: Das Schwarze der Sonne
Impulse von fernen Sternen: Mit Gerard Griseys kosmischem Werk „Le Noir de l’Etoile“ startete das Neue-Musik-und-Klang-Festival „Inventionen“ gestern in sein zwanzigstes Jubiläumsjahr
von BJÖRN GOTTSTEIN
Früher, vor ungefähr 2.500 Jahren, da meinte man schon eine ordentliche Vorstellung davon zu haben, wie es klingt: das Weltall. In reinen Intervallen, mutmaßte Pythagoras, müssten die Planeten bebend singen, während sie ihre Kreise ziehen. Nur hören konnte man sie nicht, die Sphärenmusik. Man habe sich wohl einfach zu sehr an sie gewöhnt, um sie noch wahrzunehmen, begründete man das Schweigen der Galaxien. Die Astrophysik hat sich in den vergangenen zweieinhalb Jahrtausenden nicht nennenswert entwickelt. Auch heute ist das Bild des Weltalls von akustischen Vorstellungen durchsetzt. Monströse Explosionen haben es den Wissenschaftlern besonders angetan. Nur hören kann man ihn leider nicht, den galaktischen Lärm. Der Schall, heißt es, könne sich im Vakuum nicht ausweiten.
Die Vorstellung eines schweigend tosenden Weltalls hat sich tief in die kompositorische Fantasie unserer Zeit eingegraben. Und immer wieder haben Komponisten versucht, astronomische und physikalische Vorgänge musikalisch nachzuzeichnen: vom komponierten Urknall bis zum Planetenporträt.
Mitte der Achtzigerjahre erfuhr der französische Komponist Gerard Grisey (1946–1998), dass einige Sterne Radiowellen ausstrahlen und dass man diese Impulse auf der Erde empfangen kann. Die Klänge dieser „pulsating radio sources“, kurz: Pulsare, wurden Ausgangspunkt des wohl spektakulärsten Werkes Griseys: „Le Noir de l’Etoile“ (Das Schwarze des Sterns) für sechs Schlagzeuger, die das Publikum wie Monde umschwirren, Tonband, die Direktübertragung astronomischer Signale und eine bombastische Lichtfanfare. Gestern, bei Einbruch der Dunkelheit, war „Le Noir de l’Etoile“ im gespenstisch geräumigen Saal der Parochialkirche in seiner deutschen Erstaufführung zu hören. Griseys Opus spectaculum ist einer der Höhepunkte der diesjährigen „Inventionen“, eines Festivals für neue Musik, das in diesem Jahr sein zwanzigjähriges Bestehen feiert.
Das Konzert ist gleich mehrfach bedeutsam für die Geschichte des Festivals. Erstens haben sich die „Inventionen“ immer für Werke eingesetzt, deren Aufführung aufgrund technisch-logistischer Hürden zunehmend unwahrscheinlich wurde. „Le Noir de l’Etoile“ hat des Aufwands halber kaum eine Hand voll Aufführungen erlebt. Zweitens sind ästhetische Grauzonen immer ein besonderes Anliegen des Festivals gewesen: Dort wo Musik ihre engen Grenzen verlässt, sie – wie bei Grisey – Teil eines mehrmedialen Konzeptes wird oder – wie im Falle der vierzehn Klanginstallationen, die zwischen der TU und dem Stadtbad Oderberger Straße gestreut sind – als Klangkunst vom ritualistischen Kontext befreit wird. Drittens schließlich haben technische Experimente im Festivalprofil immer eine herausragende Rolle gespielt, sei es der Einsatz elektronischer Speichermedien in der Tonband- und Computermusik oder der Empfang von Radiosignalen aus dem All.
In diesem Jahr sind das traditionsreiche elektronische Studio EMS aus Stockholm und die belgischen Akusmatiker Musiques et Recherches zu Gast in Berlin. Im Gegensatz zu den anderen Neue-Musik-Festivals der Stadt, die oft Geläufiges referierend zusammentragen, hatten die „Inventionen“ stets dezidiert ästhetisches Neuland im Visier. Gleichzeitig haben sich die unterfinanzierten „Inventionen“ zwei Jahrzehnte lang bravourös gegen kulturpolitische Widerstände durchgesetzt und die finanzielle Geringschätzung, die sie in den zwanzig Jahren durchaus erfahren haben, mehrfach überlebt. Auch in diesem Jahr hat man mit 21 Uraufführungen sowie Konzerten von Les Percussions de Strasbourg und dem Arditti String Quartet die internationale Bedeutung des Festivals hinreichend bewiesen.
Bis zum 7. Juli, Termine und Orte unter www. inventionen.de.
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