: Anekdoten aus dem Kalten Krieg
In „Radio-Reminiszenzen“ werfen 38 AutorInnen einen zumeist nostalgischen Blick auf ihre Zeit bei Rias Berlin
Am 31. Dezember 1993 verstummte ein Sender, der wie kaum ein anderer die Geschichte Westberlins prägte: Rias Berlin. In der DDR waren seine Sendungen in großen Teilen der DDR-Bevölkerung ebenso beliebt wie unter den DDR-Offiziellen verhasst.
„Der Sendeauftrag des Rias (…) ist darauf gerichtet, subversiv und ideologisch in die DDR einzuwirken“, heißt es noch 1988 in einer DDR-internen Einschätzung. Er wirke bei der „Steuerung von feindlich-negativen Kräften“ mit und unterhalte seit seiner Gründung „enge Verbindungen zu imperialistischen Geheimdiensten“. Angesichts dieser Haltung wehrt sich der ehemalige Rias-Chefredakteur Dettmar Cramer in scharfen Worten gegen eine Gleichsetzung der Mitarbeiter mit kalten Kriegern „an vorderster Meinungsfront des Ost-West-Konfliktes“. Man muss diese Meinung nicht teilen, doch ist sie eine der wenigen in „Radio-Reminiszenzen“ (Vistas Verlag), die noch heute von mehr als historischem Interesse ist.
Eine andere spannende Auseinandersetzung beschreibt Christoph Lanz, Gründungsredakteur von Rias 2. Neben dem Streit um Formatradio oder „Dudelfunk“ bringt er in einem kleinen Satz zum Ausdruck, was ihn von so vielen seiner älteren Kollegen unterschied: Auch die jungen Rias 2-Mitarbeiter wollten die deutsche Teilung überbrücken, doch „ ‚Zurücksenden‘ – das wollten wir auf keinen Fall. Das war gestrig, den Achtzigerjahren und dem Lebensgefühl der allermeisten von uns nicht entsprechend“. Allerdings ist der 1959 geborene Lanz der Jüngste unter den insgesamt 38 Autorinnen und Autoren des Buches. Dementsprechend sind für die Mehrzahl der 17. Juni 1953, der Mauerbau oder die Studentenbewegung die prägenden politischen Ereignisse.
Viele aber schildern einfach die Atmosphäre im Sender, Anekdoten um Sendungen und Persönlichkeiten, ihre Karriere. Oder, um es mit den Worten des Herausgebers zu sagen: „Überwiegend gingen in dieses Projekt Texte ein, die freundliche Erinnerungen spiegeln – positive Lebensbilanzen.“
CLEMENS SCHÖLL
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