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Deutschtürken essen gerne Milka

Marketing-Strategen entdecken Einwanderer und Deutschländer als kaufkräftige Konsumenten. Unternehmen wollen diese nach Herkunft erfassen und mit gezielter Werbung zum Geldausgeben animieren. Das Ganze nennt sich „Ethno-Marketing“

von SEBASTIAN SEDLMAYR

Sie sind männlich, zwischen 30 und 49 Jahre alt, leben in Nordrhein-Westfalen und kaufen am liebsten im Discounter ein? Sie benutzen einen Rasierapparat der Marke Braun, außer Rasierwasser keine Kosmetikprodukte, telefonieren mit D2 hauptsächlich privat und lieben Milka-Schokolade? Dann müssen Sie Deutschtürke sein. Das legt jedenfalls eine Erhebung des Zentrums für Türkeistudien nahe, die als Grundlage für eine ungewöhnliche Marketing-Analyse diente: Der Journalist Folker Kraus-Weysser und die Ethnologin Natalie Urgurdemir-Bricks haben die Deutschtürken als Zielgruppe definiert. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in dem Buch „Ethno-Marketing“.

Kaum ein deutsches Unternehmen kümmert sich bislang um die Deutschtürken als Konsumenten. Die meisten Bedienungsanleitungen sind nicht ins Türkische übersetzt. Und so manche Kampagne scheiterte am Unwissen über kulturelle Eigenheiten. So warb der Telefonanbieter TelDaFax mit dem Slogan „Kein Schwein ruft mich an“ und erntete bei den muslimischen Türken damit freilich keine Pluspunkte.

Die Zielgruppe für Ethno-Marketing in Deutschland ist groß: Allein 2,4 Millionen Menschen türkicher Herkunft leben in der Bundesrepublik. Das durchschnittliche Einkommen in den – allerdings wesentlich größeren – Haushalten liegt nur geringfügig unter dem Wert der deutschen Haushalte. Jährlich 15 Milliarden Euro nehmen diese Haushalte ein, fast ein Viertel des Erwirtschafteten wird gespart, oft auf türkischen Bankkonten.

Das wollen Marketing-Strategen ändern. Um an den Geldbeutel der kaufkräftigen Zuwanderer zu kommen, erfanden sie das „Ethno-Marketing“: Zielgruppen werden kulturell definiert und angesprochen. Da liegt allerdings auch das Problem: Wie sollen drei Generationen türkischer Zuwanderer und in Deutschland geborener Gastarbeiterkinder in eine Zielgruppe gepresst werden? Gar nicht, meinen Kraus-Weysser und Urgurdemir-Bricks. Sie teilen die Deutschtürken in drei Kategorien – erste, zweite und dritte Generation – und unterscheiden zwischen den Geschlechtern. Wer die Bedürfnisse von Deutschtürkinnen der dritten Generation kenne, habe auch mit seiner Werbung Erfolg.

Bleibt die Frage: Ist die Zielgruppe, wenn alle spezifischen Eigenschaften erfasst sind, überhaupt noch ethnisch definiert? Die Analyse der Frauen in der dritten Generation ließe sich fast bruchlos auf ihre deutschstämmigen Altersgenossinnen anwenden: „PC und Handy haben große Bedeutung als Kommunikationsmittel, häufiger Kinobesuch, ausgeprägte Shopping-Kultur.“ Abweichend ist wohl der Musikgeschmack: „vornehmlich türkische Pop-Künstler“. Ethno-Marketing scheint entweder für Türken mit relativ geringem Integrationswunsch geeignet oder für Produkte, die auf diese Zielgruppe zugeschnitten sind.

Kraus-Weysser kritisiert die Ignoranz der Deutschen gegenüber den Bedürfnissen der Deutschtürken: „Für sich selbst beanspruchen die Deutschen gezieltes Ethno-Marketing“, sagt er und spielt damit auf den deutschen Reklamemarkt an, der sich wie selbstverständlich an spezifisch deutschen Vorlieben und Abneigungen orientiert. „Von 33 Milliarden Werbeausgaben entfallen nur rund 100 Millionen auf Kampagnen für Nichtdeutsche“, moniert Kraus-Weysser.

Sollte das Interesse deutscher Unternehmen an der ethnisch spezifischen Strategie steigen, dient die Kenntnis kultureller Eigenheiten allerdings nur als Instrument zum Verkaufen. Ein Integrationsbeitrag ist Ethno-Marketing nicht. Es betont die Unterschiede zwischen Deutsch- und Türkischstämmigen.

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