piwik no script img

Leggins und T-Shirt statt Bikini

1901 wurde es gebaut und steht unter Denkmalschutz. Das altehrwürdige Stadtbad Kreuzberg ist einer der wenigen Orte, wo muslimische Frauen schwimmen, die nicht einmal ein Bademeister sehen soll. Ab nächster Woche ist es damit vorbei

von JULIA SCHÜRMANN

Vorhang zu, Vorhang auf: Kopftücher mit dezenten Blumenmustern drängeln sich unter dem altertümlichen Emailleschild „Kleine Schwimmhalle“. Einzeln schlüpfen sie durch den Spalt des schweren Vorhangs und lassen jedes Mal einen Schwall feuchtheißer Luft in die Kühle des Steinflurs. Es ist zum letzten Mal Frauenschwimmtag, denn das Bad steht auf der Sparliste des Senats: Am 1. Juli wird dichtgemacht.

In dem denkmalgeschützten Bad von 1901 schwimmen überwiegend muslimische Frauen donnerstagnachmittags hier mit ihren Kindern. Sie trifft die Schließung besonders hart: „Wo sollen wir denn sonst noch hingehen?“, fragt die Türkin Nimet C., 44, Hausfrau und Mutter von neun Söhnen. Muslimische Frauen dürfen nur dort schwimmen, wo Männer sie nicht sehen.

Ein muslimischer Frauenverein hatte sich im Stadtbad Wedding eingemietet, aber auch dieses Bad ist gerade geschlossen worden. In Berlin gibt es zwar sechs Bäder, die reine Frauenschwimmtage anbieten. Dort stehen aber auch mal Bademeister am Beckenrand. Also tabu.

„Wir bemühen uns, gleichgeschlechtliches Aufsichtspersonal zu stellen. Aber bei 15 Prozent Krankenstand und dem großen Personalaufwand können wir das nicht garantieren“, sagt Hans-Joachim Munte von den Bäderbetrieben. Im Stadtbad Kreuzberg hatte es sich ergeben, dass jahrelang nur Bademeisterinnen Aufsicht führten.

Zweimal schon hat Nimet C. deshalb dafür unterschrieben, dass das Stadtbad Kreuzberg offen bleiben soll. Vergeblich. Wenn das Bad schließt, wird sie nur beim Urlaub in der Türkei wieder schwimmen gehen können. „Ich verstehe das nicht: Schwimmen ist doch viel billiger, als wenn wir alle zum Arzt gehen und uns Medikamente verschreiben lassen.“ Ihre Freundin habe unter Migräne gelitten: „Nach fünfmal Schwimmen war das alles weg.“ Viele türkische Frauen fühlten sich zu Hause allein und von der Welt abgeschnitten. „Die anderen können doch ausgehen, tanzen. Wir haben nur das hier.“

Das Becken im Stadtbad Kreuzberg ist klein, gerade 25 Meter lang. Manchmal schwimmen und plantschen darin bis zu hundert Personen. Das Kindergeschrei hallt gewaltig von der Gewölbedecke wider. Bademeisterin Marion Neumann, 43, findet den Lärm ziemlich anstrengend. Sie macht außerdem mit ihrer Kollegin die Kasse: Nicht mit schicken Chipkarten wie in den anderen Bädern. Hier geht alles noch per Hand: Von einer Rolle reißt sie eine graue Marke ab und legt das Geld in eine giftgrüne Kasse. Daneben leuchtet ein Wählscheibentelefon in schönstem Siebzigerjahre-Orange, der „Rettungsfarbe“.

Mit den Frauen haben sie einiges zu tun: Viele können nicht schwimmen, weil sie in der Schule nicht zum Sportunterricht durften. „Die hangeln sich dann am Beckenrand entlang bis ins tiefe Wasser, das ist ganz schön gefährlich.“ Einmal musste Marion Neumann den Notarzt rufen, dachte aber nicht daran, dass es ein Mann sein würde: „Als der reinkam, kreischten alle ganz laut und versteckten sich in den Kabinen.“ Sie wundert sich öfter. Einmal sei eine Frau schon im Wasser gewesen, dann aber wieder herausgekommen. Sie habe sich angezogen und in einer Ecke des Bades auf einem Handtuch ihr Gebet verrichtet – um sich danach wieder auszuziehen und weiter zu schwimmen. Nimet C. findet das selbstverständlich: „Gott hat alles geschaffen, da ist es das Mindeste, dass wir fünfmal am Tag zu ihm beten. Egal, wo.“ Außerdem sei Beten doch gut für die Figur, grinst die füllige Frau: „Wegen der Rumpfbeugen.“ Nicht um das Kopftuch, sondern um die Bademode wird öfter gestritten: Fast alle Frauen tragen Leggins und T-Shirts unter den Badeanzügen. Für Nimet C. ist das selbstverständlich: „Auch unter Frauen gilt, dass bis zum Knie alles bedeckt sein muss.“

Martha Fohl ist 71 und hat schon als Schulkind im Stadtbad Kreuzberg gebadet. Sie wohnt um die Ecke und schwimmt regelmäßig hier, gut erkennbar an der quietschrosa Noppenbadekappe. Sie versteht diesen Aufzug überhaupt nicht: „Sind doch so ’ne hübschen Mädchen. Und die seh’n aus, als ob sie ihre Wäsche hier auswaschen wollten.“ Sie findet, dass die Frauen sich anpassen sollten: „Ich war auch schon siebenmal in der Türkei im Urlaub mit meinem Mann, und wir hatten schließlich auch nie Probleme.“ In der Dusche hat sie sich mal mit einer türkischen Frau gezankt. Diese fühlte sich gestört, weil Martha Fohl nackt duschte.

Bademeisterin Neumann schlichtet in solchen Fällen. Leggings und T-Shirts lässt sie noch durchgehen: „Aber wenn dann wieder eine im Jogginganzug kommt und behauptet, sie habe den im Sportgeschäft als Badeanzug gekauft, dann muss ich leider hart bleiben.“

Als um acht Uhr abends die letzte Frau ihre Sachen gepackt hat, macht Neumann noch sauber. Dann zählt sie die Einnahmen und geht zum Ausgang. Vorhang auf. Vorhang zu.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen