Abnehmendes Rauschen

Seit Jahren versucht sich die Freie Radioszene in der Hauptstadt Gehör zu verschaffen – erfolglos. Ein kleiner Halbsatz im rot-roten Koalitionsvertrag ist für sie nun schon mehr als ein Hoffnungsschimmer

von HENNING KRAUDZUN

Eigentlich müsste Berlin neidisch nach Husum schauen, an die nordfriesische Küste. Dort gibt es das, was in der Hauptstadt noch nicht existiert, obwohl es sich Tausende Menschen wie die Erlösung herbeisehnen. Seit drei Jahren ist der alternative Hörfunkkanal „Freie Radio Cooperative Husum“ offiziell auf Sendung. Er arbeitet zwar mit bescheidenen Mitteln, aber man ist der Illegalität entkommen und wird von der Landesregierung unterstützt.

In Berlin brauchen die Befürworter für eine unabhängige Stimme im Äther einen langen Atem. Was in fast allen Bundesländern seit 1993 möglich ist, der in den Landesmediengesetzen als dritte Säule festgeschriebene „nichtkommerzielle, lokale Rundfunk“, ist in der Hauptstadt Wunschvorstellung geblieben. Seit fast sechs Jahren versuchen verschiedene Radioinitiativen, die sich im Verein „PI-Radio“ zusammengeschlossen haben, eine Frequenz zu erwirken. Bis jetzt stießen sie jedoch in der Politik und bei der Landesmedienanstalt auf Beton. Es bestehe keine Notwendigkeit für weitere Kanäle, argumentierten die Medienbeauftragten. Der Bedarf sei schon mit dem öffentlich- rechtlichen und dem kommerziellen Rundfunk gedeckt.

„Es gab einzelne Hoffnungsschimmer, mit Veranstaltungsfrequenzen für kurze Zeit“, sagt Jens Gröger von „PI-Radio“, das aus dem ehemaligen Piratenfunk „Sender P“ hervorgegangen ist. Doch aus einem dauerhaften Sendebetrieb wurde nichts.

Die „Chronik des Scheiterns“, so nennt „PI- Radio“ selbstironisch die Bemühungen für ein Freies Radio, füllt ganze drei DIN- A4-Seiten. Die Radiomacher arrangierten sich zuerst mit dem Offenen Kanal Berlin und bekamen kurze Zeit später keine weiteren Sendezeiten zugeteilt. Sie veranstalteten Radiofestivals, betrieben Lobbyarbeit, kamen mit Landespolitikern ins Gespräch. Letztlich bewarben sie sich für die UKW-Frequenz 94,8 und bezahlten allein 3.000 Mark Verwaltungsgebühr, um ein Termin beim Medienrat zu bekommen. Der verweigerte indes den Dialog und wies den Antrag ohne Gründe ab. Das Geld wurde zwar zurückgezahlt, dennoch blieben alle Fragen unbeantwortet.

Trotz der Rückschläge verhalfen immer wieder Anschübe aus subkulturellen Strukturen und der linken Szene, das Vorhaben mit neuem Leben zu füllen. Mittlerweile existiert ein „Landesverband Freier Radios“, und es gründeten sich einzelne DJ-Radiokanäle wie „Twen FM“. Sie wurdenimmer wieder geräumt und machten trotzdem weiter. Immerhin ist Piraterie in der Radiolandschaft keine Straftat mehr, sondern nur noch Ordnungswidrigkeit.

Auch „PI- Radio“ ging in großen zeitlichen Abständen mit einfacher Technik auf Sendung, zuerst in einem kleinen Studio im Pfefferberg, dann vor über zwei Jahren noch einmal als „Radio Westfernsehen“ aus dem Tacheles. Nachdem in das Studio eingebrochen wurde und die Landesmedienanstalt vor der Presse zugab, illegale Radiosender bald verfolgen zu lassen, gaben die Betreiber abermals auf. Ein letzter Versuch des „Westfernsehens“ im Sommer 2000 wurde durch einen Polizeieinsatz gestoppt, diesmal nahmen die Gesetzeshüter gleich den Sender mit.

Doch inzwischen sind wieder die Konturen eines Hoffnungsschimmers am Radiohorizont zu sehen. Rot-Rot hat in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen, dass eine „Förderung nichtkommerziellen Lokalfunks wünschenswert“ sei. Eine Gesetzesnovelle hat jetzt wieder bessere Chancen. Vor knapp zwei Monaten wurde zudem eine Radiokampagne gestartet, die alle freien Berliner Initiativen vereinigt und gezielt mit Konzerten, Diskussionsforen und Aktionen für die eigene Sache wirbt.

„Bezeichnend für Berlin ist ja, dass jeder sein eigenes Süppchen kocht“, sagt Gröger. Doch jetzt sei die Chance da, an einem großen Strang zu ziehen. Wenn es irgendwann einmal existieren würde, wäre das Freie Radio Berlin das Dach für die einzelnen Rundfunkprojekte, mit redaktioneller Steuerung und basisdemokratischem Sendeplan. „Das ist dann etwas völlig anderes als der Offene Kanal, wo man monatelang auf einen Termin warten muss und am Ende doch keiner durchsieht“, betont Gröger. Auch die finanzielle Basis für ein Freies Radio sei bereits im länderübergreifenden Rundfunkstaatsvertrag geregelt: Ein Anteil der GEZ-Gebühren muss den Freien Radios überwiesen werden, immerhin bis zu 320.000 Euro pro Sender und Jahr.

Nun arbeiten die Leute von „PI-Radio“ mit neuem Schwung an Strategien, damit der eine Halbsatz im Koalitionsvertrag nicht wieder in Vergessenheit gerät. Die Argumente für einen unverbrauchten Rundfunk plärren ja tagtäglich aus den Empfangsgeräten, wenn sich die Hitparade mit den Aufdringlichkeiten der Werbeindustrie abwechselt und ein Hörer nur dann zu Wort kommt, wenn er ins Programmschema passt. „Viele Neuankömmlinge in der Hauptstadt sind geschockt über das Radioprogramm“, sagt Gröger. Allein im beschaulichen Weimar gibt es zwei unabhängige Stationen, die dort seit Jahren experimentieren dürfen. In Berlin trägt man immer noch die eigenen Ideen wie Ballast mit sich rum.

Weitere Infos im Internet: www.radiokampagne.de www.piradio.prenzl.net