piwik no script img

Mit Haut und Haaren

Erkundungen bei einem Taxidermisten

Von GABRIELE GOETTLE

Ingo Kopmann, selbstständiger Tierpräparator. Ostern 1965 Einschulung i. d. Robert-Reinik-Grundschule Berlin-Siemensstadt. Ostern 1975 Realschulabschluss. Anschließend sechsmonatige Ausbildung b. d. Bundespost i. Fernmeldehandwerk. Abbruch d. Ausbildung wg. Unzufriedenheit. 1975–1981 im Dienste d. Berliner Schutzpolizei. Während dieser Zeit nebenberuflich als Präparator tätig. (Beschäftigung m. d. Tierpräparation bereits seit dem 10. Lebensjahr), Erlernung d. Kenntnisse durch Mitarbeit b. verschiedenen Präparatoren, u. a. in Österreich, Griechenland, Schweden, über viele Jahre. 1981 Ausscheiden aus d. Polizeidienst u. Eröffnung einer eigenen Präparatorenwerkstatt i. Berlin. Von nun an hauptberuflich Tierpräparator. Zwischen 1989 u. 1992 (zus. m. e. Schweden) Mitinhaber einer Filiale i. Afrika (Kenia). 1989 Teilnahme a 1. Deutschen Präparatoren-Wettbewerb. Auszeichn.: 1. Preis, 2. Preis. 2002 Teilnahme a. d. Europäischen Präparatoren-Meisterschaft i. Italien. Auszeichn.: 2 x 2. Platz, 2 x 3. Platz. Verf. v. Artikeln, u. a. i. d. Zeitschrift „Der Präparator“. Hat bisher ca. 17.000 Tiere (aller Arten) präpariert. Herr Kopmann wurde a. 21. 10. 1958 in Berlin-Reinickendorf geboren. Seine Eltern waren Fließbandarbeiter bei Siemens. Er heiratete 1985 und wurde 1993 geschieden. Sohn Christopher wurde 1992 geboren.

Bereits 2500 v. Chr. wandte man in Ägypten zur Präparation tierischer und menschlicher Leichname Mumifizierungstechniken an. Die naturwissenschaftlich orientierte und zu Präsentaitonszwecken betriebene Präparationskunst begann sich im ausgehenden 17. Jh. in Europa zu entwickeln. Da ihre unbedingte Voraussetzung die Konservierungskunst ist, gehörte zum Studium der Ärzte und Apotheker ein Konservierungskurs. Mit dem Anordnen der Haut nahm man es bis dahin nicht so genau, man stopfte die Tierbälge mit Heu und Stroh prall aus, ohne große Beachtung der Form. In Frankreich wurden erstmals taxidermische Versuche gemacht mittels eines Gestelles und Draht dem nachgebildeten Tierkörper Natürlichkeit zu verleihen. Bald entwickelten Präparatoren anderer Länder eigene und sich schnell verbessernde Methoden. Die Präparate füllten die königlichen und sonstigen herrschaftlichen Kuriositätenkabinette, Wunderkammern, Naturaliensammlungen und teilten sich den Platz mit Münzen, Mineralien, Kunstgegenständen, anatomischen Raritäten. Im Zeitalter der Aufklärung wandelten sich diese Kabinette (in Form ihres naturkundlichen Bestandes) dann zu naturkundlichen Museen um, die sich dem zunehmenden öffentlichen Interesse an Naturgeschichte und Wissenschaft anfangs nur sehr spröde öffneten. Besichtigung lediglich in kleinen Gruppen innerhalb kürzester Zeit. Im 19. Jh. kam es dann durch zahlreiche Expeditionen in alle möglichen Kolonialländer zu einer enormen Vergrößerung der Sammlungen und auch die Präparationskunst veränderte sich sprunghaft. Die Präparate nahmen sozusagen aggressive Posen ein, im Moment ihrer Vermassung und Kommerzialisierung. Pathetische Gebärden kamen in Mode, drohende Posen, offene Rachen, gebleckte Raubtiergebisse, gesträubte Erregung, erhobene Tatzen. Sie waren auch ein Versuch, die gefürchtete Leblosigkeit in den Naturkundemuseen zu überwinden, zumal man sich in starker Konkurrenz befand zu den gleichzeitig entstandenen Zoologischen Gärten.

Auch der emanzipierte Bürger wollte seinen Anteil an der Trophäe, entweder in Silber gefasst, die Wildschweinhauer an der Charivarikette für die Uhr, oder, ganz großbürgerlich, als totemistische Dekoration eines repräsentativen Heimes. Präparatoren gaben in ihren Schriften zugleich Ratschläge für die korrekte Einrichtung: Ente, Wildschwein, Gemse, Rehkopf fürs Esszimmer. Fuchs, Bär, Marder ins Rauchimmer. Uhu, Adler, Falke gehören in Bibliothek und Arbeitszimmer. Der aufgerichtete Bär jedoch, nimmt in der Eingangshalle der Villa die Visitenkarten der Besucher entgegen auf einem Tablett für den mächtigen Hausherrn. Es gab eine seltsame Dekorationswut und der gefürchtetste Feind der Sammlung war nicht der Speckkäfer oder die Motte, sondern die Lücke. Diese Demonstration bürgerlicher Souveränität auf der Grundlage von Jagen, Beute machen, Dominieren, triumphalem Präsentieren der Trophäen, war natürlich zugleich ein verheerender Feldzug gegen die Tierwelt aller Herren Länder. Viele Millionen von Insekten, Reptilien, Fischen, Säugetieren, Vögeln fielen dem zum Opfer, durch Nachstellung, Tötung und Inbesitznahme ihrer Bälge und Hüllen. Trotz zweier Kriege und dem Verlust der Kolonien – der einen „Einbruch der Balgbeschaffung aus Übersee“ zur Folge hatte – sind die deutschen Museen, Universitäten, wissenschaftlichen Sammlungen und Lehrmittelsammlungen der Schulen berstend voll mit der gesammelten Ausbeute aus drei Jahrhunderten. Dennoch ist die Ahnungslosigkeit gegenüber dem Tier, seinem Aussehen, seiner Lebensweise, vielleicht nie größer gewesen als heute. Und was die Präparatoren betrifft, so ist ihre Anzahl stark zurückgegangen, viele Museen beschäftigen keinen eigenen Präparator mehr aus Kostengründen. Eine anerkannte Berufsausbildung zum Präparator gibt es nicht, in der BRD wurde dieser Lehrberuf bereits 1953 abgeschafft und aus dem Berufsregister gestrichen. In der DDR gab es bis 1989 eine gründliche Ausbildung an Fachhochschule und Universität.

Laden und Werkstatt von Ingo Kopmann liegen im preiswerteren Teil Charlottenburgs, dort, wo der Bezirk an Tiergarten und Moabit angrenzt. Das Haus der Zeit um 1900, ein vierstöckiges Mietshaus, ist hellblau gestrichen. Es hat Balkons und Erker, abends beleuchten Gaslaternen die Straße. Über dem Laden steht BERLINER PRÄPARATORENWERKSTATT. Im kleinen Schaufenster verlocken die ausgestellten Präparate den Vorübergehenden zum Stehenbleiben. Ein Katzenskelett in gehender Haltung beherrscht die Bühne, gemeinsam mit einem Hundeschädel. Drumherum, in schönen alten zylindrischen Gläsern, schweben die eingelegten Präparate in hellen Flüssigkeiten. Gezeigt werden die Entwicklungsphasen, vom Embryo zur Ratte, zum Huhn, ein Krebs mit seinen Eiern, ein aufgeschnittener Fischleib mit allen Organen und Schwimmblase. Ein Hirschkäfer ruht innerhalb seiner Larve, zart, silbrig-weiß ist sein Geweih, eng angelegt an den Körper und zusammengefaltet, wie alles an ihm. Auf diese Szenerie blickt ein erhöht im Laden stehender Schwan mit vorwurfsvoller Sorge. Wir treten ein und werden von der Lebensgefährtin und Mitarbeiterin Herrn Kopmanns freundlich aufgefordert, uns in Ruhe umzusehen, er telefoniere noch. Eine riesige irische Wolfshündin erhebt sich vom Boden und kontrastiert merkwürdig zur starren Anmut der präparierten Tiere, die Boden und Wände bedecken. Es funkeln Augen, es schimmern Gehörne und Federn, ein Geruch nach Spiritus, getrocknetem Seetang und Leder erfüllt den Raum. Da ist ein samtschwarzer großer Kolkrabe mit Fixiernadeln um die Augen, frisch präpariert; ein breiter Dachs; zwei kleine Buntfalken auf einem Zweig, preisgekrönt; ein defektes Hausschwein, zwei spielende Fischmarder, ein Büffel mit sanftem Blick. Daneben sitzt eine gefährlich aussehende Harpye, die mit enormen gelblichen Krallen – kräftig genug, damit einen Affenschädel mühelos zu zerdrücken – auf einem derben Ast. Auch dieses Präparat ist preisgekrönt. Am auffallendsten aber ist ein lebhaft gemusterter Falke, der gerade ein Täubchen geschlagen zu haben scheint, leblos, im doppelten Sinne, liegt es auf dem Rücken mit zur Seite fallendem Kopf. Die Szenerie spielt sich auf dem Hals eines frühgotischen Wasserspeiers von Nôtre-Dame de Paris ab. Auch dieses Ensemble erhielt eine Auszeichnung.

Der Hausherr erscheint mit der Wolfshündin an seiner Seite und bittet uns in die Werkstatt. „Wir können uns nun in aller Ruhe unterhalten, meine Frau übernimmt den Laden und das Telefon … setzen Sie sich irgendwohin, wo Platz ist …“ Platz ist rar in dieser kleinen Werkstatt, einem rechteckigen Raum mit Holzdielenboden und zwei vergitterten Fenstern zum schattig grünen Hinterhof hinaus. Die Fensterflügel stehen offen, dennoch schwebt der eigentümliche Geruch im Raum, beigemischt ist ihm hier noch eine würzige Nuance. Ein bisschen fühlt man sich wie in einer Bildhauerwerkstatt, aber der leichte weiße Staub, der über allem liegt, ist nicht Gips, sondern Kartoffelmehl. An den Wänden hängen vergilbte Skizzen, Fotos, Tierschädel, eine Pavianmaske aus Gips. Es gibt zwei zusammenlegbare Arbeitstische. Auf einem schwebt ein frisch präparierter Hecht an seinem Haltestab, dünne Lochgitterbleche fixieren die Flossen. Ein ungeborenes Ziegenlamm schlummert mit geschlossenen Augen und brav aneinandergelegten Spalthufen in einem hohen Zylinderglas mit Deckel. Es starb in der Zeit so um 1900. Unter dem Fenster liegen in geschlossenen halbtransparenten Plastikwannen eingelegte Bälge im Spiritus und harren ihrer optischen Auferstehung. In einem langen Karton ruhen Pfauen, darunter ein weißer, noch tiefgefroren. Nach dem Auftauen sollen sie präpariert werden. Hier geht’s um die Haut, das Federkleid, darum, das Fell über den Kopf zu ziehen, Ordnung in die drohende Unordnung des Todes zu bringen. Herr Kopmann zieht die Schürze glatt, nimmt Platz am zweiten Arbeitstisch und streift sich einen Vogelbalg über die linke Hand. Kopf und Schnabel sind noch vorhanden, die Augen fehlen. Beine und Krallen hängen unten traurig am bauschigen Federkleid. Der Körper liegt, bestäubt mit Kartoffelmehl auf dem Tisch, groß wie ein junges Brathühnchen. Herr Kopmann wendet den Balg hin und her, bläst ins Gefieder, um uns die beiden kahlen Stellen rechts und links des Halses zu zeigen, über die die Vögel ihre Temperatur regulieren. „Das ist ein Falkenweibchen aus einer Zucht, es wurde 13 und ist gestorben. Sein Eigentümer will es nun präpariert haben … das Kartoffelmehl hat den Zweck, Flüssigkeiten aufzusaugen, leider fliegt es überall herum.“

Er nimmt ein Skalpell und beginnt an der Hautseite Fett und Gewebe abzutragen. „Wir kümmern uns ja speziell um Greifvögel, ansonsten machen wir alles: Vögel, Fische, Säugetiere, Insekten, Reptilien und Repliken. Wir arbeiten vor allem für Privatkunden, also Jäger, Sammler, Angler, Leute, die ein totes Tier gefunden haben oder kaufen möchten, ferner für Schulen und Museen, aber auch für Opernhäuser, Theater- und Filmproduktion. Und wir bekommen auch Haustiere gebracht. Für eine Theater- oder Filmproduktion, da muss es dann vielleicht ein Löwe sein, der auf der Bühne liegt und NEIN sagt. Es kommt vor, dass einer, auf der Straße z. B., eine tote Eule findet und will die präpariert haben. Den schick ich gleich wieder weg. Er muss bei der Naturschutzbehörde eine Genehmigung beantragen, die bekommt er in der Regel nicht, denn Vögel, die aus der Wildbahn entnommen werden, an denen darf kein Eigentum erlangt werden, sagt das Gesetz.“

Er schabt und schneidet systematisch mit seinem Skalpell während er weiter erzählt. „In der Regel rufen uns Leute an, die haben ein totes Tier, Angler, Jäger, Sammler, die lassen wir dann herkommen und bereden, was machbar ist und was es kostet. Die Jäger wissen in der Regel, wie sie mit ihrer Trophäe umzugehen haben, das heißt sie werden sie einfrieren oder gleich hierher kommen. Vom Preis her liegt z. B. ein Steinmarder, der immer noch eins der am häufigsten präparierten Tiere ist als kleines Raubtier mit schönem Pelz, na, so um die 140 Euro. Und nehmen wir nun mal an, wir haben grade Zeit – was allerdings so gut wie nie der Fall ist – dann legen wir den gleich auf den Tisch, nehmen so ein Skalpell, eine Handvoll Sägespäne, machen einen Bauchschnitt bis zum After, ohne den inneren Bauchraum zu verletzen, und krempeln den Körper, samt Beinen aus der Haut heraus. Im Normalfall fließt kein Blut, aber das Tier hat vielleicht irgendwo Schusswunden und da brauche ich dann die Sägespäne, um den Tisch und das Fell des Marders vor dem Blut zu schützen. Und wenn dann alles Fleisch entfernt ist, im Prinzip, auch der Schädel raus ist, kommt das ganze Fell für 24 Stunden in eine Gerblösung. Dadurch wird die Haut etwas angebeizt und dadurch lassen sich dann die Mikromuskulatur und das Fett besser abtrennen. Das wird runtergeschnitten bis auf die Lederhaut. Im Prinzip so, wie ich es jetzt hier mache. Das Marderfell kommt dann noch mal in diese Gerblösung und wird dabei vergiftet, das heißt es kommt für eine Stunde komplett ins Gift. Früher benutzte man Arsen und andere Gifte gegen die Schadinsekten, das war natürlich auch für anderen Wesen schädlich. Heute benutzen wir etwas, das ist für Menschen, für alle warmblütigen Wesen unschädlich, Eulan. Das wurde in den 20er-Jahren von Bayer entwickelt, um die Wolltransporte von Australien nach Europa vor Schadinsekten zu sichern. Das wird 0,1-prozentig verarbeitet. Dieses Eulan hat auch den Vorteil, dass es nicht nur das Leder schützt, sondern alles. Früher konnte man bei den Präparaten immer durch die Nasen durchgucken, das war alles ungeschützt, die Nasenscheidewände, die Haare, die Krallen, bei den Enten die Schwimmhäute. Das Problem haben wir heute nicht mehr.“

Herr Kopmann pudert mit Kartoffelmehl nach, wir trinken Kaffee, und die Wolfshündin ist sehr interessiert an den Petits Fours in Grün und Blau, legt sich bald aber resigniert wieder auf den kühlen Boden. „Der Präparator darf sich natürlich nicht nur auf das Gift verlassen, gut, sie geben zehn Jahre Garantie, aber ich muss auch eine präzise Vorarbeit leisten, indem ich alles, soweit es geht, entferne. So, und das einzige, was jetzt noch dazukommt vom Tier, sind die vier Beinknochen für die Stabilität und den Schädel nur dann, wenn der Kunde den Marder mit offenem Maul haben möchte. Und dann sind wir soweit, dass wir den gegerbten Balg, nach dem Schleudern dort in der Trommel, im Prinzip zusammenbauen können. Die Beinknochen hat er drin, einen eigenen Schädel, oder auch nicht, dann hat er einen nachgebauten. Wir wickeln den Körper aus Holzwolle oder wir haben da auch einen PU-Schaumkörper, den gibts zu kaufen. Meistens wickeln wir aber selber, das wird schön fest und hat die originale Form des Tieres, also in der Figuration wie das dann später aussehen soll, wenn’s entweder den Ast hochklettert … aber der kann auch runterklettern, nach rechts oder links gucken, wie man es will. Der Kopf wird dann noch mit Ton überzogen, so dass man nachher die Augen einsetzen kann und dann schieben wir also diesen Körper in das Fell, durch die Öffnung am Bauch, er wird ‚angezogen‘, sagen wir und wenn alles passt, wird die Öffnung mit feinen Stichen vernäht. Es kommen dann noch ein paar Kleinigkeiten dazu, mit Ton werden die Ohren versteift, Lippen, Nase, Schnute müssen in die richtige Form gebracht werden. Also ich muss generell das, was die Muskeln früher mal bewirkt haben, am Modell nachgestalten, muss die Haut mit Nadeln wieder in diese Nischen ziehen, in Fältchen legen, besonders auch die Augenfältchen, sonst ist der ganze Ausdruck später falsch. Das mache ich mit Nadeln. Wo’s nötig ist, wird fixiert, besonders um die Augen herum, damit beide nach dem Trocknen gleich sind. Jeder guckt ja so einem Präparat zuerst ins Gesicht. Da kommt es auf kleinste Feinheiten an. Gut, dann muss das Ganze noch mal etwa zwei Wochen trocknen, danach werden die Nadeln entfernt. Dann schminken wir das Tier ein bisschen nach, die Augenlider müssen in der Regel nachgedunkelt werden, die Öhrchen werden innen nachkoloriert, auch die Nase wird nachgefärbt. Er hat ja seine eigene, aber sie verblasst etwas. Natürlich wird das Fell nochmal gebürstet. Und wenn er den Mund offen hat, muss ich den ja auch gestalten. Es gibt keine befriedigende Lösung um eine Zunge zu präparieren, ebenso natürlich steht’s mit dem Auge. Ich hab da oben in den Schachteln meine Zungen und Augen.“

Er legt den Balg vorsichtig zur Seite und holt einen Karton aus dem Regal, er ist gefüllt mit Kunststoffzungen. „Die beziehe ich aus den USA, es gibt sogar zwei verschiedene Varianten, die Hechelzunge und die Fauchzunge, es gibt Schlangenmäuler, Hecht- und Forellenzungen, alles. In der Schachtel habe ich Gebisse, die sind teilweise schon fertig, die andern patiniere ich nach, seh’n Sie das ist ein Puma, schon mit Patina, mit Farbveränderungen am Zahnfleisch, das ist ein Leopard, dafür muss ich so um 100 Mark rechnen, die Zungen kosten so 20 bis 40 Mark, das ist eine Frage der Größe. Hier haben wir Tierkrallen und die Glasaugen beziehe ich von der Firma Lange aus Niederbayern, die sitzen sehr nah bei Lauscha und werden von dort mit ganz vorzüglichen handgearbeiteten Glasaugen beliefert. Da bekomme ich alles, und es kommt ja oft auf den Millimeter an bei der Größe. Und bei den Pupillen – ich lege nämlich Wert darauf, dass das Tier entsprechend zu seiner Größe, Stimmung usw. die passenden Augen und den passenden Ausdruck hat – wenn er nämlich ruht, und er hat solch große Pupillen, dann stimmt was nicht, und wenn Aggression da ist, dann wirken kleine Pupillen ja geisteskrank. Also für so ein paar gute Hechtaugen z. B. kann man schon mal 30, 40 Mark zahlen, hier sind sie etwas bläulich, das sind eben spezielle Hechtaugen, die Forelle hat wieder andere und der Falke hier wieder ganz andere, auch von der Form her. Und da wir uns ja, wie ich sagte, speziell um Greifvögel kümmern, haben wir da auch eine spezielle Bibliothek und entsprechende Abbildungen, denn das Auge verändert sich ja nach dem Eintritt des Todes rasch, bei einem Fisch innerhalb von Sekunden, da hilft nur ein Foto.“

Er schiebt die Kartons wieder ins Regal und widmet sich dem Balg und der weiteren Erzählung: „So wie früher gearbeitet wurde, arbeitet man schon lange nicht mehr, das wurde das Präparat leer gemacht, die Haut irgendwie gegerbt, dann wurde das voll gestopft und zugenäht. Das Ding war dann ganz prall und hatte ja kaum Lebensähnlichkeit. Da gab‘s furchtbare MISSGESTALTEN, zum Beispiel den Adler, bis in die 30er-Jahre und länger, der war so breit, die waren immer martialisch, Flügel und Schnabel offen. Das hat man dann übernommen für die Reichsadler – der ist sogar heute noch so auf unserem Euro – wir rennen ja auch nicht den ganzen Tag mit ausgebreiteten Armen und zähnefletschend durch die Gegend. Und ich versuch’s auch meinen Kunden nahe zu bringe, dass der Steinmarder nicht immer zähnebleckend da herumstehen muss, weil der Marder nämlich, genausowenig wie der Fuchs und andere, rennt natürlich nicht so durch den Wald und wenn, dann ist er krank. Die meisten verstehen das dann auch. Und die Kunden mit den Haustieren, die haben ja ganz andere Vorstellungen, denen geht es meistens um die größtmögliche Ähnlichkeit. Vor vielen Jahren z. B., da hatte jemand einen toten Kanarienvogel und der Kunde wollte den ‚tot‘ präpariert haben, also so, wie er im Käfig gelegen hatte. Ich finde diesen Wunsch gar nicht abwegig …, aber man muss dazu sagen, auf dem Haustiersektor gibt es auch Merkwürdigkeiten. Wir haben grade für eine Künstlerin einen Schäferhund als Bettvorleger gehabt. Es war nicht der eigene. Was wir noch hatten, das war ein Pärchen, Mann und Frau, die ließen zehn Jahre lang einen Felsenpython frei in der Wohnung leben, der war stubenrein, lag mit im gemeinsamen Bett, und als der starb, kamen sie mit der absonderlichen Idee zu mir, sich die Haut gerben zu lassen … gut, das ist vielleicht noch verständlich, aber sie wollten sich Reizwäsche daraus schneidern lassen, aus der eigenen Schlange!! Also meine Hunde, die kommen ausnahmslos unter die Erde. Aber das ist eben … ich nenne es mal Geschmackssache. Wir hatten schon Kunden, die wollten dann das Herz mitnehmen und die Augen, für zu Hause, in Spiritus eingelegt. Also wenn das dann die Augen vom eigenen Hund sind, die da vom Fernseher runtergucken, dann erreichen wir hier irgendwo eine Grenze. Nicht arbeitstechnisch, aber in der Nachvollziehbarkeit. Oder eine Dame wollte das Skelett ihrer Katze, nur das Skelett, da habe ich auch keinen Zugang gefunden. Aber ansonsten sind die meisten Kunden eigentlich ganz normal …“ Er schüttelt den Balg über seiner Hand, leicht bewegen sich die Federchen und die Schwingen.

„Und es ist also nicht so, dass jetzt die einsame Oma kommt, Witwe ist, die ihren Kater präparieren lassen will, weil er 18 Jahre lang auf ihrem Sofa gelegen hat, sondern es sind ganz attraktive Frauen, also von der Ausstrahlung her, lebhafte Frauen, so um 30, 40, Geschäftsfrauen oft, weit entfernt vom Klischee der vereinsamten Alten, und die lieben aber ihre kleinen Hunde – zu denen man oft abfällig Witwentröster sagt – dermaßen, dass die an Herzverfettung sterben. Die haben für 50 Mark Pralinen unter der Haut … der Herzbeutel sieht oft aus wie ein Picasso-Euter … Sie wissen nicht, was ein Picasso-Euter ist??! So sagten wir in Berlin zu diesen dreieckigen Milchpackungen im Tetrapack, das gab’s früher. Wir schaun’s an, oder auch die Tierärztin, wenn nötig. Das Fleisch wird dann entsorgt. Also man kann sagen, wir haben alle Gesellschaftsschichten, alle Altersgruppen, alle Geschlechter. Es kommen auch 8-, 9-jährige Kinder manchmal, mit ihren Eltern und dem verstorbenen Goldhamster. Andere finden, dass man für den Preis zehn lebendige bekommt und tippen sich an die Stirn. Aber wenn es ein Rassehund ist, kriegen sie dafür natürlich keinen lebendigen. In Schäferhundgröße kostet der etwa 2.000 bis 2.500 Mark, einen kleineren, in Yorkshire-Terriergröße, präparieren wir so für 600 bis 800 Mark. Also aus dem Tierheim bekommen sie natürlich 5 bis 6 Mischlinge dafür, aber so rechnet ja der nicht, der sein Tier aus Liebe präparieren lassen möchte. Manchen ist es regelrecht peinlich am Anfang, sie melden sich schon, bevor das Tier tot ist, wenn’s also absehbar ist. Ab und zu müssen wir natürlich auch ein bisschen Seelsorge betreiben. Ich sage, setzen sie sich mit uns in Verbindung, wenn es soweit ist, wenn es nachts stirbt, dann kühl legen oder einfrieren. Wenn die alte Dame einen verstorbenen Schäferhund hat, dann kriegt sie den natürlich nicht ins Eiswürfelfach und kann ihn auch nicht herbringen bei 50 Kilo Körpergewicht. Dann holen wir so ein Tier schon auch mal ab. Die meisten aber kommen hier her, wir sagen: Der Preis wäre so und so, überlegen sie bitte, ob das Tier lieber sitzt oder stehen soll, und sie sollten uns eine Hand voll Porträtfotos bringen. Eine Anzahlung verlangen wir ausnahmslos, weil so in etwa jeder 50. Kunde überlegt sich’s dann doch noch anders, und wir haben dann hier einen Schäferhund rumsitzen … der zwar vielleicht sehr lieb war, aber sehr dick, sehr unansehnlich geworden ist mit der Zeit … mit einem Gesicht, das nur eine Mutti lieben kann, den gab’s ja mal, den Spruch? Den Hund kauft mir doch nie mehr einer ab. Oder der Kunde ist am Ende nicht zufrieden zu stellen, Katzenaugen sind ein diffiziles Thema, nicht nur bei Siamkatzen, wo es alle möglichen Arten von Blau gibt, ich versuch dann dem Kunden zu erklären, der die Farbe ja vorher persönlich aus dem Katalog ausgesucht hat, dass eben ein Glasauge kein lebendiges Auge mehr ist und einen Blick nicht ersetzen kann. Sie verstehen ganz allmählich, dass sie sich an das Präparat auch erst gewöhnen müssen. Sie sagen, irgendwas war anders … Ja, es hat gelebt! Sage ich. Und die meisten akzeptieren das Präparat dann. Viele allerdings sind auf Anhieb begeistert. Unsere Haustierkunden gehen bis auf ganz wenige Ausnahmen zufrieden aus dem Laden.“ Er wendet das Federkleid und pudert die frei gelegte schimmernde Lederhaut mit Kartoffelmehl und räumt dann alles Verderbliche weg in die Kühlung. Die Wolfshündin wedelt erwartungsfroh dem Aufbruch des Rudels entgegen.

Herr Kopmann und seine Lebensgefährtin wohnen nordwestlich draußen vor der Stadt, im so genannten Speckgürtel, der ehemaligen DDR. Ihre kleine Mietwohnung liegt in einer ruhigen Seitenstraße des Örtchens Brieselang. Hier stehen fast nur neuere, eher schlichte Einfamilienhäuser mit Gartengrundstücken. Aus einem davon kommen mit eleganten Sätzen zwei weitere irische Wolfshunde hervorgesprungen, begrüßen Herrschaft und Hündin und betrachten uns aus ernsten graugelben Augen wohlwollend. Bei einer Rückenhöhe von fast 90 Zentimeter muss man sich zum Streicheln nicht gerade bücken, die Rücken und rauhen Felle gleiten angenehm und zügig durch die Hand, die Schädel werden heiß, wenn man sie auf der Stirn berührt. Folgsam nehmen sie mit dem Platz im Flur vorlieb, während wir ins spartanisch, aber mit ausgesucht schönen alten Stücken eingerichteten Wohnzimmer gebeten werden.

„Meine Frau lässt sich entschuldigen, sie hat noch etwas zu erledigen“, sagt Herr Kopmann und stellt uns sein fast zehnjähriges zartes Söhnchen vor, das sich für eine Weile dazu setzt. An der Wand sind zwei sehr schöne Greifvögel, einer davon hat einen besonders gelungenen Blick. „Bei dem ist die Besonderheit die, dass er einer der seltensten Greifvögel der Welt ist inzwischen, ein Kaiseradler. Er stammt aus Europa, von ihm gibt es höchstwahrscheinlich nur noch 70 Paare, beheimatet war er in der Puszta. Der hier ist 37 Jahre alt geworden. Ja, das ist mir eigentlich ganz gut gelungen, kann man sagen. Das erreicht man ja nicht immer. Manchmal gibt es so eine Art Objektblindheit, ich fummle und fummle, denke es passt eigentlich ganz gut, dann kommt aber meine Frau und sagt: Das linke Auge muss weiter runter, dies stimmt nicht, DAS stimmt auch nicht, und ich weiß, sie hat Recht, sie hat den Blick dafür, dem vertraue ich. Meine Frau ist überhaupt die weltallerbeste Zuarbeiterin, und sie ergänzt mich in dem, was ich nicht habe, sie ist geduldsam, penibel, sehr ehrlich und kritisch, alles Tugenden, die ich nicht habe.“

Er lächelt. „Gut, aber andererseits bin ich natürlich dennoch – na, ich will nicht anmaßend sein, ich bin nicht studiert, nichts – ein recht guter Präparator. Von den ganz guten zwar meilenweit entfernt, aber von den schlechten und durchschnittlichen auch. Die Museumspräparatoren schaun ja auf uns ‚Trophäenschrauber‘ herab. Deshalb wollte ich es genauer wissen und habe mich 1989 an einem Vergleichswettbewerb des Deutschen Präparatorenverbandes beteiligt, musste sogar Mitglied werden dazu. Da waren 110 Teilnehmer, fast alle aus dem Museumsbereich, und ICH habe in der Säugetierkategorie den 1. Preis gemacht und in der Vogelkategorie den 2. Preis. Die Richter waren aus Amerika, zwei aus Deutschland. Und 2003 wollen wir in Amerika an der Weltmeisterschaft teilnehmen, WORLD CHAMPIONSHIP TAXIDERMY. Das ist die Kür, das andere ist die Pflicht, wobei ich nicht sagen will, dass ich nicht auch den überfahrenen Rottweiler mit Freude und Sorgfalt aufbaue für das trauernde Herrchen, damit der sein Präparat hat, oder den 95. Steinmarder im Jahr. Das ist einfach eine Leidenschaft bei mir, dieser Beruf, schon von klein auf. Ich konnte einfach meine Tierliebe nicht ausleben als Kind, meine Eltern standen am Fließband bei Siemens, Akkordmontage, megaübel! Sie waren super zu mir, aber die Möglichkeiten waren eben begrenzt. Und ich habe mich brennend interessiert für alles und hatte dann das Glück, auf Leute zu treffen, von denen ich eine Riesenmenge gelernt habe, aus eigenem Antrieb. Ansich wäre ja für jeden Interessierten alles da. Es gibt in Schulen teilweise wirkliche Schätze! Wir haben in Berlin Präparate, vom Schnabeltier über den Beutelwolf bis zu Seeadlern, ganze Sammlungen stehen in Schulen rum und verstauben in den Gymnasien. In einem Jungen- und Mädchenlyzeum sind mal 200 Präparate gefunden worden, na, die Hauptschule, die haben vielleicht ein paar Käfer, eine Vogelspinne, ein Vogelnest und ein Abo für die Landesbildstelle. Das find ich schlimm! Grad die, die dort sind, die müssen das lernen, den Unterschied zwischen einem Bussard und einem Adler, einem Hasen und einem Kaninchen. Aber es gibt natürlich auch die Übertreibung nach oben. Wir waren mal in der Zoologischen Staatssammlung in München, zum Tag der offenen Tür. Das ist eine nichtöffentliche Forschungssammlung verschiedener Tierarten mit 20 Millionen Objekten, das meiste aus dem 18. und 19. Jh. Also das wird einem schon ganz anders, wenn sich da die Schubladen öffnen in 3 Meter 50 hohen Schränken und in sagen wir mal 50 von diesen Schränken sind dann Millionen von Vogelbälgen, irgendwelche Paradiesvögel, immer der gleiche, nur der eine hat einen grünen Punkt im Gefieder, der andere einen roten Punkt oder keinen. Das haben wir gesehen, mit eigenen Augen …

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen