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Eine Ungleichheit, die normal scheint

Eine Studie untersucht die institutionelle Diskriminierung von Migrantenkindern in der Schule: Zahlreiche Barrieren in der schulischen Organisation bilden ein feinmaschiges Netz, durch das es in der Wechselwirkung mit individuellen Problemfaktoren schließlich kaum ein Durchkommen gibt

von VERONIKA KABIS-ALAMBA

Als Indikatoren institutioneller Diskriminierung von Migrantenkindern gelten die auffallenden Unterschiede in den Schulabschlüssen sowie die überdurchschnittliche Zahl der Sonderschulzuweisungen. „Diese andauernden Ungleichheiten, die inzwischen so normal scheinen, dass sie im Schulalltag kaum ernsthaft hinterfragt werden, lassen sich nicht mehr ausschließlich mit Defiziten der betroffenen Kinder, ihrer familiären Umwelt oder mit ihrer anderen „Kultur“ erklären“, so Mechtild Gomolla von der Universität Osnabrück. „Ihre Ursachen sind vielmehr in den schulischen Strukturen und Praktiken zu suchen. Diese sind das Ergebnis des Zusammenwirkens von ausländerpolitischen Vorgaben, bildungspolitischen Rahmenbedingungen, den Strukturen des lokalen Schulangebots sowie Organisationszwängen und etablierten pädagogischen Praktiken in einzelnen Schulen.“ Auch das zeigt ein Bundesländervergleich.

Entscheidend am Ansatz der Studie von Gomolla und Frank-Olaf Radtke ist, dass man Ursachen weder beim einzelnen Lehrer noch beim einzelnen Schüler sucht, sondern in der Organisation Schule. „Es scheint geboten zu sein“, so die AutorInnen, „bei der Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und allen damit verbundenen Formen der Diskriminierung nicht länger nur auf Moral zu pochen und bei den Individuen und ihren Vorurteilen anzusetzen.“ Der größte Anteil der Benachteiligung geht von Institutionen aus.

In der Studie wird nach Mechanismen direkter und indirekt institutionalisierter Diskriminierung unterschieden. Die direkte Diskriminierung kommt in der Regel als „positive Diskriminierung“ in fördernder Absicht daher, etwa wenn Kinder explizit zum Deutschlernen in den Schulkindergarten zurückgestellt werden, obwohl der Schulkindergarten ausdrücklich nicht zum Spracherwerb vorgesehen und darauf eingerichtet ist. Noch häufiger lassen sich Formen indirekter Diskriminierung antreffen: bei den Einschulungsuntersuchungen etwa, wenn aus fehlenden Deutschkenntnissen mangelnde Schulreife gemacht wird, um einen Grund für Zurückstellung zu haben. Auch fehlende Kindergartenzeiten scheinen bei Migrantenkindern fast automatisch in den Schulkindergarten zu führen. Zur Begründung heißt es dann, den Kindern fehlten praktische Fähigkeiten, sie seien im Sozialverhalten noch nicht angepasst, ihre Eltern könnten sie nicht unterstützen, die Mentalitätsunterschiede seien zu groß und die Integrationswilligkeit der Eltern sei in Frage zu stellen. Eltern, die solchen Entscheidungen widersprechen, werden oft nicht ernst genommen, ihr Widerspruch wird als „Kulturkonflikt“ entwertet.

Die Bielefelder Forschungsgruppe ermittelte ein erschreckendes Ausmaß an Praktiken, in denen Bestimmungen zum Schutz vor einer Überweisung in die Sonderschule aufgrund von fehlenden Deutschkenntnissen umgangen werden, jedenfalls dann, wenn es der Schule nutzt. So scheint die obligatorische Überprüfung des muttersprachlichen Sprachstandes nur in Ausnahmefällen umgesetzt zu werden. Teilweise geschieht die Überweisung in Sonderschulen, noch bevor die regulären Fördermöglichkeiten der Grundschule überhaupt erschöpft sind.

Beim Übergang in die Sekundarstufe stellten die ForscherInnen fest, dass Migrantenkinder in der Übergangsempfehlung vielfach heruntergestuft werden. Selbst bei guten Noten wird der Besuch einer Real- oder Hauptschule empfohlen. Auch hier werden tatsächliche oder vermeintliche Sprachdefizite überbetont: Ohne perfekte Deutschkenntnisse sei kein Erfolg auf dem Gymnasium möglich. Dass dies aber auch Aufgabe der weiterführenden Schule wäre, kommt nicht in den Blick.

Nun könnte man glauben, mit der allmählichen Öffnung der Schulen für eine moderne interkulturelle Pädagogik sei ein Schritt in die richtige Richtung gemacht worden. Doch auch hier lauern Gefahren. Denn die wohlmeinende Beschäftigung mit anderen Kulturen, wie sie etwa in „Multikulti“-Schulfesten und interkulturellen Projektwochen stattfindet, schafft eine Konstruktion von Differenz, die die Mechanismen von institutioneller Diskriminierung legitimiert: Genau dann, wenn es um wichtige Entscheidungen über die Schullaufbahn der Migrantenkinder geht, werden die zuvor positiv betonte Unterschiedlichkeit und der Gegensatz der Kulturen gegen die Kinder gewandt, werden aus der „kulturellen Bereicherung“ Überlastungs- und Bedrohungsszenarien. Die notwendige Anpassung der regulären Schulstrukturen an stark heterogene Schülerschaften unterbleibt, die unbequemen Aspekte im Umgang der Schule mit sprachlicher und kultureller Vielfalt werden ausgeblendet.

Die Bielefelder Forschungsgruppe kam zu dem Ergebnis, dass die institutionellen Barrieren für Migrantenkinder im deutschen Schulsystem so zahlreich sind, dass sie ein feinmaschiges Netz bilden, durch das es in der Wechselwirkung mit individuellen Problemfaktoren kaum ein Durchkommen gibt – es sei denn, die Schule hat, etwa in Zeiten von Schülermangel, ein Interesse an Migrantenkindern, um ihren eigenen Bestand zu erhalten.

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