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Ruhe vor dem Sturz

Ist er der größte Singer-Songwriter seit Bob Dylan, mindestens? Ganz egal: Wilco-Sänger Jeff Tweedy lässt sich vom vielen Lob nicht die Laune heben

von ANDREAS MERKEL

Schlecht gelaunt ist gar kein Ausdruck. Jeff Tweedy steigt aus dem Bus und verschwindet, Tasche und Gitarre geschultert, den Blick stur auf den Boden gerichtet, im Schutz seiner Band Wilco so schnell wie ein Profisportler in der Umkleidekabine. Er sieht nicht so aus, als hätte ihm in den letzten vierunddreißig Jahren irgendetwas groß Spaß gemacht.

Kurze Zeit später, auf der Bühne des Hamburger Grünspan, scheint sich seine Laune nicht gebessert zu haben. Das Schlagzeug ist viel zu laut und Tweedy stimmlich nicht auf der Höhe. Er singt lustlos und verschlafen, kann die fragile Spannung seiner Songs nicht halten und kaut die ganze Zeit auf irgendetwas herum (Hustenbonbons? Kekse?).

Mit versteinerter Miene beschwert er sich nach einer halben Stunde, warum das Publikum bei seinen ruhigen Balladen nicht mehr mitgehe. Wie viele hier das neue Wilco-Album „Yankee Hotel Foxtrot“ überhaupt schon hätten? Die meisten in der gut besuchten Halle melden sich (ich meine: melden sich!). Jeff will aber nur fünf Hände gesehen haben. „What are you doing here then?“ Bei Lou Reed würde es jetzt wohl die ersten Pfiffe geben. Bei Jeff Tweedy jedoch scheint es fast so, als würde das Publikum sich nun besonders Mühe geben, um den sensiblen Musiker mit ganz viel Extraapplaus von sich zu überzeugen …

Im Nachhinein macht das natürlich alles Sinn. Seit einem halben Jahr kriecht die gesamte Rockjournaille dem Mann aus Chicago in den Hintern, er sei der größte Singer-Songerwriter seit Bob Dylan, mindestens. Und das muss vielleicht abfärben. Zumal das Problem darin besteht, dass der Vergleich nicht stimmt: Im Gegensatz zu, oh Gott, Dylan kann Jeff Tweedy nämlich auch noch singen. Seine Stimme klingt so, als hätten sich Jackson Browne und Rod Stewart getroffen, um ein für alle Mal die Schwächen und Peinlichkeiten des jeweils anderen im Duett auszumerzen.

Das lässt sich zurzeit auf gleich drei Neuerscheinungen von und mit Tweedy nachhören: „I am an American aquarium drinker/I assassin down the avenue“ singt Jeff Tweedy am Beginn des neuen Wilco-Albums „Yankee Hotel Foxtrot“. Wenn Poesie heute noch möglich wäre, dann müsste die so klingen: todmüde und tröstlich, hellwach und verschlafen, enigmatisch, dem geheimen Zusammenhang zwischen Sentimentalität und Gewalt nachspürend. Tweedy scheint etwas über Amerika zu wissen, was dieses selbst (auch nach „Nine-eleven“) noch gar nicht ahnt. Musikalisch lässt sich das nicht immer so gut umsetzen. Tweedy klaut, wo er kann, und veredelt beispielsweise alte Synthie-Melodien von The Cure (!) zu beschwingten Gitarren-Riffs. Aber allzu oft müssen wunderschöne Balladen in infernalischen Kakofonien enden, damit auch garantiert jeder kapiert, dass auf jeden Höhenflug des Gefühls eben Absturz, Herzeleid und so weiter folgen müssen (mixed by Jim O’Rourke).

Das ist dann nur noch Maik-Pohl-Musik: Als ich einer Freundin mal was von Jeff Tweedy vorspielte, stöhnte die nur auf: „Das hat doch auch Maik Pohl dauernd gehört.“ Maik Pohl oder so: Man kann sich das gut vorstellen. Ein ernsthafter Schwarze-Jeans- Träger, der Musik lieber allein hört, aber gern drüber spricht; jemand, der es – denken die Frauen – mit den Frauen nicht so draufhat und deswegen auch weiter an die große Liebe glauben darf. In seinen schlechtesten Momenten scheint sich Jeff Tweedy tatsächlich auf diese Klientel von Zuhausebleibern zurückzuziehen.

Vielleicht liegt das ja an seiner Vergangenheit, dem gemeinsam mit Jay Farrar (heute Son Volt) betriebenen Band-Projekt Uncle Tupelo, von denen jetzt noch einmal „89/93: An Anthology“ erschienen ist. Darauf ist solider Alternative Country zu hören, bei dem man jedoch immer auf Tweedys seltene Gesangseinlagen wartet wie auf einen alten Freund, der einen zum Glück irgendwann in dieser Trucker-Bar im Mittleren Westen abholt. Und dann ist es plötzlich da, dieses großartige Heimweh, obwohl man ja zu Hause ist.

Den eindrucksvollsten Nachweis seines Talents liefert Jeff Tweedy allerdings mit seinem Soundtrack zu Ethan Hawkes Regiedebüt, dem Film „Chelsea Walls“. Über den Film schreibt Hawke im CD-Booklet, dass sein Protagonist ein Gebäude sei und dass die Arbeit am Soundtrack eine große Freude gewesen wäre, „like playing with toy racecars in your basement“. Na ja, angucken muss man sich das vielleicht nicht, dafür lieber einmal mehr hören, was Jeff Tweedy hier aus ein paar Rückkopplungen und gedankenverlorenen Gitarrenmeditationen macht. So schön hat sich keiner mehr Zeit gelassen seit Ry Cooders „Paris, Texas“-Album.

Live jedoch von all dem keine Spur. Zum Glück werden dann doch noch die ersten Besucher sauer und verlassen das Konzert vorzeitig. „Ich kenn das“, brüllt jemand wütend seinem Freund zu, „das sind diese Amerikaner, die hier auf Tour gehen und dann plötzlich angepisst sind, weil sie in fucking Deutschland spielen müssen. War bei Kris Kristofferson (sic!) genauso.“

Ein Vergleich, der Jeff Tweedys Laune nicht wesentlich verbessern dürfte. Er bleibt auch so ein schwieriger Fall, der niemanden neben sich duldet: Zoff mit den Plattenfirmen, Trennung von Bandkollegen. Aber das interessiert alles nicht, solange Tweedy nur weitermacht und allein dahin geht, wo es wehtut. „You know it’s all beginning/To feel like it’s ending.“

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