: Den Dampfwalzen zum Trotz
Christiane Ohaus inszeniert Hermann Hesse als Hörspiel eim Nordwestradio. Sie selbst hat lieber Marx und Adorno gelesen, weil Hesse meist „zum Schwampf und gedanklichen Höhenflug“ neigt
„Es gibt politische Stoffe, die muss man einfach machen“, findet die Hörspiel-Regisseurin Christiane Ohaus. Die Bücher von Hermann Hesse gehörten für sie allerdings lange nicht dazu. Mit 15 Jahren hat sie – anders als die Hesse verschlingenden KlassenkameradInnen – „nur Marx, Hegel und Adorno“ gelesen und hielt Hesse-Werke für „individualistischen Scheiß“, kitschig, ausufernd und jedenfalls nicht sehr relevant.
Zum 125. Geburtstag des Dichters, der heute noch für ein Drittel des Umsatzes des Suhrkamp-Verlages sorgt, inszeniert die 43-Jährige jetzt für Radio Bremen und den Hessischen Rundfunk den „Steppenwolf“. Der Dreiteiler ist ab Ende Juli im NordwestRadio zu hören, als Audiobook zu haben und ab 21. Juli auch im Internet zu erleben. Gleichzeitig führt sie Regie bei fünf Folgen „Glasperlenspiel“.
Dabei ist Hesse für Christiane Ohaus auch heute noch „kein guter Schriftsteller“. Er neige „zum Schwampf, zum gedanklichen Höhenflug“ und wo er nichts Treffendes finde, da reihe er Adjektive aneinander – ein klassisches Merkmal der Kitsch- und Trivialliteratur.
Aber Hesse war für Ohaus auch „ein unglaublich engagierter, radikaler Schriftsteller, von bedingungsloser Aufopferungsfähigkeit, der mit aller Kraft um eine Position, für politische Haltung und eine demokratische Kultur“ gekämpft habe. Gegen Macht und Nationalismus, gegen den drohenden Zweiten Weltkrieg. „Hesse vermisste politische Vernunft da, wo die politische Macht liegt und forderte daher einen Zustrom von Intelligenz und Intuition aus nichtoffiziellen Kreisen“. Mit diesem Nonkonformisten hat sich Christiane Ohaus dann doch angefreundet, sich immer tiefer in seine „Textgewebe“ versenkt und ist beim Lesen schließlich „in eine Art Trance geraten, in eine völlig andere Welt.“
Die Konstruktionen seiner Romane seien „sehr komplex und modern, befindet Ohaus heute. Der „Steppenwolf“ sei wie die Sätze einer Sonate aufgebaut. Der melancholische Held des „Steppenwolf“ Harry Haller kollidiert mit den absurden Anpassungszwängen einer ausgelaugten Zivilisation, ringt mit sich selber und der bürgerlichen Welt um eine klare Position. Ohaus: „Diesen Dualismus, diese Zerrissenheit treibt Hesse bis an die Grenze, bis zur Persönlichkeitsauflösung.“
Auch in ihrer „Steppenwolf“-Fassung werden Grenzen verschwimmen, wie Hesse will sie „das Gewisse verlassen. Welten erfinden. Keine Frage mehr, was real ist und was Fiktion. Hesse schlägt Rollenwechsel vor.“ Was ihn vor allem für Pubertierende zum Kultautor avancieren ließ.
Kann eine Gesellschaft Individualität ermöglichen? Mit Hermann Hesse will Christiane Ohaus „menschliche Lebenswege betrachten, nachdenken darüber: Wie könnte ein glückseliges Leben aussehen? Wie kann der Einzelne sich unmittelbar verwirklichen?“ Hesse träume „von einer Welt frei von unmittelbarem Zweck. Kultur als Produkt, als Ware verkaufen zu müssen, das wäre für ihn grauenhaft gewesen“. O-Ton Hesse: „Wir Geistigen haben, allen Dampfwalzen und Normierungen zum Trotz, das Differenzieren zu üben und nicht das Verallgemeinern.“ Schön, dass so was im Radio nochmal gesagt wird.
Carsten Werner
„Der Steppenwolf“ läuft im NordwestRadio auf 88,3 MHz am 26.7., 2. und 9. 8. um 22.05 Uhr. Das „Glasperlenspiel“ wird vom 23. bis 27.12. gesendet. Das Feature „Kinderspiel und Greisenglück“ sowie weitere Termine und Informationen zu Hesse sind zu finden unter www.radiobremen.de/online/hesse
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