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Glas-Menage

Roger Vontobels und Matthias Kebelmanns Stück „Notes from Underground“ beim Festival „Die Wüste lebt!“

Freitagabend. Ein junger Mann starrt in den flimmernden Fernseher. Raucht. Plötzlich springt er auf, hastet durch den kleinen Raum. Er fühlt sich verfolgt, so scheint es, von einer unsichtbaren Macht dort draußen hinter der Scheibe. Er äugt hinaus ins Dunkel. In den Regen.

Dort sitzen rund 30 Menschen auf einfachen Holzbänken, unter weißen Regenschirmen, auf einem von Brombeersträuchern umschlossenen Rasenstück hinter dem Amerikahaus. Sie glotzen zurück. Schauen durch die große Fensterscheibe zu, wie sich der Mann in einen Anzug quält. Fast könnte man meinen, die Beschirmten gehören zum Stück. Tatsächlich aber sitzt in Matthias Kebelmanns und Roger Vontobels Inszenierung von Eric Bogosians Tagebuchroman Notes from Underground, präsentiert beim Festival „Die Wüste lebt!“,das Publikum draußen, während der Schauspieler Andreas Dobberkau drinnen in Depressionen verfällt.

Der Tagebuchtext dringt durch Lautsprecherboxen ins Freie. Roger Vontobels Stimme verklärt in klar akzentuiertem Amerikanisch den US-Nachrichtenstar Dan Rather– den transatlantischen Onkel Wickert - zur Vaterfigur : „I like Dan Rather. He is friendly and concerned. We are friends.“ Spricht‘s, während der Mensch im gläsernen Bühnenkäfig sich am Boden windet. Innerer Monolog? Vielleicht.

Handlung und Text funktionieren inhaltlich unabhängig voneinander, transportieren aber beide die grundlegend depressive Grundstimmung Bogosians. Untermalt von Matthias Kebelmanns Trip-Hop-artigen Klängen. Der Fernseher, das scheinbare Fenster nach draußen, als Sackgasse, als Projektionsfläche der eigenen Wünsche nach Geborgenheit im Schoße der großen Mediengemeinde. „ At least I know I‘m doing something a lot of other people are doing – we‘re all doing it at the same time, we‘re all watching TV, we‘re all together“, träumt die Sprecherstimme.

Die Idee des jungen Regie-Duos Vontobel / Kebelmann ist aufgegangen, nämlich „das Spiel, den Text, die Musik und die Umgebung zu präsentieren, während deren Verbindung zu einer Geschichte in den Köpfen des Publikums passiert“, so Vontobel. Ein gewisser Spiegeleffekt stellte sich jedenfalls ein, als die verregneten ZuschauerInnen durch die große Scheibe starrten, auf einen jungen Mann, seinerseits mit den Augen an eine flimmernde Mattscheibe gekettet. Glas verbindet. Katrin Jäger

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