: „Wir müssen uns durchfräsen“
Interview HANNES KOCH, REINER METZGER und NICK REIMER
taz: Frau Künast, ein Skandal in der Landwirtschaft jagt den nächsten. Vor einem Jahr war es die Rinderseuche BSE. Nun sind die Verbraucher entsetzt, weil das Gift Nitrofen sogar in Biolebensmitteln entdeckt wurde. Bekommen Sie die deutsche Landwirtschaft nicht in den Griff?
Renate Künast: Im Gegenteil. Jedesmal treffe ich auf ähnliche Strukturen des Schweigens. Die werden jetzt systematisch durchbrochen. Nitrofen ist für mich nur ein Beleg, dass ich noch mehr aufräumen muss. Aber das dauert: Man kann eine jahrzehntealte Praxis nicht von heute auf morgen ändern. Ich werde beharrlich gegen große Widerstände ankämpfen.
Wie wollen Sie denn die alten Strukturen der Lebensmittel-genossenschaften und -konzerne aufbrechen?
Die Agrarindustrie kann man nicht abschaffen. Wir können nur neue Regeln aufstellen. In der Futtermittelindustrie sind das zum Beispiel viel stärkere Kontrollen. Mittlerweile gibt es ziemlich strikte Überwachungsverfahren, mit denen wir die Auslieferung belasteter Produkte rechtzeitig verhindern. Das ist schon eine Revolution. Jahrzehntelang war das ein rechtsfreier Raum.
Selbst konservative Agrarminister wissen: Wenn Sie die Lebensmittelindustrie unter Druck setzen, gibt es richtig Ärger. Und erst das personelle Geflecht. Bei den diversen Skandalen treffe ich immer dieselben Männer auf verschiedenen Veranstaltungen in unterschiedlichen Funktionen. Diese Bauernfunktionäre arbeiten zum Teil gar nicht für die Bauern, sondern in ihre eigenen Taschen.
Und das personelle Geflecht der Agrarlobby von Bauernverband bis zu den Raiffeisengenossenschaften ist nicht zu knacken?
Sie müssen in die vielen öffentlichen Funktionen Kontrolleure reinsetzen, die einen anderen Ansatz haben. In den öffentlich-rechtlichen Absatzfonds der Landwirtschaft gehören zum Beispiel Umweltschützer und Verbraucherschützer, damit die Fördergelder für sinnvolle Dinge ausgegeben werden. Das haben wir gerade geregelt.
Lässt Ihr Verhältnis zum Bauernverband eine sinnvolle Zusammenarbeit überhaupt zu?
Bauernpräsident Gerd Sonnleitner schreibt mir nur noch Briefe. Er sitzt ja bei Edmund Stoiber auf dem Schoß und hat mir schon auf der Grünen Woche im Januar angekündigt, dass jetzt Wahlkampf angesagt sei.
Das heißt, er hat Ihnen zu verstehen gegeben, dass Sie sich zum letzten Mal gesehen haben?
Er vergisst da vielleicht auch, dass er die Interessen der Landwirte vertreten sollte. Dazu muss man miteinander reden.
Aber die Agrarlobby stellt sich doch schon auf einen Wahlsieg „ihrer“ Leute im September ein. Selbst aus ihrem Ministerium hört man: Besser jetzt eine Stelle nicht mit Künasts Wunschkandidaten besetzen. Schließlich bekäme man möglicherweise nach der Bundestagswahl unter einem anderen Landwirtschaftsminister den eigenen Kandidaten auf den Posten.
Bis jetzt habe ich meine Personalpolitik durchsetzen können. Und das wird auch so bleiben.
Und der Nitrofen-Skandal – ist das der Sündenfall des Vorzeigebereichs Biolandwirtschaft?
Das ist mir zu hoch gegriffen. Es ist ja überhaupt nicht das Problem des Ökolandbaus. Sie müssen unterscheiden zwischen den Verursachern und den Leidtragenden. Alle Bauern und die Verbraucher sind die Opfer.
In der Öffentlichkeit ist angekommen: Erstmals wurde in den ach so gesunden Biolebensmitteln Rückstände von Gift gefunden. Involviert sind Betriebe, die Biogetreide verarbeiten, und auch die Verbände der Ökoszene.
Dank des Ökolandbaus wurde das Problem doch erst entdeckt. Aber richtig ist: Auch bei den Ökoverbänden sind die Informationen nicht schnell genug weitergegeben worden. Trotzdem sitzen die Verursacher in der konventionellen Agroindustrie. Der Kern ist Ganzen ist das alte System.
Brauchen wir denn einen eigenen Strang der Ökoagrarindustrie oder sollte man weiterhin diese Kombination und Überschneidung mit der konventionellen Landwirtschaft tolerieren?
Ich weiß, dass die Szene überlegt, eigene Futtermittelfabriken aufzubauen. Das wäre nicht nur logisch, sondern wohl auch wirtschaftlich. Warum soll die Ökowirtschaft an dieser Stelle die alten Strukturen unterstützen? Wer aber in solche neuen Anlagen investiert, steht noch in den Sternen.
Die potenziellen Betreiber kommen doch sicher schnell zu Ihnen mit der Bitte nach einem Zuschussprogramm. So ist es üblich in der Landwirtschaft.
Öffentliche Mittel gibt es für andere Dinge.
Was tun Sie gegen die mangelhaften Kontrollen, die auch den Nitrofen-Skandal hervorgerufen haben?
Da hat sich über die Jahre eine unsägliche Praxis eingeschliffen. Zuletzt hat man das gesehen bei der Inspektionsreise der EU-Kommission im vergangenen Sommer. Da wurden Bayern und Thüringen kritisiert, weil man dort bei Pflanzenschutzmittel-Rückständen selbst bei tausendfacher Grenzwertüberschreitung drei Monate gebraucht hatte, bis die Information aus dem Labor in die entsprechenden Landkreise geschickt wurde. Da waren die Produkte natürlich längst gegessen. Wir können die Länder immer nur wieder anweisen. Wir müssen uns da durchfräsen. Da braucht man schon schweres Gerät, mit dem Handbohrer kommt man da nicht weiter.
Falls Sie nach der Bundestagswahl am 22. September dieses Ministerium nicht mehr leiten – was bleibt dann von Ihrer Agrarwende?
Der Zug rollt, der lässt sich nicht mehr so leicht aufhalten. Aber ich habe noch viel vor. Im Bereich Tierschutz muss noch etwas für die Schweine, Kaninchen und Pelztiere getan werden. Das wird ohne mich wohl nicht passieren.
Können die Konservativen Ihre Reformen also komplett wieder zurückdrehen?
Nein. Auch unsere eventuellen Nachfolger müssen wissen: Die rot-grünen Reformen harmonieren mit der Marktentwicklung. Die Verbraucher wollen gute und gesunde Nahrungsmittel. Deshalb haben wir das Fördersystem umgestellt. Von uns gibt es kein Geld mehr für Vollspaltenböden in der Viehhaltung, kein Geld mehr für Käfighaltung. Aber immer mehr für artgerechte Tierhaltung. Mein Traum ist, dass es Jahr für Jahr ein bisschen weitergeht.
EU-Agrarkommissar Franz Fischler arbeitet in eine ähnliche Richtung wie Sie. Ist das keine Unterstützung?
Was Franz Fischler vorgibt, finde ich sehr gut. Es geht um mehr Qualität, um mehr Umwelt- und Tierschutz. Dafür will Fischler das Subventionssystem ändern. Das ist ganz meine Linie. Doch wer wie viel bezahlen soll, das müssen wir uns nochmal angucken.
Würden Sie das Ministerium als Quereinsteigerin noch einmal übernehmen?
Natürlich. Es ist mir in kurzer Zeit gelungen, sehr viel zu bewegen. Was will man mehr? Und meine Arbeitsliste ist noch lang.
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