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Heiteres Katerfrühstück mit Thilo Sarrazin

Eine Woche nach dem Eklat im Abgeordnetenhaus während der Haushaltsverabschiedung ist der Finanzsenator wieder guter Dinge. Am Buffet erläutert er die Ziele seiner Sparpolitik und tischt „Fakten und Folien“ auf. Die Dimensionen der Finanzkrise jedoch wagt er nur anzudeuten

Was haben sie nicht geschimpft über diesen Sarrazin in der vergangenen Woche! Fingerspitzengefühl, Versand und Loyalität gleichermaßen sprachen führende Politiker von SPD und PDS ihrem Finanzsenator ab. Thilo Sarrazin (SPD) hatte gegen Ende der Etatberatungen den von ihm vorgelegten Haushalt selbst für verfassungswidrig erklärt. „Ich beglückwünsche Sie ausdrücklich zu Ihrem Mut zur Wahrheit“, begrüßt den tapferen Senator hingegen der Vorsitzende des Verbandes der Berliner Kaufleute und Industriellen. Der Wirtschaftsclub hat zu einem „Business Breakfast“ geladen – und der Saal ist um sieben Uhr morgens rappelvoll. Das liegt an Sarrazin. Journalisten sind sowieso immer da, wenn der Finanzsenator irgendwo auftritt: Man kann nie wissen, ob er nicht doch zehn Prozent Lohnverzicht oder längere Arbeitszeiten für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst fordert. Und die anwesenden Unternehmer haben sogar 20 Euro Eintritt gezahlt, um den Mann kennen zu lernen, der die Staatsausgaben für zu hoch hält und seine Beamten für „übel riechend“.

Beide Zuhörergruppen werden aber erst mal enttäuscht. Sarrazin erzählt immer das Gleiche, egal vor wem er steht. So müssen die Bosse und Bösschen ein wenig schlucken, als Sarrazin erklärt, die Schaffung besserer Bedingungen für Investoren sei „nicht mein Thema“. Mehr Steuerkraft bedeute weniger Geld aus dem Länderfinanzausgleich, also ein Nullsummenspiel. Sarrazin redet seinen Gastgebern nicht nach dem Mund, auch im Unternehmerclub sucht er keine Freunde, sondern hält sich an „Fakten“, womit er seine Zahlen meint. „Für nicht zahlenorientierte Menschen“ hat Sarrazin – wie immer – Folien mitgebracht.

Verbreitung von Optimismus ist nicht sein Anliegen. 350 Millionen Euro Einsparungen bis 2003 hat er im gerade verabschiedeten Haushalt durchgesetzt, die Stadt stöhnt an allen Ecken und Enden, doch Sarrazin redet das Erreichte klein: In der gleichen Zeit gebe es allein Zinssteigerungen von 450 Millionen. Ziel sind strukturelle Einsparungen von 2,1 Milliarden Euro.

Sarrazin – jetzt schon der Buhmann der Stadt – hat noch gar nicht richtig angefangen. Er deutet an diesem frühen Morgen wenigstens an, was niemand sonst sagt, aber jeder politisch Interessierte weiß: Die dringend notwendigen Strukturreformen hat der rot-rote Senat auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben. Das politische Schicksal des Thilo Sarrazin wird zwischen dem 22. September 2002 und der Verabschiedung des Haushaltes im nächsten Sommer entschieden. Wird er sich dann durchsetzen können? Fraglich. 1,24 Milliarden gibt das Land jährlich „für schon gebaute Wohnungen“ aus, rechnet er vor. Bisher hat sich der Senat noch nicht einmal gegen eine Anschlussförderung entschieden.

Die Gäste des Business-Frühstücks sind dennoch ganz angetan. In ihren Fragen formulieren sie die Ressentiments der Freiberufler gegen die Staatsdiener. Stimmt es, dass einige Verwaltungen einen Krankenstand von zwanzig bis dreißig Prozent haben? Sarrazins Finanzverwaltung kommt auf 4,3 Prozent. Am Ende produziert der Senator doch noch eine Nachricht, die das frühe Aufstehen auch für Agenturjournalisten lohnend macht.

Um die Dimension der Verschuldung Berlins zu illustrieren, berichtet er, Berlin habe im Jahre 2006 trotz Konsolidierung 57 Milliarden Schulden, könne aber höchstens 15 bis 18 Milliarden verkraften, beim Rest müsse der Bund helfen. Daraus wird die Schlagzeile: Sarrazin fordert Bundeshilfe im zweistelligen Milliardenbereich. Der Senator sagt selbst: „Das wird ein mittlerer Verteidigungshaushalt, den wir da fordern.“ Der aktuelle Verteidigungshaushalt beträgt rund 24 Milliarden. ROBIN ALEXANDER

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