: 1 Woche Streik: 13 Cent mehr Lohn
Die Baubranche hat sich nach ihrem ersten Nachkriegsstreik schnell geeinigt: Es gibt 3,2 Prozent mehr Lohn. Die BAU-Gewerkschaft triumphiert. Die Arbeitgeber im Osten jammern – obwohl die Ost-Mindestlöhne erheblich niedriger bleiben
aus Dresden MICHAEL BARTSCH
Im Streikzelt am Dresdner Gewerkschaftshaus herrschte am Dienstagmittag keine euphorische, aber aufgeräumte Stimmung. Der größte Sieg sei gar nicht der Tarifabschluss, sondern die Selbstüberwindung der Bauleute, sagt der sächsische IG-BAU-Chef Frank Kunze. „Die Kollegen haben mit der Streikbereitschaft endlich ihre Angst abgelegt.“ Insofern habe man auch einen Stellvertreterkampf für andere Branchen geführt.
Von dem am frühen Dienstagmorgen in Wiesbaden erzielten Tarifabschluss profitieren in der Tat ostdeutsche Arbeitnehmer wenig. Der für alle geltende Mindestlohn steigt hier ab 1. September nur um 13 Cent auf 8,76 Euro je Stunde. Im Westen müssen 10,12 Euro gezahlt werden, 3,2 Prozent mehr als bisher. Bis dahin gibt es nur im Westen drei Einmalzahlungen von je 75 Euro. Vom 1. April 2003 an sollen dann in Ost und West die Mindestlöhne um weitere 2,4 Prozent steigen. Das West-Ost-Gefälle wird zementiert durch eine neue Mindestlohnkategorie für Baufacharbeiter, die im Osten bei 10,01 Euro liegt und im Westen bei 12,47 Euro.
Die auch nach Angaben von Schlichter Heiner Geißler sehr zähen Verhandlungen wurden letztlich von den für beide Seiten teuren Streikfolgen gedrängt. Aus einigen ostdeutschen Bundesländern waren auch Bilder von Streikbrechern zu sehen, die um ihre Arbeitsplätze fürchteten. Umgekehrt zeigten gezielte Arbeitsniederlegungen wie etwa an der bekannten Baustelle der Dresdner Frauenkirche Wirkung. Baudirektor Eberhard Burger drohte bereits mit Klage wegen mehrmonatigen Bauverzuges.
„Wir haben dieses Ergebnis nur erreicht dank unseres Arbeitskampfes“, triumphierte IG-BAU-Bundesvorsitzender Klaus Wiesehügel. Thomas Bauer, Verhandlungsführer der Arbeitgeber, appellierte an alle Betriebe, diesem „bestmöglichen Ergebnis“ zuzustimmen. Diese Einschätzung wird allerdings nicht überall geteilt. Klaus Bertram, Geschäftsführer des sächsischen Baugewerbeverbandes, hält den Abschluss für „nicht tragfähig“. Strittig ist auch die reale Wirkung des Abschlusses. Nach schwankenden Angaben sind höchstens 50 Prozent der Ost-Baubetriebe tarifgebunden. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad liegt noch niedriger. Am heutigen Mittwoch sollen die Streiks ausgesetzt werden. Bis zum 4. Juli müssen beide Seiten ihre Zustimmung erklären. Die IG BAU setzt dafür erneut eine Urabstimmung an.
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