Über dem See ein dunkler Donner

Der Schriftsteller Martin Walser, Bodenseekapitän Klaus Barinka, ein junger Polizeiobermeister: Nach dem Absturz zweier Flugzeuge in der Nacht zum Dienstag versuchen Zeugen, Helfer und Politiker das Ausmaß des Unglücks zu ermessen

Die Katastrophe riss Martin Walser aus dem Schlaf. „Es war so laut wie der lauteste Donner, aber härter, gegenständlicher“, sagte der 75-jährige Schriftsteller gestern. „Der Hund kam sofort zur Schlafzimmertür und wollte Asyl.“ Erst mehrere Stunden später erfuhr Walser, welche Tragödie sich in 12.000 Metern Höhe über seinem Wohnort in Nussdorf bei Überlingen am Bodenseeufer ereignet hatte. „Man wird dabei erinnert, dass man lebt unter sich kreuzenden Luftwegen“, sagte Walser. „Die hört man, wenn man nachts nicht schlafen kann.“

Die brennenden Wrackteile, darunter auch ein komplettes Triebwerk der russischen Maschine, gingen über 30 Kilometer verstreut um die Gemeinde Owingen nieder. Zeugen, die das Unglück sahen, berichten von Feuerkugeln. „Als wenn es am Himmel brennt“, beschrieb Klaus Barinka, Kapitän der Bodenseefähre Konstanz–Meersburg seinen Eindruck. „Ich wusste gleich, es kann bloß ein Flugzeug gewesen sein.“

„Wir haben uns sofort auf die Suche nach Überlebenden gemacht“, berichtete ein junger Friedrichshafener Polizeiobermeister. Im Abstand von mehreren hundert Metern lagen auf den Wiesen und Äckern verteilt brennende Überreste der beiden Maschinen, das Trümmerfeld zog sich in Richtung Norden vom Bodensee weg. Im Lichtstrahl der Taschenlampen fanden Helfer auch die ersten Opfer. „Ich möchte nicht über die Toten sprechen“, sagte der Polizeiobermeister, kaum in der Lage, die Tränen zu unterdrücken.

Bis gestern Nachmittag wurden 26 Leichen, zum Teil noch angeschnallt, in den Wrackteilen der Tupolew entdeckt. Nachdem es zunächst Meldungen gegeben hatte, dass auch am Boden Häuser durch herabstürzende Teile in Flammen aufgegangen sein sollen, konnte die Polizei schnell Entwarnung geben. „Ich danke Gott“, sagte Bundesverkehrminister Kurt Bodewig, „dass dieser Unfall nur in der Luft stattgefunden hat. Es ist fast ein Wunder.“

Viel hätte allerdings nicht gefehlt und das Flugzeugunglück hätte noch mehr Opfer gekostet: Trümmer wie etwa das Tupolew-Triebwerk stürzten in unmittelbarer Nähe von Wohnhäusern ab. Nahe des Golfplatzes von Owingen kam eine Familie mit dem Schrecken davon: Nur wenige Schritte vom Wohnhaus entfernt kamen das Fahrwerk, der Bauch, mehrere Räder und vermutlich Teile der Tragfläche der Tupolew nieder. Der Garten war gestern ascheschwarz, Bäume verkohlt. Ein Holzschuppen verbrannte. Leichenteile lagen in einigen Metern Entfernung auf der Wiese. Daneben wurde der Flugschreiber gefunden. „Die Familie kann noch einmal Geburtstag feiern“, sagte Polizeisprecher Harald Wanner.

Nach einem Hubschrauberflug über dem Unglücksgebiet berichtete Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel, dass wahrscheinlich keine Trümmer oder Opfer in den Bodensee gefallen seien. Nicht nur gebe es im See, aus dem die Stadt Stuttgart ihr Trinkwasser bezieht, keine Kerosinspuren. Auch an Bord des abgestürzten Frachtflugzeugs des Logistikunternehmens DHL seien lediglich Post und Pakete gewesen und nicht etwa Gefahrengüter.

(afp/dpa/ap)