Ich Autor, du Freytag

Nach Martin Walser widmet sich nun auch Bodo Kirchhoff in seinem „Schundroman“ dem deutschen Literaturbetrieb

Vor drei Wochen erklärte Bodo Kirchhoff im Spiegel, wie ihm und dem Kollegen Walser nach ihren letzten Veröffentlichungen der Literaturbetrieb „im Nacken saß“ und anschließend ein „inneres Fass überlief“. Walsers Rachefeldzug gegen Marcel Reich-Ranicki war zum Zeitpunkt dieser Wortmeldung bereits bekannt – und Kirchhoff kündigte nun an, ebenfalls ein Buch vorzulegen, das sich den Literaturbetrieb „vorknöpft, statt ihn zu erdulden“. No mercy.

Sein „Schundroman“ ist seit heute im Handel. Die Auslieferung wurde angesichts der Aufregung um Walsers Konkurrenzprodukt zunächst gnadenlos vom Herbst auf den 8. Juli und dann noch einmal vorgezogen. Bemerkenswert, dass Kirchhoff sich zunächst einmal den Gesetzen des mafiösen Betriebes beugt, dem er es doch eigentlich so richtig zeigen wollte. Alles eine Frage der Haltung: „Das Sizilianische unseres Literaturbetriebs lieferte die Notwehrlage für diesen Roman aus der Hüfte“, erklärt der Autor in einer kleinen Vorbemerkung seines Romans.

Der „Schundroman“, das verraten Titel und Titelbild, möchte eine Parodie auf das sein, was man hierzulande einen Groschenheft-Roman und in den USA pulp fiction nennt. Das Personal ist dementsprechend sorgsam ausgesucht: Es gibt einen einhändigen Exmajor, der Auftragsmorde organisiert, einen aus dem Dienst geschiedenen Bullen, der sich vor den Schatten der Vergangenheit in die Arbeit als privat eye flüchtet, und außerdem Willem Hold, den Killer mit einer Vorliebe für teure Armbanduhren und geheimnisvolle Frauen. Wie zum Beispiel Lou. Hold lernt sie in der First Class einer Lufthansa-Maschine kennen. Nach der Landung in Frankfurt will er ihr einen Gefallen tun, aus dem Gefallen wird ein Handgemenge, und zum Schluss liegt ein gewisser Louis Freytag tot am Boden – Deutschlands berühmtester Literaturkritiker (vgl. Marcel Reich-Ranicki). Weitere Tote folgen, gerade ist Buchmesse, und die Presse glaubt an den Amoklauf eines enttäuschten Schriftstellers.

Die Bemühungen ums Genre werden von Seite zu Seite halbherziger. Kirchhoff hat sich bei seinen Recherchen nicht an wirkliche pulp fiction gehalten, sondern unter anderem an den gleichnamigen Film Quentin Tarantinos, der ja selbst weniger Genre als Spiel mit Genre ist. Die Restaurant-Szene aus „Pulp Fiction“ findet sich ebenso wie Dusty Springfields „Son of a Preacher Man“ aus dem Soundtrack: blasse Zitate von Zitaten.

Spätestens wenn aus der geheimnisvollen Lou dann eine verkannte Dichterin und aus Willem Hold ihr Rächer im Namen aller von der Kritik enterbten Künstler wird, hat Kirchhoff seinen im Grunde genommen netten Einfall, einmal ordentlichen Schund zu schreiben, ohnehin vollständig seinem Feldzug gegen den Literaturbetrieb geopfert. Genau wie Walsers „Tod eines Kritikers“ steht Kirchhoffs „Schundroman“ in einer langen Reihe von deutschen Schlüsselromanen über den Literaturbetrieb. Und das ist das Problem.

Schlüsselromane werden geschrieben, damit man in ihren Figuren Personen des wirklichen Lebens wiedererkennt. Manchmal wird in ihnen quasi hinter vorgehaltener Hand die Wahrheit über einen einzelnen Menschen des öffentlichen Lebens gesagt – so wie in Klaus Manns „Mephisto“ über Gustav Gründgens. Andere Schlüsselromane versprechen unverstellte Einsichten in ganze gesellschaftliche Teilbereiche. So haben politische Schlüsselromane viel Erfolg, weil ihre Leser in ihnen ihre Ressentiments gegen die politische Klasse bestätigt finden: „Die da oben“ haben keine weiße Weste, sondern sind vor allem machtverliebt, geldgierig und schwanzgesteuert. Solche Romane beziehen ihre Anziehungskraft aus der Kluft zwischen dieser Wahrnehmung und der Selbstdarstellung der Politiker, die naturgemäß das genaue Gegenteil von sich behaupten.

Schlüsselromane wie der „Schundroman“ oder der vor einigen Jahren von Werner Fuld unter einem Pseudonym veröffentlichte „Abstieg vom Zauberberg“ nun heben auf eine ähnliche Korruption des Literaturbetriebs durch menschliche Leidenschaften ab: Kirchhoffs Schriftsteller und auch seine übrigen Betriebsaktivisten sind selbstverliebt, erfolgsgeil und sexversessen.

Damit bestätigt er keine Vorurteile, sondern bildet einfach nur genau wie sein Kollege Walser leicht übertrieben die tatsächliche Show ab, deren Zeuge man bei Buchmessen, in Talkshows oder im Feuilleton der deutschen Zeitungen werden kann. Das Bild des feinsinnigen, weltabgewandten homme de lettres muss bestimmt nicht mehr zerstört werden: Schriftsteller und mitunter auch Kritiker lieben es, sich selbst als erfolgreiche Lebemänner mit einem Hang zum schönen Geschlecht zu inszenieren und ihre Hahnenkämpfe in aller Öffentlichkeit auszutragen. Klatsch, auch böser Klatsch, gehört einfach dazu.

Im Literaturbetrieb gibt es nun einmal im Gegensatz zur Politik keine Hinterbühne, auf der die eigentlichen Fäden gezogen werden. Es gibt nur das Scheinwerferlicht des Betriebes – und das einsame Zimmer, in dem die Schriftsteller und Schriftstellerinnen gemeinhin ihre Bücher schreiben. Kirchhoffs „Schundroman“ ist genau wie Walsers „Tod eines Kritikers“ nicht in diesem stillen Kämmerlein entstanden, sondern unter den Augen der Öffentlichkeit. Beide Bücher haben, um im Vergleich zu bleiben, den Charme einer aktuellen Ausgabe der „Tagesschau“ und vor allem eine vergleichbare Haltbarkeitsdauer. Morgen schon sind sie vergessen.

KOLJA MENSING

Bodo Kirchhoff: „Schundroman“. FVA, Frankfurt a. M. 2002. 320 S., 19,80 €