Dabei sein ist alles

Seit fast 150 Tagen regiert die PDS in Berlin. Noch ist der Sozialismus in der Hauptstadt nicht ausgebrochen. Und selbst die Sozialisten sind sich nicht einig, ob ihre Regierungsbeteiligung nun ein Erfolg ist oder doch nicht

Als einzige Partei verfügt die PDS in Berlin über eine eigene Öffentlichkeit

von ROBIN ALEXANDER

Ein einmaliges Schauspiel bietet sich heute politisch interessierten Berlinern: Der größte Politworkshop, den die Stadt seit langem gesehen hat. Alle 14.000 Berliner Mitglieder der PDS sind persönlich zur Diskussion eingeladen mit Gregor Gysi und zwei weiteren Senatoren, mit den Vorsitzenden aus Bund- und Länderorganisationen, Bezirksbürgermeistern und Stadträten und überhaupt mit allem, was Rang und Namen hat in der Ostpartei. „Wahlkampf aus der Regierungsrolle in Berlin – Probleme und Chancen“, so der Titel der Mammutveranstaltung, die um 10 Uhr morgens im ehemaligen Staatsratsgebäude am Schloßplatz beginnt. Es geht darum, nach 150 Tagen rot-rotem Senat in Berlin zu bilanzieren: Was hat die Regierungsbeteiligung in der Hauptstadt der PDS gebracht?

Diese Diskussion öffentlich zu führen ist mutig, der Termin der Veranstaltung geradezu tollkühn: Ein Tag nach der Verabschiedung des Landeshaushalts im Abgeordnetenhaus, also keine vierundzwanzig Stunden, nachdem die PDS-Parlamentarier um der Koalitionsdisziplin willen Frauenprojekte gestrichen, 250 Millionen Euro im Sozialetat gekürzt und ab 2003 dafür 300 Millionen jährlich für die Pleitebank bereitgestellt haben. „Haben wir dafür gekämpft?“, werden die Genossen aus den Basisorganisationen von Hohenschönhausen und Marzahn fragen. Schwacher Trost: Die SED-Nachfolger regieren jetzt auch das ehemalige freie Westberlin – und gleichen dort die Größe der Kita-Gruppen ans (schlechtere) Ostniveau an.

Das kann es ja wohl nicht gewesen sein, meint Gabi Zimmer. Die Vorsitzende der Bundespartei möchte die Berliner Regierungsbeteiligung im Bundestagswahlkampf am liebsten verstecken. Zimmer möchte im Wahlkampf wie eh und je auf Frieden, soziale Gerechtigkeit und Ostdeutschland setzen. Die PDS soll nach dem Willen der Parteichefin nicht vor allem als potenzielle Mitarbeiterin der Sozialdemokratie erscheinen, sondern als deren Konkurrentin, die etwas grundsätzlich anderes will. In dieses Bild passt die gemeinsame Koalition in Berlin nur bedingt. Mit dieser Strategie liegt Zimmer quer zur Meinung der Realos in ihrer Führung. Stefan Liebich, der 27-jährige Berliner Parteichef sieht schon in der Regierungsbeteiligung als solcher ein Argument für die PDS. „Die Westdeutschen sehen so: Wir sind nicht mehr die alte SED.“ Als PDSler während der Koalitionsverhandlungen jeden Abend in den Nachrichten waren, seien die Umfragewerte bundesweit von 6 auf 8 Prozent gestiegen. Auf die Spitze getrieben läuft diese Argumentation auf das olympischen Motto hinaus: Dabei sein ist alles. Liebich & Co argumentieren, nur durch das Regieren werde die PDS als linke Alternative zur SPD ernst genommen – und zwar im Westen: „Nur dort liegen die Zuwachschancen.“ Der bei der letzten Wahl erreichte Traumwert von 50 Prozent im Osten sei sowieso nicht zu verteidigen, meint Liebich: „Regierungsparteien verlieren zwangsläufig Proteststimmen. Das wird auch für uns gelten.“ Die Ostberliner Stammwählerschaft hingegen halte aus, dass ein PDS-Senat den Staat kleinspart, um die große Pleite der Bank aufzufangen. Liebich kühl: „Der übergroße Teil unserer Mitglieder waren schon einmal Regierungspartei. Die haben gelernt, schwierige Entscheidungen mitzutragen.“

Genau das befürchtet Sibyll Klotz, die Fraktionschefin der Grünen. Die linke Konkurrenz hat der PDS eine Menge vorzuwerfen. „Zu brav, zu artig, zu staatsfromm und verwaltungsfreundlich“ agiere die PDS im Parlament, seit sie Senatoren in der Regierung stellt. „Die Abgeordneten bekommen Geschlossenheitsappelle zu hören und beißen danach auf die Zähne.“ Dabei habe die PDS entgegen ihren Versprechungen das Beschäftigungsprogramm für Sozialhilfeempfänger nicht voll ausfinanziert und Planung für Hochhäuser auf dem Alexanderplatz abgenickt. Alles potenzielle Aufreger für die Ex-DDR-Klientel, aber Klotz verweist pessimistisch auf Umfragen, nach denen 87 Prozent der PDS-Wähler mit dem Senat zufrieden sind. Klotz ist DDR-sozialisiert und kennt ihre Pappenheimer: „Im ideologischen Gegenwind heißt der Reflex Geschlossenheit.“ In der Tat: Ein Schlüssel zum Verständnis des Erfolges der Berliner PDS ist die Kommunikationssituation in der einst geteilten Stadt. Als voreingenommen gelten die Westberliner Medien bei ihren wenigen Lesern in Pankow, Köpenick und Friedrichshain. Dort informieren sich viele Meinungsführer noch immer aus dem Parteiblatt Neues Deutschland. Als einzige Partei verfügt die PDS in Berlin also quasi über eine eigene Öffentlichkeit. Dort geht es um die Ehrenbürgerschaft des russischen Kommandanten Bersarin, um Preise für ostdeutsche Schriftstellerinnen und ein Denkmal für Rosa Luxemburg. Über solche rein symbolische Akte, die keinen Pfennig kosten und niemandem weh tun, wird die PDS versuchen, ihre Sympathiesanten in fünf harten Senatsjahren bei der Stange zu halten. Eine Strategie die Erfolg verspricht, meint der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer: „Die PDS verfügt über ein einmaliges Arsenal an Symbolen, die nur nach innen wirken.“ Mit ihrer Regierungsbeteiligung trägt die PDS allerdings dazu bei, die – für sie so vorteilhafte – gespaltene Kommunikationssituation in der Stadt zu überwinden. Seit Januar, als der neue Senat vereidigt wurde, gehen bei der SFB-Abendschau, der wichtigsten Fernsehsendung für Landespolitik, die Quoten hoch. 2002 gab es sogar zum ersten Mal Tage, an denen der Marktanteil der Abendschau im Osten höher war als im Westen. Seit also die PDS mitregiert, interessieren sich nachprüfbar mehr Ostberliner für Senat und Abgeordnetenhaus als vorher.

Wie wichtig sind ihre drei Berliner Senatoren für die PDS? Darauf lässt sich keine eindeutige Antwort geben. Neugebauer meint zwar, „das Programm der Partei ist extrem unverbindlich, deshalb das Senatorenhandeln, umso wichtiger“. Aber: Über 60 Prozent der Berliner kennen dem Institut Emnid zufolge weder Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner noch Kultursenator Thomas Flierl. Aber 99 Prozent kennen einen ganz genau: Gregor Gysi. Der prominenteste Politiker im rot-roten Senat ist in diesen Tagen völlig abgetaucht. Kaum ein Wort zur Frage, ob PDS-Senatoren beim Besuch des amerikanischen Präsidenten protestieren dürfen, totales Schweigen zur Sparpolitik mit der Brechstange. Aber ein Bild lieferte der Wirtschaftssenator: Vor einer Stretchlimosine post er im Financial Destrict von Manhattan. Botschaft: Die PDS auf Du und Du mit dem ganz großen Kapital. Was wie ein Gag aussieht, ist Strategie: „Gysis Aufgabe ist es, neue Kompetenzen für seine Partei zu erwerben“, meint Neugebauer Bisher wurden die Sozialisten nur mit „nachsorgender Wirtschaftspolitik“, also mit Sozialplänen nach Pleiten, identifiziert. „Ansiedlungspolitik“ hingegen galt in Umfragen nicht als sozialistische Stärke. Dies will Gysi ändern. Mit Erfolg? „Das kann man erst in zwei oder drei Jahren beurteilen“, meint Neugebauer. Erst dann wird Gysi Investitionen in Berlin nachweisen müssen. Nur darauf konzentriert sich der geheime PDS-Chef.

So soll auch heute der Unmut der Mitglieder im Staatsratsgebäude eingehegt werden: Die rot-rote Tristesse kann in Diskussionen, Foren und Plenum breit verarbeitet werden. Vor dem Nachhauseweg werden die Genossen aber noch einmal daran erinnert, worauf es ankommt: Das Schlusswort spricht Gregor Gysi.