arbeitsmarktreform: Heilung durch Statistik
„Revolution“ und „Radikalkur“: Politik und Medien sparen nicht an Superlativen des Erneuerungsvokabulars, wenn es gilt, die Arbeitsmarktvorschläge der so genannten Hartz-Kommission zu beschreiben. Aber was heißt hier radikal? Tituliert wird damit vor allem eine Umdefinition der Statistik.
Kommentarvon ULRIKE HERRMANN
Auf eine Bereinigung der Zahlen etwa läuft die Idee hinaus, dass sich Arbeitslose ab 55 demnächst „freiwillig“ für ihre Arbeitslosigkeit entscheiden dürfen. Zwar sinkt dann ihr Arbeitslosengeld, doch können sie nebenher mehr dazuverdienen. Unausgesprochen hat die Hartz-Kommission damit zweierlei anerkannt: dass ältere Arbeitnehmer kaum noch Hoffnung auf reguläre Jobs haben – und dass das reine Arbeitslosengeld meist nicht so recht zum Leben reicht. Aber was hat dies mit „freiwilligen“ Entscheidungen zu tun? Oder mit mehr Jobs? Oder mit weniger Arbeitslosen? Nichts.
Statistisch schön ist auch der Vorschlag, die Arbeitsämter in Leiharbeitsfirmen umzuwandeln. Jeder Arbeitslose ist dann offiziell beschäftigt – aber das bringt noch keine einzige reale Stelle, dafür aber viele klingende Umwidmungen. Die Stütze ist aufgewertet zum „Gehalt“, und der Jobvermittler beim Arbeitsamt steigt auf zum „Chef“.
Und schließlich liftet es die Statistik, das Schatteneinkommen der Erwerbslosen zu legalisieren. Wer jetzt illegal putzt, kann dies künftig als offizielle „Ich-AG“ tun – wenn er oder sie nicht mehr als 20.000 Euro im Jahr verdient, denn sonst geht der Anspruch auf das Arbeitslosengeld verloren.
Dieser letzte Hartz-Vorschlag überzeugt sogar – aber man sollte Arbeitsmarkt- und Haushaltspolitik nicht verwechseln. Der neue Blick auf die Schattenwirtschaft ist ein Beitrag zum Großthema „Steuer- und Abgabenehrlichkeit“ und hat zunächst nichts damit zu tun, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Das kann nur glauben, wer meint, die Erwerbslosigkeit sei ein eingebildetes Problem, das seit den 70ern allein deswegen so vehement diskutiert wurde, weil man leider aus Versehen die falschen Erhebungsmethoden benutzt hat.
Dass die Hartz-Kommission auf die heilende Kraft der Statistik setzt, ist nicht zu übersehen. Und mit ihr die rot-grüne Regierungskoalition. Rechtzeitig zur heißen Wahlkampfphase kann sie nun doch noch erklären, wie es kam, dass Kanzler Schröder die Arbeitslosenzahl bisher zwar noch nicht gesenkt hat – dies aber bestimmt bald tun wird. Versprochen ist versprochen.
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