: Siebenmal Potsdamer Platz
340.000 Quadratmeter für Einzelhandel sollen am Alexanderplatz entstehen. Allein eine Shopping-Mall bekommt 80.000 Quadratmeter. Einzelhandelsverband warnt vor „neuem Kannibalismus“
von UWE RADA
Am Alexanderplatz soll bald schon Berlins größte Shopping-Mall entstehen. Auf knapp 80.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche plant die Wohnungsbaugesellschaft DeGeWo auf der „Banane“ zwischen Alexanderplatz und Jannowitzbrücke ein gigantisches, über zwei Gebäudeblöcke reichendes Shopping-Center.
Dies bestätigte DeGeWO-Projektleiter Michael Boldt der taz. Derzeit verhandelt das Unternehmen mit einem möglichen Betreiber des Centers. Verlaufen die Verhandlungen positiv, könnte die DeGeWo bereits kommendes Jahr mit den Bauarbeiten beginnen. Damit würde auch der Startschuss für die Neugestaltung des Alexanderplatzes fallen.
Diese Neugestaltung orientiert sich inzwischen allerdings an anderen Zielvorgaben als noch beim städtebaulichen Wettbewerb, den der Architekt Hans Kollhoff mit seinem Entwurf für zehn Hochhäuser gewonnen hatte. Statt dem ursprünglichen Büro- und Wohnungsstandort ist jetzt vor allem ein Einzelhandelsstandort geplant. Über 240.000 Quadratmeter Verkaufsfläche sollen alleine am so genannten inneren Alexanderplatz, also zwischen S-Bahn und Keibelstraße entstehen. Hinzu kommen noch die bereits in Bau befindlichen 20.000 Quadratmeter in den Rathauspassagen, die sich WalMart im ersten Stock und mehrere Einzelhändler im Erdgeschoss teilen. Zusammen mit den 80.000 Quadratmetern auf der „Banane“ sind das 340.000 Quadratmeter. Das entspricht etwa dem Siebenfachen des Potsdamer Platzes, der es mit dortigen Arkaden (40.000 Quadratmeter), dem Sony-Center (8.000 Quadratmeter) und anderen Flächen auf etwas mehr als 50.000 Quadratmeter bringt.
„Eigentlich waren wir uns doch einig, dass die Zeit der Großmannssucht vorbei ist“, kommentiert Nils Busch-Petersen, der Geschäftsführer des Gesamtverbandes des Einzelhandels die neuen Planungen. Schon die 240.000 Quadratmeter am Alexanderplatz wären problematisch gewesen. Doch zusätzlich mit der neuen Shopping-Mall werde im Einzelhandel „der Kannibalismus vor Ort und an den benachbarten Standorten“ befördert. „Selbst für den Potsdamer Platz“, so Busch-Petersen, „kann sich die Einzelhandelskonzentration am Alexanderplatz negativ auswirken.“
Diese negativen Auswirkungen wären nicht die ersten. Als Mitte der Neunzigerjahre im brandenburgischen Dallgow das 46.000 Quadratmeter große Havelcenter eröffnet wurde, sanken die Umsätze in der Spandauer Altstadt binnen kurzem um 30 bis 50 Prozent. Aber auch in Berlin gibt es inzwischen, so Busch-Petersen, fast eine halbe Million Quadratmeter Einzelhandelsflächen-Überschuss. „Für diese Flächen ist in der Stadt schlicht keine Kaufkraft vorhanden.“
Ganz anders dagegen sieht das Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD). „Der Alex ist völlig unterbelichtet“, sagt Strieders Sprecherin Petra Reetz. „Das ist der verkehrsreichste Platz in Berlin und eigentlich herrscht da tote Hose.“ Das Fazit Reetz’: „Da ist noch sehr viel Potenzial.“
Inzwischen kommt Berlin auf 1,17 Quadratmeter Einzelhandelsfläche pro Einwohner. Das ist zwar mehr als das Doppelte seit der Wende, aber immer noch knapp unter dem Bestand von Hamburg oder München. Doch während Strieder gerne damit argumentiert, nur gegenüber diesen beiden Städten aufholen zu wollen, macht Einzelhandelsvertreter Busch-Petersen eine andere Rechnung auf: „Im Vergleich zu München hat Berlin über 1.000 Euro weniger Kaufkraft pro Person und Jahr.“ Insgesamt liege Berlin in Sachen Kaufkraft im Vergleich zu anderen deutschen Städten auf Platz 204.
In eine ähnliche Richtung geht auch die Argumentation der Grünen, die der Alexanderplatzplanung schon immer kritisch gegenüberstanden. „Allein im vergangenen Jahr sind im Einzelhandel 10.000 Arbeitsplätze verloren gegangen, doch die machen fröhlich einfach so weiter“, sagt die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Grünen, Claudia Hämmerling. Sie befürchtet zudem, dass von den geplanten Hochhäusern am Alex nur die Sockelgeschosse für die Einzelhandelsflächen gebaut würden. „Alles andere rentiert sich doch nicht.“
Aber auch aus den Koalitionsfraktionen regt sich Unmut. „Wenn diese Flächen am Alexanderplatz realisiert werden“, sagt Hämmerlings PDS-Kollege Freke Over, „kann ich den Baustadträten der benachbarten Bezirke nur raten, sich schon jetzt Gedanken über die Nachnutzung ihrer Einkaufszentren zu machen.“
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