: Galopp im 3. Jahrtausend
Archäologen untersuchen steinzeitliche Siedlungsreste in der Mahndorfer Marsch. Für den geplanten Bau der Pferderennbahn und des Industriegebiets wird das wohl kein Hindernis sein
Reiter jagen auf schnellen Pferden über den Rasen. Ein paar vereinzelte Häuser stehen rundum. Zwischen Hufgetrappel hört man das Schlagen schwerer Eisenteile.
Die Szene spielt in Vergangenheit und Zukunft zugleich: Auf der Mahndorfer Marsch, wo bald ein Industriegebiet und eine Galopprennbahn entstehen sollen, siedelten schon vor 2000 Jahren steinzeitliche Jockeys und Metaller. Sie schmiedeten Waffen zu ihrer Verteidigung, mussten aber schließlich vor übermächtigen Feinden davonreiten.
Das ist jedenfalls eine der möglichen Erklärungen, warum die Siedlungsspuren in der Marsch allesamt älter als 1.800 Jahre sind. Der Landesarchäologe Herrman Witte untersucht auf dem zukünftigen Gebiet der umstrittenen Galopprennbahn Überreste von Häusern, Brunnen und Gebrauchsgegenständen, die vermutlich der Stamm der Chauken zwischen 700 vor und 200 nach Christus hier hinterließ. Allzu spektakulär sollte der Laie sich das aber nicht vorstellen: Organische Spuren sind längst verwest, nach Totenköpfen und steinzeitlichen Festgewändern gräbt man hier vergebens.
Darum untersucht Witte Bodenverfärbungen. Die Siedler bauten ihre Häuser auf Pfählen. Auch wenn die längst zerfallen sind, sind die dunklen Spuren noch deutlich zu erkennen. „Wenn mehrere dieser Spuren im Rechteck angeordnet sind, kann man auf ein Haus schließen“, sagt Witte.
Neben einem mutmaßlichen Brunnen und zahllosen Keramikscherben beschäftigt Witte besonders ein Objekt: Was wie eine rundliche Steinformation aus der Erde ragt, diente den Chauken womöglich als Verhüttungsofen. Dieses Gerät, so Witte, sei fast schon zu groß für den bloßen Eigenbedarf. Sein Schluss: Die Siedler rüsteten auf. Vielleicht sind also Krieg und Vertreibung der Grund für den Mangel an Spuren, die nach dem zweiten Jahrhundert entstanden. Vielleicht produzierte man aber auch nur mehr, um den Überschuss zu verkaufen.
Mit den ehemaligen Bewohnern der Siedlungsreste unter dem Marktplatz können die Ur-Mahndorfer aber keinen Handel getrieben haben: „Die jüngsten Mahndorfer Funde stammen aus dem zweiten, die ältesten Spuren auf dem Marktplatz dagegen aus dem siebten Jahrhundert“, so Witte. Da sei Bremen schon auf dem Weg zur Stadt gewesen.
Heute ist es eine, und vielleicht breitet sie sich mit dem geplanten Industriegebiet am Autobahnrand und der Rennbahn schon bald in die Mahndorfer Marsch aus. Die Bahn selbst, so der Archäologe, werde aber höchstens die oberen Schichten der Funde zerstören. Gefährlicher seien der See in der Mitte der Rennbahn und die Fundamente der zugehörigen Gebäude. Die würden mögliche Spuren unwiederbringlich zerstören – genau dort könnten aber noch jüngere Siedlungen verborgen sein.
Ob Profijockeys im einundzwanzigsten oder berittene Steinzeitflüchtlinge im zweiten Jahrhundert: Von den Pferden kommt die Marsch offenbar nicht los. slk
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