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Das Gesetz der europäischen Bourgeoisie

Klar, schlicht und wirkungsmächtig: Der Code Napoléon bewahrte viele Errungenschaften der Revolution. Würdigung anlässlich einer Neuausgabe

Alexis de Tocqueville hielt ihn für eine „Kriegsmaschine, die alles in Stücke“ reiße, und der Schriftsteller Stendhal lobte die luzide Klarheit seiner Sprache: Beide sprachen vom „Code Napoléon“, dem französischen Zivilgesetzbuch, das am 21. 3. 1804 als „Code civil“ in Kraft trat. Das Werk wurde seitdem vielfach verändert und ergänzt, blieb jedoch in seiner Grundstruktur erhalten. Der Frankfurter Stroemfeld Verlag hat nun die zweisprachige Ausgabe von 1808 in einem prächtigen Faksimile-Nachdruck herausgebracht.

Der „Code civil“ realisierte im Privatrecht, was Napoleon im Dezember 1799 als sein politisches Programm vorgestellt hatte: „Die Verfassung ruht […] auf den heiligen Rechten des Eigentums, der Gleichheit, der Freiheit [...] Die Revolution bleibt verknüpft mit den Prinzipien, unter denen sie begonnen wurde. Sie ist zu Ende.“ Das Gesetzbuch transportierte die revolutionären Errungenschaften von 1789 ins Privatrecht: voran die Freiheit der Person, deren Gleichheit vor dem Gesetz sowie die Freiheit des Eigentums, die Vertrags- und Berufsfreiheit. Mit der Definition der Ehe als Vertrag begründete der „Code civil“ die Kirchenferne des Staates, den Laizismus.

Die Leistung der Redakteure kann man ermessen, wenn man den „Code civil“ mit dem „Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten“ (1794) vergleicht. Auch das Landrecht versuchte, die überkommene Vielfalt von ständischen Sonderrechten mit den allgemeinen Menschenrechten und den Erfordernissen an eine handhabbare bürgerliche Eigentumsordnung sowie einen modernen Geld- und Güterverkehr zu versöhnen. Das Landrecht wurde mit seinen fast 20.000 Artikeln zum unförmigsten Monstrum in der europäischen Gesetzgebungsgeschichte und erlangte nie landesweite Gültigkeit. Der „Code civil“ umfasst dank seiner handwerklich-juristischen wie sprachlichen Eleganz lediglich 2.281 Artikel. Das verdankt er der intellektuellen Anstrengung, die Vielfalt der zivilrechtlichen Tatbestände durch Abstraktion, Vereinfachung und Systematisierung zu reduzieren. An nicht weniger als 57 der insgesamt 102 Redaktionssitzungen nahm Napoleon selbst teil und war überzeugt, dass er nicht mit seinen gewonnenen Schlachten, sondern mit diesem Gesetzeswerk in die Geschichte eingehen werde.

Systematisch lehnte sich der „Code civil“ an die Dreiteilung des römischen Rechts an: Personen, Sachen und Handlungen. Der Teil, der „von den Personen“ handelt, enthält 515, jener „von den Sachen und den verschiedenen Beschränkungen des Eigentums“ 194 und jener „von den verschiedenen Arten, das Eigentum zu erwerben“ 1.570 Artikel. Repräsentativ für die Klarheit und Schlichtheit der Sprache des Gesetzeswerkes ist die Definition von „Eigentum“ als „Recht, eine Sache auf die unbeschränkteste Weise zu benutzen und darüber zu verfügen, vorausgesetzt, dass man davon keinen durch die Gesetze oder Verordnungen untersagten Gebrauch mache“.

Der „Code civil“ ist insofern das Gesetzbuch der 1789 siegreichen Bourgeoisie, als eine einzige Figur seinen Horizont bestimmt und gleichzeitig alle Normen durchdringt: der Mensch als Eigentümer. Für Marx war die Welt eine „ungeheure Warensammlung“ und das Privatrecht der Ort, wo sich „Personen füreinander als Repräsentanten von Ware und daher als Warenbesitzer“ begegnen. Im „Code civil“ schlägt sich das in der Mehrzahl der Artikel nieder, die von Eigentümern und ihren Rechten handeln. Das Gesetzbuch erklärte alle feudalrechtlichen Normen für nichtig und schwächte mit der Realteilung des Erbes vor allem die adligen Grundbesitzer. Die Parzellierung des Bodens war erwünscht und ermöglichte es der zahlungsfähigen Bourgeoisie, Boden zu erwerben. Gleichzeitig verschaffte Napoleon einer Elite von Neureichen, die von ihm abhängig waren, Sonderbesitzrechte an Grund und Boden. Im Gegensatz zu den Normen des „Code civil“ war dieser Besitz unveräußerbar, unverschuldbar und vor allem nur ungeteilt vererbbar an den Erstgeborenen. Einem seiner Brüder – dem König von Neapel – empfahl Napoleon, dort den „Code civil“ einzuführen, denn so werde „alles, was nicht an Euch gebunden ist, in wenigen Jahren“ (durch Erbteilungen) „verschwinden, und alles, was Sie erhalten wollen, wird sich stabilisieren“.

Die Vertragsfreiheit als revolutionäre und „wichtigste Veränderung“ (Uwe Wesel), die der „Code civil“ bewirkte, beseitigte nicht alte Ungleichheiten – etwa die zwischen Mann und Frau. Artikel 213: „Der Mann ist seiner Frau Schutz, und die Frau dem Mann Gehorsam schuldig.“ Während der Mann wegen des Ehebruchs seiner Frau die Scheidung beantragen konnte, erhielt die Frau das Recht dazu nur für den Fall, wenn der Mann „seine Beischläferin in dem gemeinschaftlichen Hause“ empfangen hat. Bei Lohnstreitigkeiten setzte der „Code civil“ Arbeiter ungeschützt der Willkür des Unternehmers aus. Ein ähnliches Gefälle bestand bei den Verjährungsfristen für Eigentumstitel (zehn bis dreißig Jahre) und Löhne (ein Jahr).

Trotz vieler mit Händen zu greifenden „klassenspezifischen Anliegen“ (Pio Caroni) des Gesetzeswerkes rettete es den Kern der Revolution von 1789 – die Befreiung der Person von geburts- und berufsständischen Bindungen und Ungleichheiten. Alle Versuche, den „Code Napoléon“ in Staaten einzuführen, die nicht gleichzeitig ein Mindestmaß an politischer Teilhabe der Bürger, Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Justiz und Gesetzesbindung der Verwaltung garantierten, scheiterten oder blieben auf halbem Weg stecken. Der liberale nassauische Jurist Luwig Harscher von Allmendingen begründete das 1808 damit, dass der „Code Napoléon“ eine „Emanation der Gesetzgebung“ sei. „Er verdankt seine Gültigkeit der Zustimmung des repräsentierten Volkes. Jeder seiner Artikel ist Gesetz, nicht Regierungsakt.“ Nur im Königreich Westfalen von Jérôme Bonaparte galt das ganze Gesetzbuch von 1808 bis 1815.

Nicht was seinen Geltungsbereich, aber was seine Wirkung betrifft, war der „Code Napoléon“ ein legitimes Kind der Revolution und der Menschenrechtsdeklaration und insofern vorweggenommenes „gemeineuropäisches Recht“ (Bigot de Préameneu). RUDOLF WALTHER

Code Napoléon – Napoleons Gesetzbuch. Dt.-frz. Ausgabe, Faksimile-Nachdruck der Ausgabe Straßburg 1808. Nachwort: Barbara Dölemeyer, 1.120 Seiten (+ CD-Rom), Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main 2002, 99 €

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