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„Wir müssen mutiger sein“

Interview BERNHARD PÖTTER

taz: Herr Jiménez-Beltrán, kennen Sie einen europäischen Premierminister, der nachhaltige Entwicklung wirklich ernst nimmt?

Domingo Jiménez-Beltrán: Ja, Göran Persson, den schwedischen Premier, und seinen niederländischen Kollegen Wim Kok. Sie haben vor dem EU-Gipfel in Barcelona einen sehr ernsten Brief an den spanischen Präsidenten und EU-Ratsvorsitzenden José María Aznar geschrieben und darauf hingewiesen, dass sich die EU von den Beschlüssen von Göteborg (siehe Kasten) verabschiedet; dass die ökonomische Entwicklung ökologische Fragen dominiert.

Und was ist mit den 13 Kollegen von Persson und Kok?

Wir befinden uns in einer Periode der Neuorientierung nach dem 11. September. Seit 1997 ist der Schwung in der EU für nachhaltige Entwicklung gewachsen. Leider hat der 11. September alte Prioritäten zurückgebracht.

Europa entwickelt sich seit Jahrzehnten ohne viel Rücksicht auf Fragen von Umwelt und Sozialem.

Die allgemeine Lage der Umwelt hat sich nicht entscheidend verbessert, aber die Bedingungen für einen Wandel haben sich geändert. Es war etwa ein wichtiges Signal, dass die EU bei den Klimaverhandlungen über das Kioto-Protokoll die Führung übernommen hat. Und schließlich hat die EU im Vertrag von Amsterdam nachhaltige Entwicklung als ihr Ziel anerkannt. Das darf man nicht vergessen: nachhaltige Entwicklung ist das Ziel, Wirtschafts- und Finanzpolitik sind die Instrumente dafür.

Aber dieses Ziel rückt in immer weitere Ferne. Sehen Sie überhaupt den Willen zur Veränderung?

Zumindest gibt es die Rhetorik. Die Rolle der Europäischen Umweltagentur (EEA) ist es, die Schritte zur Nachhaltigkeit zu untersuchen und festzuhalten, also eine Brücke zwischen Rhetorik und Realität zu bauen. Die EU hat einen deutlichen Willen zum Wandel in Göteborg gezeigt. Aber wir sind jetzt in einer Phase der Abkühlung, und das ist schlecht – vor allem mit Blick auf die Konferenz in Johannesburg. Die Gipfel in Barcelona und Sevilla waren keine guten Signale. Wir haben in diesem Jahr den Schwung verloren.

Das stimmt vielleicht auf der politischen Ebene. Aber bei den Themen Energie, Verkehr und Landwirtschaft hat es nie großen Schwung für einen Wechsel gegeben, wie man in den Papieren Ihrer Behörde nachlesen kann.

Wir müssen mutiger sein, positive Signale unterstützen und negative Trends umdrehen. Die EU stößt heute deutlich weniger Treibhausgase aus, aber der Verkehr emittiert mehr denn je.

Die CO 2 -Reduktion der EU kommt fast nur aus Deutschland und Großbritannien. Andere Länder legen sogar zu.

Ja, aber es es ist wichtig zu zeigen, dass es einen Willen und einen Weg gibt. Und das hat die EEA gezeigt. Irland etwa verbessert seine Energieeffizienz um 3 Prozent im Jahr. Aber Spanien, Portugal, Italien und Belgien haben ihre Energieeffizienz verschlechtert. Wichtig ist, dass wir ein anderes Modell präsentieren als die USA. In den letzten zehn Jahren hat die EU die Emissionen von Treibhausgasen um 4 Prozent gesenkt. Die USA haben in dieser Zeit ihren Ausstoß um 14 Prozent gesteigert, ohne Anrechnung von Aufforstungsprogrammen sogar um mehr als 20 Prozent. Und sie emittieren ohnehin schon zweimal so viel pro Kopf wie Europa. Europa kann sich mit seinem Modell also durchaus sehen lassen – ökonomisch, ökologisch und auf jeden Fall bei der Nachhaltigkeit.

Trotzdem ist auch die EU weit von nachhaltiger Entwicklung entfernt. In Europa gibt es ein deutliches Übergewicht für die Wirtschaft zulasten von Umwelt und sozialen Erfordernissen.

Eben, deshalb ist es ja so wichtig, dass die EU die Nachhaltigkeitsstrategie mit anspruchsvollen Zielen verabschiedet hat. Das war ein wichtiges politisches Zeichen, und jetzt muss der Druck aufrecht erhalten werden. Aber seit dem 11. September zählen Einwanderung, Kampf gegen den Terrorismus, Marktliberalisierung und die EU-Erweiterung – ohne Zweifel wichtige Themen. Es beunruhigt mich aber, dass die Nachhaltigkeit seitdem von der politischen Agenda verschwunden ist. Und es beunruhigt mich noch mehr, weil in Johannesburg die EU der einzige Akteur ist, der die Entwicklungsländer mitnehmen kann.

Die Kommission treibt die Osterweiterung der EU voran. Bedeutet das nicht einen Rückschlag für nachhaltige Entwicklung?

Das ist der völlig falsche Ansatz. Alle diese Länder sind der EEA beigetreten. Warum? Weil sie wissen, dass Umweltinformationen gut für ihre Entwicklung sind. Diese Länder sind doch in einer viel besseren Position für die Modernisierung ihrer Industrie nach Maßstäben der Nachhaltigkeit als die westlichen Länder. Experten nennen das „leapfrogging“: Aus der hinteren Position ganz nach vorne springen. Deutschland hat so etwas nach dem Krieg erlebt: Es musste seine gesamte chemische Industrie neu aufbauen und hat das auf modernstem Standard getan.

Das klingt gut. Aber finden die Beitrittsländer einen Weg zur nachhaltigen Entwicklung? Bisher begehen sie unsere Fehler ein zweites Mal.

Aber wer ist denn dafür verantwortlich? Wir glauben, dass die Erweiterung ein 120-Milliarden-Dollar-Geschäft ist, wo wir Filter einbauen und alte Kraftwerke sanieren. Das Ziel der Erweiterung hätte nicht die Übernahme der EU-Gesetze sein müssen, sondern die nachhaltige Entwicklung. Wir schauen auf die Erweiterung nur nach dem Motto: Wo gibt es Umweltprobleme, wie viel Geld kostet das Aufräumen? Wir übersehen, was für fantastische Naturschätze diese Länder in die Union einbringen, dass sie eine bäuerliche und ökologische Landwirtschaft haben und einen ausgebauten öffentlichen Verkehr. Die Erweiterung ist keine Bürde, sondern eine Chance.

Auch auf globaler Ebene gilt das leapfrogging: Schwellenländer könnten sich schneller auf nachhaltige Strukturen einstellen als völlig strukturierte Länder wie Deutschland. Wie unterstützen Sie das?

Vor allem in Südamerika und Afrika können wir beim Aufbau von Institutionen ähnlich der EEA helfen. Diese Länder müssen mehr Informationen darüber haben, wie sie ihren Reichtum besser für Entwicklung einsetzen. Wichtiger noch ist eine globale Finanzordnung, obwohl darüber niemand reden will. Wir haben einen globalen Markt geschaffen, ohne jede soziale Struktur. Diese Ungleichheiten müssen wir beschränken. Wir brauchen Steuern auf Flugbenzin, auf Kohlendioxid-Ausstoß und Devisenspekulationen. Wir brauchen sie, weil bisher die Entwicklungshilfe freiwillig, nicht vorhersagbar und unzureichend ist – ein Almosen.

Was muss das Ergebnis von Johannesburg sein, damit die Konferenz kein Fehlschlag wird?

Wir müssen die Bereitschaft von Rio bekräftigen, die globalen Probleme gemeinsam anzugehen. Wir brauchen einen Aktionsplan mit Zielen und Zeitvorgaben und einem starken Überwachungsmechanismus. Wir brauchen gültige Maßstäbe dafür, wie weit welches Land auf dem Weg zu nachhaltiger Entwicklung ist. Und: Die Vereinbarungen mit der Industrie, die in Johannesburg unterzeichnet werden sollen, müssen sich in verbindlichen Verträgen der Staatengemeinden wiederfinden.

Die USA machen da nicht mit.

Die EU hat schon einmal, im Kioto-Prozess, die USA zurückgelassen. Warum soll man auf eine Bewegung der USA warten, wenn sie sagen, dass sie dazu nicht bereit sind? Es ist gut, wenn sie an Bord sind, aber manchmal muss man seinen eigenen Weg gehen. Man kann die Welt nicht anhalten, nur weil die USA sie anhalten wollen.

Die EU will dem Rest der Welt vermitteln, wie und was nachhaltige Entwicklung ist – aber selbst ist sie davon weit entfernt.

Natürlich gibt es ein Glaubwürdigkeitsproblem. Und wenn die EU nicht Verantwortung übernimmt und mit einer Stimme spricht, kann man nicht viel von Johannesburg erwarten. Aber die EU sollte noch nicht aufgeben.

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