: Die Türken kommen!
Iman Luther: Eine Tagung in Berlin erörterte„Islamische Perspektiven in der säkularen Gesellschaft“
Am Samstagmorgen ist die Welt noch in Ordnung. Viele Berlin-Touristen tummeln sich in der heißen Junisonne am Reichstag. Ein Kunstplakat begrüßt die Pilger an der Südseite des Gebäudes. „Coexist“ steht dort darauf geschrieben, in eigenwilliger Typografie. Das C hat die Form eines Halbmondes, das X ersetzt ein Davidstern, und das abschließende T ist zum christlichen Kreuz geformt. Die Weltreligionen proben die friedliche Koexistenz, zumindest hier und jetzt im Geltungsbereich eines Nichtortes, wie es ein verwaistes Parlament nun mal ist.
Einige Stunden später muss diese Idee einen gründlichen Realitätscheck durchlaufen. Nachdem ein Allgäuer der Türkei einen sportpolitischen Erdrutschsieg beschert hat, zieht es die Autocorsi in Richtung Tiergarten. Die Fans müssen sich tüchtig ins Zeug legen, um ihrer Freude Gehör zu verschaffen, weil zeitgleich der Christopher Street Day über die Straße des 17. Juni paradiert. So feiert man sich eben – rote Fahnen neben roten Federboas – zwar Seite an Seite, aber wie in zwei Paralleluniversen. Fußball ist Religion und Sex auch, scheinen uns diese beiden Subkulturen zu sagen.
Man kann nur vermuten, dass das Haus der Kulturen sich bei der Ansetzung der Konferenz „Islamische Perspektiven in der säkularen Gesellschaft“ nicht ganz über etwaige terminliche Überschneidungen im Klaren war. Die Referenten, die aufgrund des Verkehrschaos nur unter Mühen den Weg zum Veranstaltungsort fanden, nutzten jedenfalls häufiger die Gelegenheit, auf den Feilandversuch in Sachen Toleranz ironisch hinzuweisen.
Antje Vollmer, die tags zuvor auf dem Podium saß, hatte indes zu bedenken gegeben, dass ein globalisiertes Spiel nicht ausreichend dafür sei, jene „ethische Substanz“ auszubilden, die multikulturelle Gesellschaften für ihr Funktionieren so dringend benötigten.
Bei dieser mit vielen internationalen Islamwissenschaftlern gespickten Konferenz war viel die Rede von den Missverständnissen und Unterlassungen, die den Dialog zwischen den Weltreligionen wechselseitig behindern. Während Nurcholis Madjid (Djakarta) die „Verständniskluft“ beklagte, suchte Abdou Filali-Ansary (London/Casablanca) nach Gründen dafür, warum die „exogene Modernisierung“ islamischer Länder zu einer strukturellen Asymmetrie geführt habe. Er stellte sehr in Frage, dass eine Art nachholende Aufklärung, wie von westlicher Seite gefordert, der geeignete Schlüssel zu einer Konvergenz der unterschiedlichen politischen Systeme sei.
Damit war der Rückpass in der anderen Hälfte gelandet, und die Veranstalter hatten sich in der Tat viel davon versprochen, die übliche Rollenverteilung bei derlei Veranstaltungen einmal umzukehren. Es sollte sich jedoch schnell zeigen, dass die innerdeutsche Demokratiedebatte ein solches Ansinnen unterlief. Zwar begründeten Warnfried Dettling und Ekkehart Krippendorff übereinstimmend die Krise des westlichen Modernisierungsprogramms mit der fehlenden „emotionalen Sicherheit“ beziehungsweise „moralischen Rückbindung“. In der Folgezeit verlegten sie sich aber darauf, ihre widerstreitenden Ansichten über die USA auszutauschen. Ein Denkanstoß wie der von Filali-Ansary, einmal das imaginäre Geschichtsrad zurückzudrehen und über die Möglichkeit eines „Imam Luther“ und „Ali Weber“ nachzudenken, wurde erst gar nicht aufgegriffen. Mit historischen Kontingenzen wollte weder der linke noch der rechte Deuter des Weltenlaufs arbeiten.
Die zentrale Frage aber blieb, inwieweit ein säkularer Staat auch offen sein muss für religiöse Lebensweisen, welche die liberale Kunst der Trennung nicht immer mitmachen wollen. Mit dem Koran sei diese durchaus vereinbar, betonten Abo Elela Mady (Kairo) und Mohammad Al-Habib Al-Marzouki (Tunis). Erst der politische Islam habe jene „begrenze Pluralität“ eingeleitet, welche der erforderlichen Toleranz entgegenstehe. Es komme nun mehr denn je darauf an, den innerreligiösen Disput über diese ideologische Verengung auch gegenüber dem Westen deutlicher zu betonen.
Martin van Bruinessen (Leiden/Utrecht) blieb es vorbehalten, den schönsten rhetorischen Treffer zu landen. „Vielleicht wird Deutschland durch die Anwesenheit der Türken ja endlich säkularisiert“, ätzte er mit Blick auf die Kruzifixe in bayerischen Amtsstuben. So viel Freiheit kann sich freilich nur ein Holländer herausgreifen. Schließlich sind die Niederlande ja nicht dabei, beim dreißigtägigen Glaubenskrieg in Japan und Südkorea mit zivilen Mitteln.
JAN ENGELMANN
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