: Der erste Satz des Gesprächs
Vor 20 Jahren wurde das Frauenkrisentelefon gegründet. Dank internationaler Besetzung finden hier Deutsche wie Migrantinnen Ansprechpartnerinnen. Doch passende Anschlusseinrichtungen fehlen
von WALTRAUD SCHWAB
„Das Telefon klingelt …“ Was im Roman der erste Satz einer spannenden Story ist, entpuppt sich im kleinen, gelb gestrichenen Büro des Frauenkrisentelefons oft als Ende einer langen Leidensgeschichte. „Ich weiß nicht weiter.“ „Ich will nicht mehr.“ So beginnen viele Anruferinnen das Gespräch. Etwas in ihrem Leben hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Sprechen können ist wie ein Ventil.
„Niederschwelliges Beratungsangebot“ wird so eine Einrichtung genannt. Eine, wo keine Tür überschritten, kein Name genannt werden muss. Den meisten als Telefonseesorge bekannt. Kein Zweifel, sie wird gebraucht. Warum es das Angebot aber von Frauen für Frauen geben muss, dies zu erklären wird auch heute – am Tag des 20. Geburtstags des Frauenkrisentelefons – immer wieder eingefordert.
Frauenprojekte sind keine Erfindung der 80er-Jahre. Vielmehr spiegeln sie das damalige Wissen um die Geschlechterdifferenz wider, die im Alltag der Umsetzung harrte. Wer vor 20 Jahren in einer Beratungssituation um eine Gesprächspartnerin bat, selbst wenn es um sexuelle Belästigung oder Vergewaltigung ging, war nicht selten mit der Antwort konfrontiert, dass man auch kompetente Männer zu bieten habe. In den letzten Jahren aber ist es für Telefonseelsorge, Krankenhäuser und Polizei fast selbstverständlich geworden, auf solche Bitten einzugehen. Bis heute obliegt es Frauenorganisationen, jene gesellschaftlichen Defizite aufzudecken, die festschreiben, dass es okay ist, Frauen und Männer ungleich zu behandeln.
Mehr als hundert Frauen rufen jeden Monat an, obwohl die Nummer täglich nur zwei Stunden besetzt ist. Zum Hörer zu greifen ist für die Betroffenen der erste Schritt. Am Telefon wird gemeinsam nach weiteren Lösungen gesucht. Fast 50 Prozent der Anruferinnen, die das Krisentelefon nutzen, haben psychische Probleme: Depressionen, multiple Persönlichkeitsstörungen, Selbstmordabsichten. „Für Frauen mit Platzangst – aber auch für viele Migrantinnen – ist das Telefon oft die einzige Tür nach draußen“, sagt Dana Pelczar-Kostyra, Psychologin polnischer Herkunft, die wie die in Persien geborenen Sozialarbeiterin Homa Mosavi für ihre Arbeit eine Entlohnung erhält. Die anderen Mitarbeiterinnen – alle therapeutisch geschult – arbeiten ehrenamtlich.
Gewalt gegen Frauen, Partnerschaftsprobleme und die soziale Situation sind weitere Gründe, die Frauen in ihrer Verzweiflung dazu bringen, anzurufen. Und dass die materielle Verschlechterung, die viele Familien in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Krise zu spüren bekommen, den Druck auf die Frauen verstärkt, dies können die Beraterinnen vom Krisentelefon ebenfalls bereits bestätigen.
Die internationale Besetzung des Frauenkrisentelefons ermöglicht es, auch für Migrantinnen ein Angebot zu schaffen. Ein Novum in der Stadt. Stichworte für die Krisensituation, in der sich osteuropäsischen Frauen befinden, sind materielle Abhängigkeitsverhältnisse, die mitunter an Sklaverei erinnern, wie gewaltsame oder freiwillige Prostitution. Generell gilt für viele Migrantinnen, dass die schwierigen aufenthaltsrechtlichen Gesetze Frauen in katastrophaler Bevormundung durch Männer, vor allem Ehemänner, halten.
Für Frauen, die akute Gewaltsituationen – Vergewaltigung, gewalttätige Auseinandersetzungen in der Ehe – erleben, gibt es in Berlin Notruftelefone und Hotlines – für langfristige Folgeschäden gibt es lediglich Anlaufstellen wie das Krisentelefon, die unter großem ehrenamtlichem Einsatz aufrechterhalten werden. In Zeiten knapper Kassen gibt die Verwaltung den Antigewaltprojekten Priorität.
Eine Einrichtung wie das Frauenkrisentelefon – unterfinanziert und unterausgestattet – bietet einen Überblick darüber, wo aus Sicht von Frauen dringender Handlungsbedarf besteht. Dass so viele Frauen mit psychischen Problemen anrufen, Frauen, die meist bereits Erfahrung mit Krankenhäusern und Therapeuten besitzen, verweist aus Sicht von Mosavi darauf, dass sie aus dem Gesundheitssystem herausfallen. Sie moniert, dass es bisher in der Stadt keine Traumastation nur für Frauen und mit weiblichem Personal gibt. Ebenso vermisst sie ein Krisenhaus für Frauen. Oft landen die Betroffenen im Frauenhaus, wo Mosavi lange gearbeitet hat. Dort aber ist weder die Kapazität noch der Platz, um auf psychische Krankheitsbilder einzugehen. „Durch unsere Arbeit werden wir zu Zeuginnen, dass die Hilfsangebote nicht geklappt haben“, sagt Pelczar-Kostyra.
Bis es sich durchsetzt, dass die Belange der Frauen auch bei der Verteilung der finanziellen Mittel paritätisch berücksichtigt werden, wird es noch großer Lobbyarbeit bedürfen. So lange wird das Frauenkrisentelefon vermutlich um seine Existenz kämpfen. „Nennt euch doch ‚Call-Center‘, wenn Gysi beim Wort ‚Frauenkrisentelefon‘ abwinkt. Vielleicht sieht er sich dann als Wirtschafts- und Frauensenator eher in der Pflicht“, rät eine gestandene Feministin, die nun „in PR macht“, dem Frauenprojekt zum Geburtstag.
„Krise als Chance“ – unter diesem Titel gibt es heute in der Werkstatt der Kulturen, Wissmannstr. 32 ein Geburtstagsprogramm. Um 16 Uhr Eröffnung mit Familienministerin Christine Bergmann. Um 18 Uhr Podiumsdiskussion zu „Mobbing“, „Unbezahlte Familienarbeit“ und „Migration“ als Krisen auslösende Probleme bei Frauen.
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