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Kein bisschen zu Hause

Wenige Spätaussiedler halten es im Land Brandenburg länger als drei Jahre aus. Kontakte zu Einheimischen aufzubauen ist schwierig, und Arbeit gibt es kaum. Ein Besuch in Neuruppin

von CHRISTOPH SCHULZE

Es ist Nachmittag und die Sonne scheint durch die Gardinen in den zweiten Stock im Familienzentrum im nordbrandenburgischen Neuruppin. Die Einrichtung des Zimmers ist so typisch deutsch, dass es sich fremd anfühlt. Es ist das erste Mal, dass hier ein Nachmittag für die Aussiedler Neuruppins stattfinden soll, und Organisatorin Galina Güthenke, 33, hat sich alle Mühe gegeben: Spielsachen für die Kinder liegen auf dem dicken Teppich bereit, ein Video in russischer Sprache läuft im Fernsehen, um die Kaffee-und-Kuchen-Tafel stehen biedere Sofas.

Nur: Die Russlanddeutschen fehlen. Lediglich drei oder vier sind gekommen. Schätzungsweise leben 900 im Landkreis Ostprignitz-Ruppin, genaue Zahlen kennt niemand, da Aussiedler in den Statistiken nicht gesondert aufgeführt sind. „So ein Treff muss sich erst herumsprechen“, sagt Güthenke optimistisch, während sie Kaffee eingießt und russische Süßigkeiten anbietet. Sie selbst ist Ukrainerin, seit neun Jahren in Deutschland und als SAM-Kraft im Familienzentrum angestellt. Aus eigener Erfahrung kennt sie die Schwierigkeiten ihrer Klientel, sich in einem Deutschland zurechtzufinden, das wenig mit ihrem urspünglichen Deutschlandbild zu tun hat. Da gab es diesen jungen Kerl, der ankam und stolz alle möglichen Volkslieder rauf und runter singen konnte, und Goethe konnte er auch zitieren. Trotzdem gelingt es ihm bislang nicht, Fuß zu fassen: kein ausreichendes Deutsch für einen Job, Sozialhilfe, zu Hause sitzen, misstrauische Blicke von den Leuten in der Nachbarschaft.

Plötzlich kommt ein Mann in das Familienzentrum geschneit, und augenblicklich wird Galina Güthenke zur Kaffee-Eingießerin degradiert. Michael Möbius ist – auch auf SAM-Basis angestellt – als Netzwerkmanager im Kreissozialamt für Aussiedlerfragen zuständig. Den Termin wollte er nicht verpassen und freut sich sichtlich über die Pressepräsenz. „Viele Spätaussiedler gehen ganz schnell nach ihrer Ankunft hier weg in die westlichen Bundesländer, wo sie Verwandte haben und wo es Arbeitsplätze gibt“, referiert er aus dem Stand. „Nur 30 Prozent der uns zugewiesenen sind nach drei Jahren noch hier.“ Wirkliche Integration sei so schwer machbar. Auch werde seine Arbeit von manchen Behörden torpediert, sagt Möbius. Doch es gebe durchaus auch positive Beispiele: „Ein Russlanddeutscher, studierter Biologielehrer, hat sich gewissermaßen hochgearbeitet. Der ist jetzt Chauffeur vom Landrat.“

In der Zeit, in der Netzwerkmanager Möbius geredet hat, ist ein junges Paar in das Zimmer gekommen und schaut sich ein englischsprachiges Fotobuch über die Schönheiten Kiews an. Seit knapp einem halben Jahr wohnen Dimitrij und Viktoria Gert in Neuruppin, vor einem Jahr kamen sie in die Bundesrepublik. Den 900-stündigen Sprachkurs haben sie absolviert, trotzdem ist die Hilfe von Galina Güthenko nötig, um sich mit den beiden zu unterhalten. Erstes Thema: die Fußball-WM. „Als Russland spielte, war ich für Russland, wenn Deutschland spielt, bin ich für Deutschland“, sagt Dimitrij, Jahrgang 1976, und fügt hinzu: „In meiner Brust schlägt ein Doppelherz.“ Er wirkt schüchtern, erzählt wenig und leise, schaut lieber auf den Teller vor sich als seinen Gesprächspartnern ins Gesicht. Seine Frau Viktoria redet, so gut es geht, deutsch. Aus Simferopol in der Krim stammen beide, er hat deutsche Wurzeln, sie nicht. „1993 haben wir uns kennen gelernt, eine Freundin hat uns verkuppelt“, lacht die 23-Jährige. 1995 folgte die Heirat, vor drei Jahren kam Sohn Daniel zur Welt.

Und vor einem Jahr fällten die beiden die Entscheidung, nach Deutschland zu gehen. „Viele Verwandte waren schon hier, das Leben ist wirtschaftlich gesehen viel leichter als in der Ukraine“: Wie die meisten Spätaussiedler der letzten Jahre kamen Dimitrij und Viktoria Gert weniger auf der Suche nach einer ursprünglichen Heimat, sondern aus ökonomischen Gründen nach Deutschland. Es fiel nicht leicht, alles aufzugeben. Doch in den Briefen der Verwandten stand vieles Gute über die Bundesrepublik. Die Probleme wurden nicht erwähnt. „Wir hätten nie gedacht, dass es so schwer ist mit der Sprache“, sagt Viktoria, „und wir würden gerne arbeiten und nicht immer nur zu Hause sitzen.“ Sie hat in der Ukraine eine EDV-Ausbildung gemacht, er verkaufte Heizungen. Jetzt lebt das Ehepaar von Sozialhilfe, Viktoria möchte sich zur Kosmetikerin umschulen lassen, Dimitrij versucht, für ein paar Jahre bei der Bundeswehr unterzukommen. Freunde haben sie noch keine gefunden, seit sie in Neuruppin sind. Und dann sind da diese Blicke manchmal, auf der Straße, wenn russisch geredet wird: „Beim Einkaufen unterhalten wir uns nicht miteinander. Damit wir nicht zu sehr auffallen.“

Doch nicht auffallen, Ärger vermeiden, das ist schwierig. Als die nur 30 Kilometer entfernt von Neuruppin liegende Stadt Wittstock zur Sprache kommt, wird die Stimmung bedrückend. Dort wurde Kajrat B., ein aus Kasachstan stammender Russlanddeutscher, vor ein paar Wochen von deutschen Rassisten ermordet. Viktoria und Dimitrij kannten ihn gut. „Als wir in Freyenstein bei Wittstock wohnten, da haben wir oft mit Kajrats Familie gefeiert. Es ist unbegreiflich.“ Das Ehepaar hat sich bisher noch nicht getraut, bei der Mutter von Kajrat anzurufen. Es bleibt der schwache Trost in Neuruppin zu wohnen und nicht auch nach Wittstock gekommen zu sein, wo es schlimmer mit den Nazis ist. Rechte Deutsche terrorisieren Deutschstämmige aus der ehemaligen UdSSR. Dabei ist es für manchen Aussiedler eine Beleidung, als Russe und nicht als Deutscher bezeichnet zu werden.

Zukunft? Viktoria ist optimistisch: „In fünf Jahren, da möchte ich gut Deutsch sprechen können, eine schöne Arbeit haben, in einer größeren Stadt wohnen. Noch ein Kind wäre auch sehr schön.“ Dimitrij nickt.

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