: Seelen aufgeschlitzt
Entsetzte Auftraggeber, begeisterter Sammler: Kokoschka-Porträts in der Hamburger Kunsthalle
Mit Hieben und Farben wird das vorgefundene klassizisierende Gipstondo von Franz Liszt zum Selbstporträt des 22jährigen Künstlers umgearbeitet: Kokoschkas Dreistigkeit ist fast ein Symbol des Wandels von der in Schönheit festgefahrenen Jugendstil-Welt im Wien um 1900 zum expressiven Ausdruck einer neuen Zeit – und steht somit zurecht am Eingang der Sommer-Sonderausstellung der Hamburger Kunsthalle. Die versammelt nach einer Erstpräsentation in der Neuen Galerie in New York zum zweiten und letzten Mal 33 Bildnisse, mit denen der junge Oskar Kokoschka zwischen 1909 und 1914 zum berühmten Künstler wurde.
Kein Geringerer als der revolutionäre Architekt Adolph Loos entdeckte die Kunst Oskar Kokoschkas, als dieser noch angestellter Postkartengestalter der Wiener Werkstätten war. Loos wollte Kokoschka zu einem unabhängigen Künstlerleben verhelfen und verschaffte ihm deshalb Porträtaufträge seiner Freunde und Kunden. Da die aber oftmals über die Bilder eher entsetzt als erfreut waren, garantierte er dem Maler den Ankauf und behielt die Bilder meist begeistert gleich selbst.
In drei Räumen versammelt sich nun in Hamburg eine illustre Gesellschaft aus dekadenten Adeligen, nervösen Intellektuellen und verträumten Ehefrauen. Erstaunlich, wie exakt die damalige, durchweg ablehnende Kritik dennoch das Charakteristische dieser Bilder des „brutalen Seelenaufschlitzers“ traf: Als „Farbgemetzel“ bezeichneten damalige Kritiker die Gemälde. Kokoschkas Werke seien, so hieß es, „mit Farben zusammengebraut aus giftiger Fäulnis, gärenden Krankheitssäften: Sie schillern gallgelb, fiebergrün, frostblau, hektischrot“.
Kokoschka kann mit wenigen Strichen Personen zeichnerisch erfassen, ein Nebenkabinett zeigt dafür Belege. Aber es ist die Farbigkeit, die diesen Porträts rückblickend jene träge, mit apokalyptischen Visionen durchsetzte Stimmung in Wien am Vorabend des Ersten Weltkriegs verleiht. Und mit dem – erst im Jahr 1911 erfundenen Wort – „expressionistisch“ versehen und nun positiv gewertet, werden die Gesichter, ja selbst die Anzüge bei Kokoschka zum Ausdruck der Schlachtfelder der Biographie.
Dagegen hat das – allerdings möglicherweise unvollendete – Bildnis der Tilla Durieux eine fast nackte Hautoberfläche und einen unfixierten Blick: Sehr passend für eine berühmte Schauspielerin, deren jeweiliger Charakter sich erst in einer der gespielten Rollen vollenden wird. Ikonenhaft ruhig, mit totentiefen Augen und von fast jenseitiger Erschöpfung präsentiert sich der Künstler dagegen im Selbstbildnis von 1913. Wenig später wird sich die Geliebte Alma Mahler anderen zuwenden, und die Kunst, vor allem aber die Welt jenseits der Wiener Kaffeehaus-Bohème wird sich blutig und grundlegend verändern. Hajo Schiff
Oskar Kokoschka – das moderne Bildnis 1909 bis 1914, Hamburger Kunsthalle; bis 29. September. Katalog, Hardcover, 256 Seiten: 26 Euro
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