: Hacker haben zocken gelernt
Auf der Website von „Gulli“ scheint das Internet immer noch ein Reich der Anarchie zu sein. Aber Vorsicht: Auch Netzpiraten wollen Geld verdienen, und ihre Geschäftsidee ist ein voller Erfolg
von GÜNTER BERGER
Dotcoms sind mausetot. Aber das Internet lebt, und wer etwas auf sich hält, kennt mindestens eine Adresse, unter der alles ganz anders ist. So wie früher, als alles umsonst und frei war. „Warez“ heißt dort teure Software, die kostenlos herunterzuladen ist, und „Crackz“ sind kein Rauschgift, sondern kleine Programme, die Testversionen kommerzieller Produkte freischalten.
Selbst begabteste Programmierer in dieser weltweiten Szene fühlten sich in der Regel dem Prinzip des Teilens und Tauschens verpflichtet. Aber überall dort, wo sich viele Leute im Netz tummeln, da wittern auch die Geschäftemacher ihre Chance. Zuerst war wie immer die Pornobranche zur Stelle und ging strategische Koalitionen mit der Warez-Szene ein. Denn von den vielen Leuten, die hinter den neusten Programmen, Filmen oder Spielen herjagten, konnte man hin und wieder einige auch dazu bewegen, Geld für Sex auszugeben. Die Entwicklung von Dialern, also kleinen Programmen, die selbstständig eine teure Verbindung ins Internet aufbauen (in der Regel über eine 01 90-Telefonnummer, die meist etwa 1,86 Euro pro Minute kostet), brachte den Piraten weitere Verdienstmöglichkeiten: Man lockt die User mit Warez, Crackz und Serialz, und versucht ihnen mit dem Versprechen von noch mehr Leckereien solch einen Dialer unterzujubeln.
Clevere Seitenbetreiber können sich auf diese Weise einen Verdienst von mehreren tausend Euro pro Monat sichern.
Unter dem Deckmantel einer angeblich anarchisch freien Szene hat sich inzwischen ein fester Markt etabliert. Eine der größten Piratenseiten heißt „Gulli“ (www.gulli.com). Offensichtlich Illegales ist dort nicht zu finden, aber man bekommt die passenden Tipps: Unter der Adresse board.gulli.com ist das größte Nachrichtenboard der Szene mit über 12.000 Mitgliedern angesiedelt. Gulli selbst gibt sich gern als Vorkämpfer einer besseren Gesellschaft. Er schreibt: „Ich würde gerne einer größeren Masse mal meinen Standpunkt von der Anarchie darstellen. Ich meine damit nicht die Anarchie, die auf vielen Seiten im Internet zu sehen ist, wo es zum Beispiel um das berühmt-berüchtigte ‚Anarchist Cookbook‘ geht, sondern um die Anarchie, die versucht, eine bessere, lebenswertere Alternative zu diesem System darzustellen. Ich bin allerdings der Meinung, dass wir diese Anarchie in der nächsten Zeit mit Sicherheit (noch) nicht erleben werden, weshalb ich denke, dass wir auch heute sehen müssen, dass wir hier und heute leben und der Spaß nicht zu kurz kommt.“
Teure Tretminen
Nur: Ohne etwas Werbung kommt auch der Spaß nicht aus, immerhin fordert der rege Datenverkehr schnelle Rechner und eine leistungsfähige Netzanbindung. All das kostet Geld. Das Geld der User. Mit vielfältigen Angeboten versucht Gulli sie zu einer kleinen Spende zu überreden. Da gibt es teure Handylogos und Klingeltöne, wenn man auf sendman.gulli.com klickt, und unter piratos.gulli.com findet man einen Hackerserver.
Höhepunkt der Geschäftsidee sind kleine Piraten-Dialerprogramme, die Gulli als Dreingabe zu seiner Sammlung von Seriennummern dazupackt. Natürlich hat Gulli die Seriennummern nicht selbst zusammengestellt, er baut nur auf der kostenlosen Arbeit einer englischsprachigen Initiative auf.
Und so wird das gesamte Umfeld um Gulli herum mit vielen Tretminen gepflastert. Wer versehentlich www.gulli.de, www.gulli.info oder www.gulli.biz in den Browser tippt, landet immer bei ebenjenem Piratenserver, den man nur über einen teuren Dialer betreten kann. Gulli bestreitet zwar, direkt mit diesen Seiten zu tun zu haben, doch er räumt ein, dass deren Inhaber Randolf J. seinen Auftritt im Web seit einiger Zeit finanziert. So schreibt er auf Anfrage: „Du solltest dir nur klar sein, dass ohne die Unterstützung durch Randolf und seine Firma gulli.com nicht betreibbar wäre, da sie mich seit einigen Jahren maßgeblich unterstützen.“
Nun ist Randolf J. im Netz auch kein Unbekannter. Zusammen mit einem Freund betrieb er die Domain Verteidigungsministerium.de, unter der die beiden Beratung für Kriegsdienstverweigerer anboten. Ihr Fall machte Furore, weil im vergangenen Jahr das Bundesverteidigungsministerium einen Prozess gegen den Betreiber der Seite angestrengt und die Domain für sich beansprucht hat. Vertreten wurden die beiden Beklagten durch den ebenfalls szenenotorischen Anwalt Günter Freiherr von Gravenreuth.
Sex und Antifa
Also stets gut beraten hatte der damals 21-jährige Randolf J. Ende 2001 eine Internetfirma mit einem Kapital von 31.000 Euro in der deutschen Steueroase Norderfriedrichskoog gegründet. Schaut man sich die Seiten an, für die diese Firma verantwortlich zeichnet, so trifft man fast überall wieder auf Dialer. Angelehnt an die berühmte und bekannte Crackz-Suchmaschine im Netz, astalavista.box.sk, ist die Adresse astalavista.de, eine Hackerseite firmiert unter hacking.de. Auch Radikalpolitisches ist im Angebot: Die Domain antifa.info bietet seine Firma all den Interessierten an, die diese mit entsprechendem Inhalt füllen wollen. Aber unter sexhammer.com ist sich Randolf J. auch für Pornos nicht zu schade.
Zur Frage, wie denn seine Beziehungen zu Randolf J.s Firma nun genau aussehen, will sich Gulli nicht äußern. Nach Rücksprache mit seinem Anwalt bestehe „kein Interesse an einer Veröffentlichung“, schreibt er in einer E-Mail und schickt eine Kopie seines Schreibens an die Kanzlei Gravenreuth, die ihm offensichtlich auch in diesem Fall hilfreich zur Seite steht.
Längst ist Gulli ein Markenprodukt im Netz geworden. Vorbei sind die Zeiten, in denen man solche Projekte aus politischen oder anderen ideellen Gründen betrieb; heute stellt die Szene meist jugendlicher User eine Kundengruppe dar, an der man gutes Geld verdienen möchte und offensichtlich auch kann, wenn man es nur geschickt genug anstellt. Dabei geht es schon lange nicht mehr darum, die entstehenden Kosten für den eigenen Webauftritt zu finanzieren. Ahnungslose, aber von den Hackermythen faszinierte Surfer werden mit Dialer-Programmen ausgenommen. Wie schrieb doch Gulli schon ganz richtig in seiner Eigenwerbung: „Wenn Arbeit was Geiles wäre, würden die Bonzen sie für sich behalten. Strenge dich möglichst wenig an, genieße das Krankfeiern, organisiere dich mit KollegInnen, verkaufe deine Arbeitskraft so teuer wie möglich.“
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