Kirche, Kicken, Coca Cola

Knapp fünf Wochen Fußballfieber: In der Eidelstedter Elisabeth-Gemeinde predigen Pastoren in Stollenschuhen, und die Orgel orgelt „We Are The Champions“

von SANDRA WILSDORF

Kirche kann so schön sein: Pastoren predigen in Stollenschuhen, hinter dem Altar hängen deutsche und brasilianische Flagge einträchtig nebeneinander, die Orgel orgelt „We Are The Champions“, und die Schäfchen dürfen in der Kirche klatschen, jubeln, Fahnen schwenken.

Und das tun sie reichlich, denn Jörn de Jager, Pastor in der Eidelstedter Elisabethkirche, und sein Kollege, Flughafenpastor Björn Kranefuß, performen mehr, als dass sie salbungsvöllern. Im Dialog bedauern sie den tragischen Ballack, grübeln darüber, wie die Finalisten wohl mit der Anspannung fertig werden und kommen dabei irgendwie und -wann auf Gott. Der soll uns und den Fußballern helfen, auf unsere Stärke zu vertrauen und Herausforderungen anzunehmen, die uns Angst machen. „Denn wie lautet Olli Kahns Lebensformel? Perfektion ist Wille im Quadrat plus Druck minus Angst“, erinnert Kranefuß. De Jager stimmt an: „So ein Wahnsinn, der Olli bringt uns ins Finale“, und die Jugendgruppe grölt „Olli, Olli, Olli“, wo sonst Wolfgang Petry „Hölle, Hölle, Hölle“ singt. Und so möge der „Schutzgott Gorilla“ gegen „die heilige Dreifaltigkeit Ronaldo, Rivaldo und Ronaldinho“ erfolgreich sein, bitten die Pastoren.

„Kirche ist immer gut, wenn Menschen in Schwierigkeiten sind, aber bei positiven Ereignissen wird wenig gemacht“, erklärt de Jager, warum er und sein Kollege während der vergangenen Wochen bei den Spielen der deutschen Elf zu Fußballandachten in die Kirche und anschließend vor die Großbildleinwand ins Gemeindezentrum nebenan eingeladen haben. Zum gestrigen Finale waren wesentlich mehr Fans gekommen, als es Stühle gab.

Die Jugendgruppen-Jungs grillen Würstchen, die Mädchen verkaufen Kartoffelsalat, Cola, Wasser und Bier dazu. Es wird gegröhlt, getrötet, gerasselt, gepfiffen, gejubelt: Alles ganz normal. Nur wenn Klose für seinen Ellenbogen-Einsatz die gelbe Karte kassiert, empört das niemanden – zumindest nicht laut. Erst nach Ronaldos erstem Tor fallen vereinzelte Unchristlichkeiten wie „Hasenzahn“ und „Missgeburt“.

Am Ende weiß Jörn de Jager wieder, warum er seine Frau geheiratet hat: „Weil sie was von Fußball versteht.“ Denn sie ist die Einzige, die bei der Saalwette das richtige Ergebnis getippt hatte. Und während Olli Kahn sich auf der Großbildleinwand – mittlerweile tonlos – deprimiert an den Pfosten seines durchlässigen Tores lehnt, jubeln die Menschen im Gemeindehaus. Über de Jagers Frau, die einen Fußball gewinnt, darüber, dass sie den Bianca schenkt, die heute Geburtstag hat und trotzdem Würstchen verkauft hat, und darüber, dass der Erlös für ebendiese Würstchen an die Kinder der Partnergemeinde in Brasilien geht.

Und sie jubeln darüber, dass die nächste Fußballweltmeisterschaft in Deutschland stattfinden wird. „Und wer wird da Weltmeister?“ fragt de Jager. „Deutschland“, beschließt die Gemeinde. Es lebe die Hoffnung.