: Französische Revolution
Vivendi-Chef Jean-Marie Messier tritt ab. Zweitgrößtem Medienkonzern der Welt droht jetzt die Auflösung
Die Bedingung zum Schluss entsprach dann doch wieder der „exception culturelle“: Sein Nachfolger, forderte Jean-Marie Messier, müsse Franzose sein.
So viel Bekenntnis des abgesägten Vivendi-Universal-Chefs zur Grande Nation und ihrem egotistischen Kulturvorbehalt war man eigentlich gar nicht mehr gewohnt. Ende letzten Jahres hatte Messier ausgerechnet in New York eben jene „exception culturelle“ für tot erklärt. Und erst im April brachte er erneut das kulturelle Establishment von Oscar-Preisträgerin Juliette Binoche bis zur französischen Fußballnationalmannschaft gegen sich auf, als er bei Canal + aufräumte und dessen Chef Pierre Lescure in die Wüste schickte. Die europaweit aktive Pay-TV-Plattform, hieß es damals, sei Ikone des französischen TV-und Filmschaffens. Lescure sendete live und unter Tränen eine Abschiedsbotschaft ans französische Volk, Kritiker störten die Vivendi-Generalversammlung, und Messier beantragte Polizeischutz.
Doch Canal + sorgte seit Jahren nicht nur für frankofone Highlights, sondern auch für satte Verluste beim von rund 19 Milliarden Euro Schulden geplagten zweitgrößten Medienkonzern der Welt. Nimmt man den Versorgungsbereich des aus Frankreichs Oberwasserwerk Générale des Eaux entstandenden Unternehmens dazu, liegen sie sogar bei über 30 Milliarden.
Zu teuer, zu unstrategisch habe Messier, der noch vor Jahresfrist auf beiden Seiten des Atlantiks als Genie gefeiert wurde, eingekauft und agiert, sagen die Banker heute: 1998 der Einstieg ins Mediengeschäft durch Übernahme der Havas-Gruppe – und die Umbenennung des bisherigen Versorgungsunternehmens in Vivendi, 1999 der Kauf einer Minderheitsbeteiligung an Rupert Murdochs Pay-TV-Imperium BSkyB, 2000 dann die über 100 Milliarden Euro schwere Fusion mit dem Mediengeschäft des kanadischen Seagram-Konzerns, die Vivendi den Film-, Fernseh- und Musiksriesen Universal und den heutigen Doppelnamen bescherte, 2001 schließlich noch der 11 Milliarden Euro teure Kauf des US-Kabelsenders USA Networks.
Im März 2002 musste Messier seinen Aktionären und Kreditgebern dann den höchsten Verlust verkünden, den je ein französisches Unternehmen angehäuft hatte: minus 13,6 Milliarden Euro – bei einem Jahresumsatz von rund 57 Milliarden. Der Druck vor allem US-amerikanischer Investoren wuchs seit Monaten, Aufsichtsräte traten zurück, die Vivendi-Aktie verlor seit Jahresanfang über 60 Prozent an Wert.
Zu allem Überfluss, berichtet Le Monde, soll das Unternehmen auch noch versucht haben, seine letzte Bilanz zu schönen. Die Ratingagentur Moody’s stufte gestern die Vivendi-Aktie auf das Niveau von Junk Bonds herab. Gegenmittag wurde an der Londoner Börse der Handel ausgesetzt.
Eine für heute einberufene Sondersitzung des Vivendi-Verwaltungsrates soll nun den modernen „Sonnenkönig“ formal entlassen. Messiers Abschiedsforderung indes scheint erfüllt zu werden: Als aussichtsreichster Nachfolger des 46-jährigen gilt Jean-René Fourtou (63). Die Aktionäre wird’s freuen, das Kulturestablishment weniger: Der Spitzenmanager des deutsch-französischen Pharmakonzerns Aventis gilt als harter Sanierer, der global denkt – und börsenorientiert. Sollte er Messiers Posten übernehmen, gilt eine Entflechtung des Gemischtwarenladens Vivendi als sicher.
Und auch James Harding kann weiterschreiben. Der ehemalige Medienredakteur der Financial Times sitzt an einem Buch über die Geschichte des Jean Marie Messier. Jetzt weiß er, wie sie ausgeht. STEFFEN GRIMBERG
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