: Ein gelenkiger kleiner Spagat
„FAZ“-Herausgeber Schirrmacher schreibt dem „Spiegel“ einen Bewerbungsleserbrief
BERLIN taz ■ Es ist ein merkwürdiger Leserbrief, der die aktuelle Ausgabe des Spiegels ziert: „Der Nachruf auf die Gräfin war ein meisterhaftes Stück, um das ich den Spiegel, vor allem aber den Autor beneide.“ Gezeichnet: Dr. Frank Schirrmacher, Herausgeber der FAZ. Auf den ersten Blick eine höfliche Geste, würden dabei nicht gleich mehrere Aspekte unangenehm auffallen.
Zum einen mied die FAZ Marion Gräfin Dönhoff zeit ihres Lebens und über ihr Ableben hinaus: Die entsprechende Todesanzeige der Zeit wollte die FAZ als einzige deutsche Tageszeitung nicht abdrucken. Begründet wurde der nicht eben pietätvolle Schritt mit der juristischen Spitzfindigkeit, der Zeit-Schriftzug sei unerwünschte Werbung für die Konkurrenz. Nein, die Gräfin war den konservativen Frankfurter immer suspekt. Sei es, weil die Zeit zwischen 1965 und 1975 Zentralorgan gesellschaftlicher Umbrüche war, die die FAZ von Herzen ablehnte; sei es, weil sich die ostpreußische Adelige nie für die revanchistisch gefärbten Belange der Vertriebenen einspannen ließ.
Wie tief die Abneigung ging, belegt der Umgang mit einer Rede des Historikers Fritz Stern anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Stern notierte im Original: „Und wenn ich hier nur einen Namen nennen darf, dann wäre es der von Marion Gräfin Dönhoff, deren Geschenk der Freundschaft für mich befreiend und lebensbestimmend ist (…)“. Beim Nachdruck in der FAZ war es diese Passage, die gestrichen wurde – worüber sich Stern wie Dönhoff köstlich amüsierten.
Als Schirrmacher die Gräfin danach um ein Interview bat, wollte sie sich die erste Frage ausbedingen: Warum er, der verantwortliche Herausgeber, ihren Namen gestrichen habe. Das Gespräch kam nie zustande.
Der bebauchpinselte Verfasser des „meisterhaften“ Nachrufs war übrigens Rudolf Augstein selbst – der Herausgeber des Spiegels, für dessen Nachfolge (oder die seines Chefredakteurs Stefan Aust) sich Schirrmacher dem Vernehmen schon mal warm läuft. ARNO FRANK
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