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Siemens wird Tabellenführer

Neue Aktienindizes bei der Deutschen Börse: Gewichtung in DAX & Co nur noch nach gehandelten Aktien. Staatskonzerne Telekom und Post verlieren, ebenso Firmen mit privaten Großaktionären

von REINER METZGER

Ab heute wird neu gewichtet: Für das Gewicht eines Konzerns im DAX zählt die Deutsche Börse AG nur noch die Aktien, die auch wirklich frei gehandelt werden – also der so genannte Streubesitz oder „Free Float“. Der Wert der Aktien, die auf Dauer bei Großaktionären liegen – wie etwa die 43 bundeseigenen Prozent der Deutschen Telekom AG – werden nicht mehr mit eingerechnet. Streubesitz sind für die Deutsche Börse Aktienpakete unter fünf Prozent, sie machen bei den DAX-Werten 72 Prozent der gesamten Aktien aus.

Gleiches gilt im MDAX der 70 mittleren Unternehmen, bei den künftig nur noch 50 SDAX-Kleinwerten oder beim Risikosegment Neuer Markt mit seinem Nemax. Die genauen Werte wurden Freitag nach Handelsschluss anhand der aktuellen Kursstände ermittelt. Die neuen Tabellenführer beim DAX, den 30 größten deutschen Firmen, sind Siemens (mit 11,7 Prozent/ bisher 8,8 Prozent), dann die Deutsche Bank (10,2/7,2), DaimlerChrysler (8,6/8,2), der Energiekonzern Eon (8,6/6,6), die Allianz (7,8/9,0) und die Telekom (5,1/7,3). Bisher war die Reihenfolge Allianz, Siemens, Daimler, Telekom, Deutsche Bank und Eon (www.deutsche-boerse.com).

Familienkonzerne sind die großen Verlierer

Verloren haben neben Konzernen mit starker Staatsbeteiligung wie Post oder Volkswagen mit seinem großen Niedersachsen-Aktienpaket vor allem Familienkonzerne: BMW, Metro oder Henkel sahen ihre Anteile um ein Drittel bis die Hälfte schrumpfen. Ebenso stark mit anderen verflochtene Konzerne wie Allianz oder Münchner Rück.

Die Gewichtung der einzelnen Aktien in wichtigen Indizes ist bedeutsam für Fonds, die ihre Anlagenmischung eng an einem solchen Index orientieren. Sie sind gezwungen, bei einer Neukomposition so lange Aktien zu kaufen oder zu verkaufen, bis der Index wieder abgebildet ist. Dadurch werden die Kurse erheblich beeinflusst: Von den 608 Milliarden Euro, die alle gehandelten Aktien des DAX derzeit zusammen wert sind, liegt etwa die Hälfte in Indexfonds, so die Berechnung von Experten.

Hat also der Kursabsturz der Telekom in den letzten Wochen – zeitweilig unter neun Euro am Freitag – auch damit zu tun, dass der Anteil der T-Aktie am DAX um gut 23 Prozent heruntergefahren wurde? Die Deutsche Börse als federführende Institution der Neugewichtung bezweifelt das: „Wir haben die Neuorientierung schon Mitte des Jahres 2000 angekündigt. Alle Marktteilnehmer konnten sich langfristig einstellen“, so ein Sprecher. Im Übrigen rechneten auch wichtige angelsächsische und internationale Indizes wie Eurostoxx oder FT 500 längst nur noch die wirkliche Marktkapitalisierung, nicht den gesamten Unternehmenswert.

Laut Bankenstudien haben sich die Fondsmanager längst vorbereitet. Hier gibt es Möglichkeiten wie Termingeschäfte, die einen Kauf von Aktien zu einem bestimmten Termin schon Jahre vorher ermöglichen und so nicht für eine schwer zu managende Kauf- oder Verkaufsspitze eines Wertes sorgen. Am Freitag war übrigens einer der „Hexensabbate“ im Börsenjargon, weil an diesem Tag besonders viele Termingeschäfte abliefen. Da war die Indexumstellung nur einer von vielen Einflüssen. Wer hier oft hinterherhinkt, sind die Kleinaktionäre. Für Reinhild Keitel, Sprecherin der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre, geht die Neuorientierung der Indizes jedoch „in eine gesunde Richtung“. Immerhin gebe es jetzt „keine fiktiven Angebote mehr“. Nur noch die Aktien, die auch wirklich im Handel wären, würden gezählt.

Kleinaktionären ist hier noch in Erinnerung, wie die Telekom den Index-Effekt ausnutzte: Vor der Platzierung eines ihrer drei Aktienpakete an der Börse ließ sie ihre gesamten Aktien in die Berechnung ihres DAX-Anteils einbeziehen – was früher auf Antrag möglich war. In der Folge wurde die Telekom zum Indexschwergewicht, die Fonds mussten nachkaufen, der Kurs wurde entsprechend beeinflusst, die neuen Aktien teurer an den Mann gebracht. Angesichts der langen Vorbereitungszeit der jüngsten Umgruppierung warnt Keitel jedoch: „Spekulationen auf Kursänderungen wegen der neuen Zusammensetzung sind nicht mehr angebracht.“

Deutsche Börse selbst ist Gewinner im MDAX

Beim MDAX ist der Hauptgewinner die Deutsche Börse AG selbst; sie verdoppelt ihren Anteil am Index von 4,1 auf 8,6 Prozent und ist neues Schwergewicht vor dem Chemieunternehmen Altana (7,9) und dem Pharmakonzern Beiersdorf (5,9). Beiersdorf rutscht hier von Rang eins auf drei ab, weil die Gründerfamilien noch das Sagen auf den Hauptversammlungen haben. Der Wert der gehandelten 70 Aktien in diesem Segment betrug Ende vergangener Woche 98,3 Milliarden Euro, deutlich weniger als die 30 Standardwerte des DAX.

Die 50 wichtigsten Werte des Neuen Marktes, der Nemax 50, sind zusammen nur noch 16,5 Milliarden Euro wert. Trotzdem muss die Börse natürlich eine Gewichtung der (seit längerem vor allem nach unten) stark schwankenden Kurse errechnen. Die gewichtigsten Unternehmen mit jeweils 10 Prozent sind im Nemax 50 jetzt BB Biotech, Singulus, T-Online und Qiagen.

Der Anleger mit etwas weiterem Horizont sollte sich von solchen Umstellungen nicht in seiner Anlageentscheidung beeinflussen lassen: Die Entwicklung einer speziellen Aktie über die Jahre hängt nicht ab von der Stellung im Index, sondern vom Profit des Unternehmens oder davon, ob eine Branche hochgejubelt wird. Und die Index-Fonds folgen den Index-Entwicklungen im Gleichschritt. Gewinnen und noch viel mehr verlieren lässt sich hingegen mit Derivaten, Optionsscheinen oder Futures an den kurzfristigen Umstellungsturbulenzen. Aber davon sollte der klassische Kleinanleger ohenhin die Finger lassen.

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