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„Ein längst überfälliger Schritt“

Biolandwirtschaft gründet neuen Branchenverband, in dem erstmals Erzeuger, Verarbeiter und Händler zusammenarbeiten. Verbraucherschutzministerin Künast nutzt im Bundestag große Anfrage der Union, um EU-Agrarpolitik zu unterstützen

von NICK REIMER

Jetzt ist er gegründet, der neue Biobranchenverband. „Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft“ heißt er, wird BÖLW abgekürzt und die Agöl – die Arbeitsgemeinschaft ökologischer Landbau – ablösen. Das wesentlich Neue: Neben den Biobauern sitzen auch Verarbeiter und Händler mit im Boot. „Wir haben damit die gesamte Wertschöpfungskette vom Acker bis zum Ladentisch abgedeckt“, sagt Thomas Dosch, Chef des Anbauverbandes Bioland und ab sofort auch Sprecher des BÖLW.

„Wir sind ganz klar ein Lobby-Verband“, sagt Dosch. Ein Bekenntnis, dass bislang in der Bioszene eher anrüchig war. Mittlerweile hat man aber erkannt, dass Wachstum nur mit Lobby zu erzielen ist. In der Gründungserklärung heißt es denn auch: „Im Mittelpunkt steht die Gestaltung politischer Rahmenbedingungen, um den ökologischen Landbau weiter voranzubringen.“ Dabei setzt die BÖLW vier Schwerpunkte: Weiterentwicklung der Qualitätssicherung, Maßnahmen zur Vermeidung der Kontamination von Bioprodukten mit gentechnisch veränderten Organismen, Lebensmittelgesetzgebung und die Weiterentwicklung der EU-Ökoverordnung. Zudem will sich der Branchenverband für eine Mittelstandsförderung für Öko-Lebensmittelwirtschaft stark machen.

Rechtsform des neuen Branchenverbandes ist ein eingetragener Verein. Zu den 13 Gründungsmitgliedern zählen die größten deutschen Ökoanbauverbände (Bioland, Demeter, Gäa, Naturland, Biopark, Biokreis und Ökosiegel) sowie der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN), der sich mit Herstellung und Handel von Biokost befasst. Dazu kommt der Bundesfachverband Deutscher Reformhäuser (refo) und die Association Oekologischer Lebensmittelhersteller (AOEL). Mit Alnatura und Frosta gründeten auch Einzelunternehmen mit.

„Aufgabe des Gründungsvorstandes ist, bis Oktober arbeitsfähige Strukturen zu entwickeln, um die erste ordentliche Mitgliedsversammlung abhalten zu können“, erklärt Dosch. Vorstandschef ist Felix Prinz zu Löwenstein von Naturland, seine Stellvertreterin Elke Röder vom Bundesverband Naturkost.

Verbraucherschutzministerin Renate Künast begrüßte die Gründung ausdrücklich. „Innerhalb der Nitrofenkrise hat sich gezeigt, dass es auch im Ökolandbau Kommunikationsdefizite gibt“, erklärte Künast gegenüber der taz. Wer wolle, dass das Vertrauen in seine Produkte stabil ist, „darf sich nicht zersplittern, sondern muss sich zusammenschließen“. Künast: „Dieser Dachverband war überfällig.“

„Dilettantisch gehandhabte Lebensmittelskandale und ideologische Feldzüge gegen eine moderne innovative Ausrichtung der Landwirtschaft“, warf gestern Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Agrarexperte der Union, der Verbraucherministerin im Bundestag vor. 117 Fragen hatte die Union zu einer großen Anfrage zusammengefasst, die Künast „als überwiegend wenig qualifiziert“ bezeichnete. Ihrerseits nutze Künast die Debatte, um die Politik von EU-Kommissar Franz Fischler zur Reform der europäischen Agrarpolitik zu unterstützen. „Die Richtung stimmt. Ich will mir allerdings noch die Rechnung anschauen.“ Fischlers Vorschläge im Rahmen der Halbzeitbilanz der laufenden Agrarperiode bis 2006 werden offiziell am 10. Juli vorgestellt. Sie sehen unter anderem vor, die Beihilfen für Landwirte nicht mehr wie derzeit an Produktionsmengen zu koppeln. Fischler will stattdessen pauschal zahlen, unabhängig davon, was und wie viel die Bauern produzieren. Außerdem sollen die Direktbeihilfen von 2004 an um jährlich drei Prozent gekürzt, die Zahlungen an einzelne Betriebe auf jährlich 300.000 Euro begrenzt werden.

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