: Ik bin het Sprachbastard
Wenn zwei dasselbe sagen, erzählt sich das Dritte: Beim Theater der Welt, das am Wochenende endete, haben Theaterleute die Sprachen der Nationen und der Sparten gemixt
In Brüssel zerbrechen sich die Bürokraten immer wieder den Kopf über Amts- und Arbeitssprachen, darüber, wie die sprachliche Vereinigung der EU zu bewerkstelligen sei. Gar nicht weit entfernt, in Antwerpen, ist das Problem gelöst. Dort arbeitet Luk Perceval als Leiter des Theaters Het Toneelhuis, dort ist auch die Truppe De Onderneming zu Hause. Und beide – ihre Gastspiele beim Festival „Theater der Welt“ haben es vor Augen geführt – nivellieren linguistische Barrieren.
Etwa in der Produktion „Het Dikke Schrift“ von De Onderneming: Wenn die Schauspielerin Carly Wijs in Duisburg auf die Bühne tritt, ist in ihrem Sprechen der halbe Kontinent aufgehoben. In Englisch – der Akzent könnte aus Manchester stammen – spricht sie den Text, die Adaption eines Romans, den Agota Kristof, von Ungarn in die Schweiz emigriert, in Französisch geschrieben hat.
In Percevals „L. King of Pain“, einer „King Lear“-Adaption, mischen sich die Sprachen sogar an der Oberfläche der Dialoge. Meist kommunizieren die Figuren mit Hilfe einer Kreuzung aus Deutsch, Flämisch, Niederländisch, dazu kommen französische Passagen und italienische Einwürfe. Das ist praktisch. Denn die Produktion vereint Schauspieler und Geld aus Antwerpen, Zürich, Hannover; sie wandert in verschiedene Ecken Europas. Aber überdies erlaubt der Sprachenmix unerwartete Differenzierungen, er stellt den Schauspielern neue Modi zur Verfügung. Der germanische Sprachbastard ist der Modus der trostlosen Gegenwart des L., des dementen King-Lear-Patriarchen im Zentrum des Geschehens. In dieser Sprache verhandelt er mit seinen Töchtern, die den anstrengenden Alten mal trösten, mal aus ihrem Haus weisen. In dieser Sprache drückt er schleppende Sätze hervor, über das Leben an sich und über die eigene, unsichere Identität: „Ik bin nit Lear.“
Aber wenn L. die Wut über den Verlust seiner Autorität ergreift, schwingt er sich zur eloquenten Sprechweise vergangener Tage auf. Dann feuert er äußerst deutsche Gemeinheiten ab: „Aus deinem entarteten Blut erwachse nie ein Säugling.“ Kein Wunder, dass die Töchter vor diesem Wüstling flüchten: ins Französische, in die Sprache einer neuen Normalität, die den Niedergang des Despoten überleben wird.
Für die Schauspieler sind die Sprachwechsel ein Wagnis. Über fremde Worte kann man leicht stolpern, ein Akzent macht angreifbar. Aber der Widerstand der Sprache kann auch Sinn entfalten, etwa wenn die Schauspieler des Zuidelijk Toneel Hollandia in Eindhoven die „Bakchen“ in deutscher Sprache spielen. Dass Elsie de Brauw als Bote zu manchen Wörtern mehrfach ansetzt, ist nur angemessen. Denn was sie als Bote zu berichten hat, geht nicht leicht über die Lippen: Agaue selbst hat, von Dionysos in Ekstase versetzt, ihren Sohn Pentheus in Stücke gerissen. Das Ringen mit den ungewohnten Lauten ist hier zugleich ein Ringen mit der unerhörten Kunde.
Vom Rhein zwischen Bonn und Duisburg, von dort, wo das Theater der Welt am Sonntag zu Ende ging, ist es nicht weit bis an die Grenze zu Belgien und zu den Niederlanden. Die Nachbarländer zu einem Schwerpunkt innerhalb der rund 40 internationalen Produktionen zu machen, lag sozusagen nahe. Aber nicht nur die Geografie spricht für die Gastspiele aus Gent, Antwerpen und Eindhoven, sondern auch ihre gemeinsamen Leitmotive: eben die Sprachverschiebungen und -fusionen, die in Zeiten von Migration und Koproduktion weit oben auf der Tagesordnung stehen, aber auch die nonchalante Kombination künstlerischer Mittel. Die Produktionen aus dem nahen Westen mischen nicht nur die Sprachen der Nationen, sondern auch die der Sparten.
Die „Bakchen“-Inszenierung von Johan Simons und Paul Koek bietet einerseits über weite Strecken Erzähltheater: Diverse Figuren berichten – mal mit Ironie, mal mit Anteilnahme – vom tragischen Geschehen. Andererseits kommt der Musik große Bedeutung zu, die Nouri Iskander und Mitarbeiter des ZT Hollandia für die Produktion komponiert haben. Und die stärksten Momente entstehen dann, wenn sich beide Sprachen ergänzen: wenn die Musik den distanzierten Bericht mit Emotionen sättigt.
Während die Dopplung der Ebenen hier der Affirmation dient, bringt sie andernorts die Zeichen ins Schwanken. In „Rien de Rien“, einer Produktion des belgischen Balletts C. de la B., zieht der Tanz dem Wort den Boden unter der Bedeutung weg. In einer Szene beginnt ein Tänzer, Geständnisse über sein Gefühlsleben zu machen. Unscheinbare Gesten bekräftigen seine Worte. Da tritt eine Kollegin hinzu und nimmt seine Gestik auf, kopiert sie in Echtzeit – und durchkreuzt damit die Behauptung von Authentizität. Die Glaubwürdigkeit ist hin, der Tänzer verstummt.
Auf einer ähnlichen Brechung hat Josse de Pauw einen ganzen Abend aufgebaut: „üBUNG“ heißt er und ist in Zusammenarbeit mit dem Genter Jugendtheater Victoria entstanden. De Pauw hat mit Schauspielern einen schlichten Film gedreht, über eine Party bei einem wohlhabenden Ehepaar. Dann hat er Jugendliche engagiert, um diesen Film live zu synchronisieren. Sie sprechen die Dialoge vorn auf der Bühne, während hinten auf einer großen Leinwand die Erwachsenen stumm ihr Fest feiern. Die Jugendlichen liefern den Text sachlich, deuten beiläufig die Posen der Partygäste an – und treffen dabei den Ton selbst hochemotionaler Szenen.
Zum Vorschein kommt dabei die Mechanik sozialer Interaktion. Der Smalltalk, die Eifersucht, selbst die Verzweiflung der Erwachsenen werden als eine Serie erlernter, kontingenter Haltungen sichtbar. Die projizierten Bilder und die anwesenden Akteure sagen im Prinzip dasselbe, und doch erzählt die Differenz zwischen den beiden Ebenen eine ganz andere Geschichte. Die Vervielfältigung der Sprachen kann durchaus zum Verstehen beitragen. MORTEN KANSTEINER
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