: Das Unbändige eines Gekränkten
aus Yokohama FRANK KETTERER
Salomon Olembe aus Kamerun hatte alles richtig gemacht. Er hatte Carsten Ramelow den Ball abgenommen, war dem deutschen Abwehrchef davongeeilt, und nun würde es gleich nur noch eine Kleinigkeit sein, den Ball auch im Tor zu versenken und sein Land damit in Führung zu schießen. Olembe lief also aufs Tor zu, blickte kurz auf, um zu sehen, was der Mann in diesem Tor tun würde, und dann passierte etwas, was Salomon Olembe wohl so noch nie widerfahren ist in seinem Fußballerleben: Er bekam plötzlich Angst. Angst, die hundertprozentige Chance zu versemmeln. „Ich stand vor diesem Kerl und wusste plötzlich nicht mehr, was ich tun sollte“, wird Olembe, einer der besten Fußballspieler Kameruns, später über diesen Moment berichten, und man konnte dieses Gefühl der Hilflosigkeit sehen: Der Mann verlangsamte seinen Sturmlauf und stand vor dem deutschen Torhüter. Dann schoss Salomon Olembe Oliver Kahn den Ball in die Arme, und Deutschland gewann gegen Kamerun am Ende mit 2:0.
Kahn, Kahn, Kahn, immer wieder Kahn. Im Viertelfinale gegen die USA vereitelte er Torchancen des Gegners im Minutentakt, im Halbfinale gegen Südkorea hielt er nach sieben Minuten einen Ball, den kein anderer Torhüter auf der Welt gehalten hätte. Im Prinzip waren die so tapfer kämpfenden Gastgeber bereits da geschlagen und ausgeschieden, sie trauten sich in der verbleibenden Spielzeit, immerhin noch 83 weitere Minuten, ja erst gar nicht mehr, ernsthaft aufs deutsche Tor zu schießen. Warum auch? Ist ja eh sinnlos, schließlich steht Kahn im Tor.
Zu schmächtiger Oliver
Jener Kahn, den die Trainer als 16-Jährigen aus allen Jugend-Auswahlmannschaften verbannt hatten, weil er ihnen zu klein und schmächtig zu, um ein wirklich guter Torwart werden zu können. Oliver empfand das als Kränkung, als „Erniedrigung“ und „Schmach“, wie er heute noch erzählt. Um die Schmach zu tilgen ist er Tag für Tag ins Fitnessstudio gelaufen, um Hanteln zu stemmen, bis seine Muskeln aufgepumpt waren wie die eines Gorillas und die gegnerischen Stürmer das Zittern bekamen, wenn sie auf ihn zuliefen, so wie Olembe aus Kamerun. Dass ihn die Menschen ob seiner Bodybuilderfigur spöttisch King-Kong nannten und ihm Bananen zuwarfen, nahm Kahn nur anfangs als neue und nächste Demütigung, dann beschloss er, es als Auszeichnung zu sehen: Die gegnerischen Fans regten sich so über ihn auf und pfiffen ihn aus, weil er so verdammt gut war. Für sich war er nicht King-Kong, für sich war er King Kahn.
„Muster meiner Karriere“, nennt Oliver Kahn das und erklärt: „Am Anfang ist alles schwierig, und irgendwann dreht es sich, weil ich immer an das Mögliche glaube.“ Rainer Ulrich, sein Jugendtrainer beim Karlsruher SC, bestätitgt das. „Als ich ihn damals, als er 17, 18 war, trainiert habe, hatten wir zwei Torhüter. Oliver war vom Talent her nicht so gut, aber er hat sich an dem anderen vorbeigearbeitet.“ Vom Talent her nicht so gut, das musste Kahn öfter hören in seiner Jugend. „Oh, hat man mir gesagt, da kommt ein neues Talent, was weiß ich woher“, erinnert sich der 33-Jährige, „okay, habe ich geantwortet, da ist also wieder so ein neues Talent. Dann trainiere ich eben dreimal so viel wie das Talent; und am Ende war das Talent wieder weg. Ich musste mehr arbeiten als anderen, um der Beste zu sein. Ich habe also früh gelernt, dass das funktioniert.“
Kahns Härte gegen Kahn
Muster einer Karriere: Als er zum ersten Mal in der Bundesliga zwischen den Pfosten stand, damals beim Karlsruher SC, verlor die Mannschaft prompt die ersten drei Spiele und es hieß: Das wird keiner. Als er später zum FC Bayern München wechselte, wurde das Team nur Sechster in der Bundesliga, was für die Bayern einer Katastrophe gleichkommt, und es hieß: Der kann dem Druck nicht standhalten. Als er in der Nationalmannschaft spielte, hieß es wiederum: Der kann die Leistungen aus dem Verein nicht umsetzen. Und jedes Mal hat es Kahn doch gepackt. Mit Konsequenz und Härte gegen sich selbst.
„Diese Konsequenz und Härte, das ist doch das Credo der ewig Erfolgreichen“, hat Kahn einmal gesagt. Andere nennen das Ehrgeiz, nahezu krankhaften Ehrgeiz. Zerfressen von diesem sei Kahn, hieß es lange, und so sah er auch aus: Dieser kantige Schädel mit den scharfen, harten Gesichtszügen und diesem mächtigen Kiefer, der stets etwas zu zermalmen schien. „Wenn ich Abends vom Training nach Hause kam“, erzählt Kahn, „konnte meine Frau an meinem Gesichtsausdruck erkennen, ob ich im Trainingsspielchen verloren habe.“ Ein verlorenes Trainingsspielchen – welch Demütigung muss das gewesen sein. Auf Dauer konnte das nicht gut gehen.
Es ging schief nach dem Champions-League-Finale vor drei Jahren gegen Manchester United. Die Bayern und Kahn sahen bereits wie die sicheren Sieger aus – und dann machte ManU doch noch zwei Tore, kurz vor Schluss. Für die Bayern war es eine vernichtende Niederlage, für Kahn, den krankhaft Ehrgeizigen, war es ein tiefes Loch, das Nichts, das Aus. „Totale Leere, totale Demotivation, totale Ziel- und Kraftlosigkeit“, beschreibt Kahn seinen damaligen Zustand. „Ich konnte keine zwei Treppen hochsteigen, ohne dass mein Puls auf 200 schoss und der Körper sich völlig leer anfühlte“, erinnert er sich. „Ich habe mir gesagt: Immer nur Disziplin, immer nur Training, immer nur Erfolg, immer nur Ziele – das kann ja nicht alles sein im Leben.“
Kahn hat versucht, es zu ändern, seit gut einem Jahr kann man das sogar sehen: Hat jetzt Koteletten, schmiert Gel ins modisch frisierte Haar, trägt Baldessarini-Hemden und Prada-Schuhe und hat sich einen Ferrari gekauft. Das sieht mächtig nach Dolce Vita aus, aber so recht zusammenpassen möchte das einfach nicht: Kahn und das süße, lockere Leben. Wie sollte es auch, damit ist schließlich noch keiner zum weltbesten Torhüter geworden. Und wenn man Kahn hier in Asien beobachtet, vor, nach und auch während der Spiele, und dabei sieht, wie die mächtigen Kiefer immer noch malmen und er schon wieder diesen Blick hat, diesen Tunnelblick, der nur auf eines fixiert scheint, den Sieg, dann kann man erahnen, wie weit es mit Kahns neuer Lockerheit wirklich her ist. Es gibt eben doch etwas, was er mit seinem Willen nicht ändern konnte. Seine Persönlichkeit.
Zur Lockerheit passt ja auch sein großes Ziel nicht. Schon zu Beginn der WM sagte er, was er will: „Ich bin davon überzeugt, dass wir hier noch Großes leisten können“, hat er nach dem 8:0 gegen Saudi-Arabien prophezeit. „Mit dieser Mannschaft kann man auch ins Finale kommen“, sagte er nach dem Achtelfinale gegen Paraguay. „Jetzt ist alles möglich“, legte er nach dem Viertelfinale gegen die USA nach. Dafür hat er sich selbst in Sphären gepusht, die vor ihm noch kein Torhüter erreicht hat.
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