piwik no script img

Große Demo, kleiner Gegengipfel in Sevilla

„Eine andere Welt ist möglich“: 80.000 zogen durch die Straßen. Das Camp der Globalisierungsgegner dagegen war enttäuschend schwach besucht

SEVILLA taz ■ Die Erleichterung war den Veranstaltern des Gegengipfels deutlich anzumerken. Die Abschlussveranstaltung der Aktionstage verdiente tatsächlich den Namen Großdemonstration. Über 80.000 Menschen zogen am Samstagabend nach Ende des EU-Gipfels unter dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“ durch die Straßen Sevillas. Viele hatten befürchtet, die Menschen könnten nur zwei Tage nach dem Generalstreik gegen die Arbeitsrechtsreform der spanischen Regierung demomüde sein. Doch sie kamen einmal mehr: Gewerkschafter, Feministinnen, linke Parteien, Globalisierungsgegner und Umweltschützer zogen singend und tanzend durch die Stadt. Die zahlreich aufgezogene Polizei blieb ohne Arbeit.

Nichts hatte in den Tagen zuvor auf einen solchen Erfolg hingedeutet. Das Camp für Globalisierungsgegner blieb leer. „Wir haben 7.000 Teilnehmer erwartet. 1.000 sind gekommen“, gesteht Christoph Bautz. Der Sprecher der deutschen Attac ist nur mit einer 60-köpfigen Delegation angereist. Weitere 20 Deutsche, darunter auch der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, reisten auf eigene Initiative nach Sevilla. „Wir müssen uns überlegen, eigene Akzente zu setzten und weniger von Gipfel zu Gipfel reisen“, überlegt Bautz angesichts der schwachen Beteiligung.

Am meisten Fernsehkameras und Zuschauer zogen zwei Hand voll AktivistInnen an, die vor der Filiale der spanischen Staatsbank in Sevilla für mehr Transparenz und Besteuerung des Kapitalverkehr demonstrierten – nackt. Am Freitagnachmittag staunten die Globalisierungsgegner nicht schlecht. 3.000 Polizisten demonstrierten, teils verkleidet, für bessere Arbeitsbedingungen. Gerufen hatten die sechs Polizeigewerkschaften des Landes. Sie nutzten den Anlass, „das unverhältnismäßig große Polizeiaufgebot in Sevilla“ zu kritisieren. 9.000 Beamte hatte die Regierung Aznar zusammengezogen. Die fehlten anderenorts.

Die baskische Separatistenorganisation ETA nutzte dies aus, um sich auf ihre Art an die Proteste anzuhängen. „Gegen die EU der Staaten“, gab sie wenige Tage vor dem Gipfel als Losung aus. Am Freitag und Samstag zündeten die radikalen Nationalisten fünf Sprengsätze.

Am Freitag früh explodierten zwei Autobomben in der unmittelbaren Nähe von Hotelkomplexen an der Costa del Sol, eine in Fuengirola und die zweite in Marbella. Ein weiterer mit Sprengstoff beladener Pkw flog im ostspanischen Zaragoza neben einem Kaufhaus in die Luft. Am Samstagmittag dann krachte es abermals in Fuengirola. Zwei Stunden später detonierte eine Autobombe in der Nähe eines Bürogebäudes im nordspanischen Santander.

Bei allen Anschläge warnte ETA vorab. Dennoch wurden bei der ersten Bombe in Fuengirola acht Personen verletzt. Ein 33-Jähriger aus Großbritannien ringt noch immer mit dem Tod.

Die Sprengsätze könnten der Auftakt einer neuen „Sommerkampagne“ sein. Seit Jahren greift die ETA in den Urlaubsmonaten immer wieder touristische Ziele an. Die spanischen Reiseveranstalter befürchten jetzt einen Rückgang der Buchungen.

REINER WANDLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen