum Waffengang gegen den Imperialismus schritt. Noch heute klingt seine Stimme stolz, wenn er sagt: „Ich habe die Gruppe gegründet!“

Ein Besuch bei Mahler im Berliner Vorort Kleinmachnow ist ein Parforce-Ritt durch die deutsche Geschichte, eine Reise nach Absurdistan auch. Die Siedlung in nationalsozialistischer Heimatarchitektur wurde 1937, auf dem Reißbrett entworfen, in den märkischen Sand gebaut. Die deutsche Teilung drängte sie in den Winkel zwischen Mauer und Babelsberg. Die Doppelreihenhäuser stehen dicht und spitzgieblig aneinander, sind kaum zu unterschieden. Das Haus ist schwer zu finden. So lotst der NPD-Mann Mahler per Handy durch die Gassen wie durch die Hitler’schen Heimstätten, nur dass eben die Straßen nicht mehr so heißen: Karl-Marx-Allee, dann rechts abbiegen in die Thälmann-Straße. Im Vorgarten wachsen die rosa Priemeln in ordentlichen Flecken. „Welcome“ steht auf der Fußmatte.

Der braune Mischlingshund heißt Barnie Geröllheimer und ist ein Angstkläffer. Mahlers Körpersprache signalisiert freundliche Souveränität mit Dreitagebart. Bis zu 80 Prozent Rückgabeansprüche soll es in Kleinmachnow geben. Sein Haus, sagt Mahler, habe er 1992 vom Alteigentümer erstanden, einem, der im Kinderfernsehen der DDR der „Professor Flimmerich“ war. Die Sonne heizt den Wintergarten auf. Mahler stammt aus einer Generation, die noch danach fragt, ob sie das Jackett ablegen darf.

Erst ganz links, dann ganz rechts? Mahler erzählt sein sperriges Leben – immer am Rande der Gesellschaft, immer im Widerspruch. Wo, drängt sich die Frage auf, sei er eigentlich nicht rausgeflogen? Nein, so sieht er sich nicht. Mahler ist 1936 im niederschlesischen Haynau geboren. 1945 floh seine Mutter mit dem damals neunjährigen Horst und seinen beiden Geschwistern nach Thüringen. Darüber mag er nicht reden, gibt sich knapp und karg: „Alles war weg.“ Satt werden wollte er als Kind.

1949 trat er in die kommunistische „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ) ein. Das, sagt er, „war nur eine relativ kurze Episode“. Da war ein Spaziergang an der Elbe mit einem FDJ-Funktionär, der ihn als „Zugpferd“ anheuerte: „Da wandten sie sich an den Sohn des Zahnarztes.“ Da war der Vater schon tot. Mahlers Rücken krümmt sich, er blickt auf die Knie, die Stimme klingt gepresst, wie herausgequetscht: „Der Vater hat sich umgebracht.“

Kein Wort mehr darüber, also weiter in der Lebensgeschichte, Umzug nach Berlin. Mahler ist hochbegabt und studiert mit einem Stipendium der angesehenen „Studienstiftung des Deutschen Volkes“ Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin. Er tritt in die schlagende Verbindung „Thuringia“ ein. Dieses Umfeld sei ihm durch den Vater und einen Schulfreund „vertraut“ erschienen: „Dann haben wir gesoffen, und dann gefiel mir das auch.“ Außerdem war „das ja auch verpönt“. Und das gefiel ihm auch. Der Studienstiftung gefällt es nicht, die Professoren sind sauer. Mahler wechselt zur Sozialdemokratischen Partei Deutschland (SPD), die Burschenschaft ist sauer.

Mahler weiß, was er tut: „Ich wollte in die Politik.“ Er avanciert zum Leiter der Charlottenburger Jungsozialisten. Und, wie auch anders, im Ortsverein „gab es den ersten Knatsch“, als Mahler einen Referenten einlud, der Deutschland zum Austritt aus der Nato aufforderte: „Und das war natürlich ein Verbrechen.“ Ein richtiger Bruch aber war es nicht. Mahler rückt weiter nach links, ist wieder unvereinbar. Er tritt in den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) ein, die SPD schließt ihn aus.

Die Gesten des ehemaligen Linksabweichlers werden lebhafter. Es scheint, dass er sich dieser Zeit gern erinnert. Der heutige Rechtsaußen reckt den rechten Arm hoch, ballt die Faust, als erinnere sich der Körper besser als der Verstand. Eine Gründerzeit: Extrablatt, „Novembergesellschaft“, Republikanischer Club“, feindliche Übernahme der orthodox kommunistischen „Vereinigung Organisierter Sozialismus“ durch Masseneintritt. Und da war eine „lange und schöne Freundschaft“. Der Freund, sagt Mahler dann, habe sich als Doppelagent von BND und Staatssicherheit entpuppt. Das habe er erst nach 1990 erfahren.

Ihn haben, sagt er auch, nicht 1968 geprägt, sondern die Jahre davor. Er habe eben seine „wilde 60er Phase“ gehabt. Mahler redet sich in Schwung. Flugblätter verteilen vor dem Café Kranzler während der Kubakrise 1962, Opponieren gegen die Alliierten in Berlin, erste Prügeleien mit der Polizei und aufgebrachten Bürgern, dann Assessorexamen. Als Wirtschaftsanwalt ist er erfolgreich, vertritt die Thyssen-Bank, paukt als erster deutscher Anwalt eine Beschwerde vor der Europäischen Menschenrechtskommission durch. Da habe er „gar keine Zeit mehr für Politik gehabt“: „Bis ich eines Tages einen Anruf von Rudi Dutschke erhielt.“ Der habe ihn um die Vertretung eines von Ausweisung bedrohten kolumbianischen Studenten gebeten. Mahler gewinnt, der Mandant haut ab nach Ostberlin. Mahler vereidigt als APO-Anwalt die Kommunarden Rainer Langhans und Fritz Teufel, auch den Sohn des damaligen Bundeskanzlers, Peter Brandt.

Mahler ist zwar mittendrin in seiner Geschichte, schwenkt in seinen Erinnerungen aber immer wieder ab in die Zeit vor 1968, erinnert sich an den großen Gegner, an Adenauer und seine Ära, an Straßenschlachten.

Seine größte kommt 1968: „Wir dachten wirklich, die Revolution steht vor der Tür.“ Horst Mahler ist nicht bescheiden: „Wenn man eine gewisse Bekanntheit hat, dann muss man in der ersten Reihe marschieren.“ Er schreitet nach den Attentat auf Rudi Dutschke vorneweg bei der Blockade des Springer-Hauses in Berlin, steht irgendwann im Windfang der Eingangshalle. Und wird als Rädelsführer verantwortlich gemacht und 1970 zu zehn Monaten Gefängnis und Schadensersatz verurteilt.

Mahler exponiert sich als Gründungsmitglied der RAF. Er habe, sagt er dezidiert, den Schritt zum bewaffneten Kampf bewusst vollzogen: „Mein Ziel war es nicht, einen Widerspruch auftreten zu lassen.“ Einen zwischen Theorie und Praxis meint er damit: Zwischenspiel also in einem jordanischen Militärcamp. Mahler wird wenige Monate später verhaftet, als Planer der gewaltsamen Befreiung des RAF-Mannes Andreas Baader angeklagt, 1972 aber freigesprochen. Mahler bleibt in Haft und wird 1973 wegen der Beteiligung an drei Bankrauben zu einer 12-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt, die 1974 auf 14 Jahre erhöht wird. Sein Verteidiger ist der heutige Bundesinnenminister Otto Schily.

Mahler wünscht sich eine „Wiederbelebung des deutschen Kaisertums“

Für einen, der heute das Gewaltmonopol des Staates als „Bedingung der Freiheit“ ansieht, wäre das doch auch eine Chance, reinen Tisch zu machen, zu einer Vergangenheit zu stehen, die Schuld und Sühne im Nachhinein anerkennt? War er bei den Überfällen dabei? „Dazu äußere ich mich nicht“, sagt er. Und äußert sich doch. Juristisch sei er Opfer „einer Gefangennahme ohne Beweise“, „historisch logisch“ zwar, aber dennoch ein „Unrechtsurteil“. Die Bankraube sind für ihn heute Vergangenheit, gehören, merkwürdig abgetrennt, „in eine andere Entwicklungsreihe“. Die Situation in Deutschland aber habe „sich überhaupt nicht gewandelt“, sondern „im Gegenteil zugespitzt“. Schuldzuweisung statt Schuldeingeständnis. Mahler deutet auf Israel und den Nahen Osten: „Wir sind im Krieg.“ In der Welt werde „irgendeine schlimme Sache passieren“: „Dann möchte ich mal sehen, was die Gutmenschen so sagen.“ Was ist da ein Bankraub? „Gutmenschen“ verabscheut er.

Der schlesische Preuße und Protestant Mahler habe, sagt er dann, im Gefängnis versucht, „die Zeit zu nutzen“. Die RAF habe ihn, sagt ein Gewährsmann, schon 1974 „rausgeschmissen“. Mahler habe als „Chauvi, Macho, Mandarin“ gegolten, der sich einzelgängerisch der Gruppendisziplin widersetzt habe. Dennoch fordert die „Bewegung 2. Juni“ im März 1975 unter anderem auch seinen Austauch gegen den entführten Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz. Die linke Symbolfigur Mahler lehnt in einer Fernseherklärung ab und bleibt in seiner Zelle. Er distanziert sich von der RAF, tritt der KPD/AO bei. Der heutige Bundeskanzler, Gerhard Schröder, streitet für seine Haftentlassung. Ein Mitgefangener erinnert sich, dass der arretierte Anwalt der Einzige war, der eine „eigene Bücherzelle hatte“. Dorthin lieferte ihm sein damaliger Verteidiger Otto Schily auch die 20 Bände des idealistischen Philosophen Georg Friedrich Wilhelm Hegel, die ihn in späteren Jahren zum Rechtshegelianer werden lassen.

Der Mithäftling erinnert sich auch, dass er Mahler damals sehr bewunderte. Der habe den Einsitzenden immer geholfen, bei Schriftsätzen, bei Rechtsstreitigkeiten. Mahler erinnert sich nicht, druckst, windet sich, wird immer verlegener, dreht sich weg. Da war „nichts, was sich mir besonders eingeprägt hat“. Er erinnert sich eher an seine Isolation, „jahrelang völlig abgeschottet“. 1980 wird er auf Bewährung aus der Haft entlassen. Gerhard Schröder erstreitet 1988 auch seine Wiederzulassung als Rechtsanwalt.

So viele Häutungen bis zur Kenntlichkeit. Nein, der FDP habe er nun wirklich nie beitreten wollen. Das sei ein Gerücht. Aber: „Der Rückstieg, wenn man sich verstiegen hat, ist schwieriger als der Aufstieg.“ Seit 1997 meldet er sich als Nationalist zurück. Mahler übernimmt das Mandat der Nationaldemokratischen Partei in dem von Bund und Ländern angestrengten NDP-Verbotsverfahren. Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger schließt ihn 2001 aus.

Horst Mahler kann mit sich selbst leben. Hat er wirklich die Beweislastumkehr für Angeklagte gefordert? „Nein“, sagt er kategorisch. Auch sei er „prinzipiell ein Gegner der Todesstrafe“. Ausnahmen bestätigen seine Lebensregeln. Im Krieg seien diese anders als im Strafrecht. Mahler verweist auf den Rauschgifthandel, der auch ein Krieg sei: „Es gibt eine Zeit des Umbruchs, wo der Staat schwach ist.“ Da sei das Töten „möglicherweise ein Mittel, Verbrechen gegen den Staat“ zu bekämpfen, denn, eben, dessen „Gewaltmonopol ist Bedingung der Freiheit“. Mahler steht im Ernstfall noch immer seinen Mann. „Die Gutmenschen“, sagt er, forderten immer nur „das Schöne, das Wunderbare, das Menschliche“, wollten aber keine Konsequenzen ziehen: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.“

Mahler steht lieber eisern in der Traufe als im Regen. Seine Mahnwachen und Montagsdemonstrationen zur Jahrtausendwende ab 1999 unter der Parole „Für unser Land“ fanden in Frankfurt am Main wie Berlin wenig Resonanz. Mahler zog die Konsequenz und suchte die Konfrontation im Frankfurter Studentenstadtteil Bockenheim. Das Café Exzess in der Leipziger Straße ist Treffpunkt der antiimperialistischen und Autonomenszene. Sein Versuch, dort als Gast aufzutreten, brachte ihm Prügel und zwei blaue Augen ein, die er hinterher ablichten ließ und im Internet zur Besichtigung freigab. Mahler, der Märtyrer? Das weist er weit von sich: „Ich habe auf Diskssionsbereitschaft gehofft.“ Mahler, der Provokateur? Der Naive? Beides nicht so gern. Mahler druckst: „Ich habe das falsch eingeschätzt.“ Und: „Es war töricht.“ Er hätte sich, lässt er aber durchblicken, schon wehren können. Hätte der Ex-RAF-Mann da nicht diese „reflexhafte Hemmung, Gewalt auszuüben“, bei sich entdeckt.

Heilmittel gegen Gewalt seien ihm die Nationalstaaten geworden, als Gesellschaftsmodell nicht etwa abgewirtschaftet, sondern: „Im Gegenteil, die kommen!“ Und doch ist er der alte Antiimperialist und -kapitalist geblieben. Ausgeprägter Antiamerkanismus und -zionismus treten deutlicher zutage. Die Amerikaner „bestimmen die Richtung“ und haben „die Herrschaft über die Köpfe“. Ja, auch habe er wirklich gesagt, dass der „Judaismus“ die USA, das Zentrum der Weltmacht, „seit 1916“ unterwandert habe. Ob das von langer Hand geplant gewesen sei, könne er nicht sagen. Israel aber habe derzeit „ja auch den Dritten Weltkrieg begonnen“. Mahler beeilt sich, dieses Thema zu verlassen, springt auf, setzt sich wieder.

Und setzt den Staat gegen die „Raubtierwirtschaft“ des Kapitalismus. Der nimmt sich so rückwärtsgewandt aus wie die Autarkievorstellungen der Nazis: „Da wirtschaftet jedes Volk auf seinem Grund und Boden“, dann „wird es haben, was es braucht“: „Der Rest wird getauscht.“ Mahler ist überzeugt, die westlichen Demokratien müssten „überwunden“ werden. Sie seien „in der Gefangenschaft des Geldes“ zu „Polizeistaaten im Dienste des internationalen Kapitalismus“ verkommen, taugten nur dazu, „die revoltierende Bevölkerung niederzuhalten“. Kapitalismusverweigerer „werden als Schurkenstaat verbrannt.“ Bisher sei es jedenfalls „fortwährend mit der Welt bergab gegangen“.

Was aber wäre für ihn „Heimat“? Konkret Niederschlesien, Berlin, Deutschland, natürlich, sonst aber „ein Urgefühl, das jeder Mensch hat“: „Unsere Leute haben ein Gebiet, in dem sie alles prägen.“ „Heimelig“ eben. Heimat sei dort, „wo das Unheimliche ausgeschlossen“ sei. Und das liegt jenseits der Grenzen. Gerne reise er, sagt Mahler, „ins Ausland“, sei aber „jedesmal froh, wenn man wieder nach Hause fährt“. Nach Kleinmachnow, denn Indien zum Beispiel sei „sicher faszinierend“, aber auch „ein Grauen“. Die Menschen schaffen sich ihre Kultur „durch Veränderung ihrer natürlichen Umwelt“. Im Unterschied liege der Reichtum der Kulturen. Im Kaptalismus aber herrsche Einerlei, egal ob in „Singapur oder Kuala Lumpur“: „Überall der gleiche Mist.“ Das habe er schon im SDS nicht gemocht, dieses „mehr oder weniger zwanghaft Kosmopolitische“. Auch vom Europa der Regionen hält er nichts: „Eine Region, was ist das?“: „Das Lebendige ist das Volk.“ Und das werde sich nicht erst dereinst, meint er, sondern bald erheben.

Opponieren gegen die Alliierten in Berlin, erste Prügeleien mit der Polizei

Da gnade Gott. Das Hegel-Studium gilt Mahler als Ausweg. Über den hält er Vorträge in der rechten Szene, bietet Schulungen in seinem „Deutschen Kolleg“ an. Die Papiere krönt er mit einer eigenen Flagge: ein schwarzes, goldgerahmtes Kreuz, ähnlich der norwegischen Fahne, auf rotem Grund. Da schwingt er „Schwert und Schild des Deutschen Geistes“, vergräbt sich in Gedankengebäuden und doziert daheim: „Hegel sagt, das ist der Fortschritt, der zugleich ein Rückgang in den Grund ist.“ Und zieht wieder seine Konsequenzen: „Der absolute Idealismus ist letzten Endes die Denkform, auf die sich die Welt zubewegt.“ Auf dem Papier gerät ihm der geläuterte, „absolute Geist“ zur ewigen Gottheit: „Aber erst als Welt bezwingt der Geist den Zeitgeist.“ Und endet im März 2002 in Kleinmachnow fromm: „Sein Reich wird kommen. Im Himmel wie auf Erden. Amen.“

Ziel hienieden sollte nach Mahlers Willen „die Wiederbelebung des deutschen Kaisertums“ sein, nicht an eine Erbmonarchie denke er, sondern eher an einen „Fürstenstaat auf dem Wege zum Nationalstaat“. Mahler zieht mit den Fingern Kreise auf dem blaugrünen Stoff des Rattansofas, umkreist rechtsherum, linksherum orange Lilien und rote Tulpen: „Der Mensch ist ein intelligentes Wesen und richtet die Welt nach seinem Verstande ein.“

Seines hat er in den Brüchen eingelagert, die ihm Kontinuität zu sein scheinen. Eine Lebensbilanz hat er nicht gezogen: „Ich bin ja kein Kaufmann.“ Die lange Haft habe ihn nicht beschädigt, jedenfalls „nichts, wovon ich weiß“. Er jedenfalls kümmere sich um sein Volk, während die „alten Freunde und Genossen von damals“ nicht aus dem „Koma“ erwachen wollten, sich in „Redaktionsstuben und Staatssekretariate“ verdrückt hätten.

Weite Gebiete seien schon fest in der Hand der Rechten: Magdeburg, Schwedt, Frankfurt (Oder). Man müsse „sich drum kümmern, was mit den jungen Menschen machen“, könne sie nicht ins „KZ schicken oder in die Wüste“. Den einstigen Linken traue er alles Böse zu: „Die bringen es fertig, Bomben zu werfen, auch auf „die proletarischen Jugendlichen“ im eigenen Land.

Mahler, der bessere Pädagoge, der junge Neonazis meuchlings bildet? Nein, das nun auch wieder nicht. Mahler schüttelt den Kopf und nickt gleich wieder. Er predige gegen die „unmittelbare Gewalt“: „Jeder Schlag mit dem Baseballschläger“, sage er den Neonazis, sei auch „ein Schlag gegen Deutschland“. Er ziehe eben die Konsequenzen, während die „Gutmenschen“ im Rausch der „Verteufelungsorgie“ versänken: „Nicht nur reden, sondern auf die Menschen zugehen“. Natürlich zu einem höheren Zweck: „Sich mit dem Volk versöhnen.“

Wer denn nun der rechtere von beiden geworden sei, er oder der alte Weggefährte und heutige Gegner im NPD-Verbotsverfahren, Bundesinnenminister Otto Schily? Mahler freut das. Er strahlt: „Da müssen Sie mal den Otto fragen!“ Er selbst habe ihm einen Brief geschrieben, aber nie eine Antwort bekommen. Mahler streicht sich versonnen lächelnd den runden Bauch, da, wo das graue Hemd in den schwarzen Jeans steckt, als habe er gerade besonders gut gespeist. Hinsichtlich des NPD-Verbotsverfahrens sei er gegenüber seinem Kontrahenten Schily so optimistisch wie Franz Beckenbauer: „Schaun mer mal!“ Inzwischen lebe er gut von seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt und könne abwarten. Er erwarte erst einmal eine Neuauflage der weltweiten Befreiungskriege: „Diesmal gegen die Ostküste.“ Der USA, versteht sich.

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