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Heute nichts versäumt

Alles wird wie neu sein. Aber wird es auch anders sein? Für Mia ist der aktuelle Hype um ihren Electropunk keine Reminiszenz an die Achtzigerjahre. Die Kinder von NDW und Commodore 64 wollen einfach bloß so viel Spaß haben, wie sie kriegen können

von KATJA HANKE

Zwanzig Minuten, mehr Zeit haben Mia momentan nicht. Die Band ist gerade von einer Tour zurück und erledigt nun an einem Tag alle ihre Pressetermine. Das Interesse ist riesengroß, Mia sind ein richtig ausgewachsener Hype. In einer Fabriketage in den Arkonahöfen befindet sich das Büro von R.O.T., dem Label von Mia. Drei Mitglieder der Band sitzen erschöpft auf einem kleinen Sofa. Es war ein langer Tag, meint Sängerin und Frontfrau Mieze. Robert, der Bassist, und Gitarrist Andi nicken.

Ende Mai erschien ihre neue Single „Alles neu“. Beim Hören fragt man sich, ob der Titel nicht vielleicht zynisch gemeint ist. Das Lied atmet durch und durch den Geist von Ideal, nicht zuletzt weil Mieze wie eine Girlie-Variante von Annette Humpe klingt. „Ich steh’ auf Berlin“ sang diese vor 20 Jahren. Mia tun das auch: in Form von Berlin-außer-Rand-und-Band, von Clubs-Rocken und von Ich-mach-was-ich-will-Attitüde. Im Video hat sie sich die Augen hellblau geschminkt und die Haare zu einer massiven Billy-Idol-Freizeit-Punker-Matte auftoupiert. In einem hellblauen 80s-Schulterpolster-Jackett schiebt sie mit einem Einkaufswagen durch leere Straßen. Sie singt rotzig in die Kamera und verstreut dabei Waschpulver. Die vier Jungs tanzen ganz in Weiß gewandet um den Wagen. Schließlich landen alle in einem siffigen Keller, durch den sie wild mit Fans und Freunden pogen.

Im August soll ihr erstes Album „Hieb und StichFest“ erscheinen. Auf der Platte spielen sich Mia durch unterschiedliche Stile: von besagter NDW über Synthie-Pop bis zu poppigem Punkrock. Eine bunte Mischung, deren roter Faden eine überwältigende positive Energie ist, die vor naiv wirkender Selbstsicherheit strotzt. Fast jedes Stück erinnert an Bekanntes, alles hat man irgendwo schon gehört: Ideal, Rainbirds, B 52’s, The Police, oder alte englische Punk-Bands. Direkte musikalische Einflüsse hätten sie nicht, meint Robert. „Das kriegt man nur unterbewusst mit“, sagt er professionell. „Musik besteht ja nur aus Tönen, und alle Töne sind schon da gewesen. Man muss sie nur neu zusammensetzen.“

Genau das haben Mia getan. Sie haben Töne und Akkorde neu zusammengesetzt und sich dafür ausgiebig im Kramladen der Popmusik bedient. Neu ist hier nichts – dafür aber schick geklaut. Von Ideal und den Achtzigern aber wollen sie nichts hören. „Das wird von außen impliziert“, sagt Mieze lässig und schlägt dabei ihre Beine mit den 80er-Jahre-Franzen-Stiefeln aus rotem Wildleder übereinander. „Komischerweise ist gerade dieser Achtziger-Boom. Doch so was wie Electropunk gab es damals gar nicht.“

Electropunk, so nennen Mia ihre Musik. Das klingt wie Electropop und wird sich höchstwahrscheinlich genauso gut verkaufen. Als elektronischen Act sehen sich Mia aber nicht. Sie spielen in klassischer Rock-Besetzung. „Electro“ stehe bei ihnen für eine bestimmte Herangehensweise und nicht für pure Elektronik. „Einfach die Bassdrum das ganze Stück durchlaufen lassen“, erklärt Mieze, „und die Gitarren nur dittelitdie-dittelitdie wie einen Synthesizer spielen.“ Auch Punk definiert sie auf ihre eigene Art. „Punk sein heißt straight sein und nicht auf Regeln achten. Auf dieses ‚Du bist nur Punk, wenn du so und so bist‘, da scheiß ich drauf. Punk bin ich, wenn ich will“, sagt Mieze sehr bestimmt und guckt dabei schon böse. Mia haben sich die Wildheit und Schnodderigkeit des Punk genommen und in einen modischen, von Trends gezähmten Kontext gesetzt. Durchgestyltes Stagediven: No-Future-Kids sind die Neo-Punks nicht, sie singen laut „Ich liebe das Leben.“

Mia reden mit viel Sicherheit und Überzeugung. Gegen gesellschaftliche Konventionen seien sie und gegen das Eingefahrene. So, so. Überhaupt sagen Mia viele kluge Dinge. Nur hören sie sich dabei an, als hätten sie gerade ein PR-Seminar besucht. Von Berlin reden sie, vom Underground und davon, wie sie weiterhin das machen, was sie wollen. Ihre Single aber ist bei Sony erschienen. Für sie kein Widerspruch. „Wir machen Musik um der Musik willen“, sagt Mieze rigoros. „Und wenn wir dabei Geld verdienen, dann ist das okay.“

Mia möchten gegen Regeln verstoßen, wollen provozieren und dann frech die Zunge in die laufende Kamera strecken. Sie wollen gegensätzlich sein: Rock und Techno verbinden, Underground und Mainstream oder pubertär-naive Texte mit pseudo-intellektuellen Statements untermauern. Mia machen frische Popmusik, rocken, dass die Wände wackeln, und holen irgendwie in jedem den Teenager hervor. Da springt man selbstvergessen durchs Jugendzimmer und singt voller Zuversicht: „Alles, was ich will, ist alles, was ich kriegen kann“. Man vergisst das Widersprüchliche, das Geklaute und die Konventionen der Popmusik. Alles ist kopierbar, Hauptsache, es macht Spaß.

Wer von ihnen die 80er-Jahre-Platten im Schrank hat, wird man nicht erfahren. „Wir waren damals doch viel zu klein“, sagen sie nur. Doch gerade als das Gespräch auf die Brüder Gallagher kommt, die zu Beatles-Zeiten auch noch nicht geboren waren, sagt ihre Managerin: „Die zwanzig Minuten sind um, jetzt ist Schluss.“ So, als wären Mia wirklich schon große Popstars. Auf zum nächsten Termin, die Hitmaschine rollt.

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