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Eine Spur der Verwüstung

Nach dem Unwetter, bei dem am Mittwoch zwei Jugendliche starben, herrscht Bestürzung auf Schwanenwerder. Anwohner berichten von einem noch nie da gewesenen Sturm. Innensenator Körting besucht Zeltplatz und ordnet Trauerbeflaggung an

von PLUTONIA PLARRE

Das Zeltlager „Jeff“ auf Schwanenwerder ist hermetisch von der Polizei abgeriegelt. Ohne aufdringliche Reporter sollen die Jugendlichen ihre Taschen packen und Abschied nehmen können. Abschied von einem 14-Jährigen aus Köpenick und einem 16-Jährigen aus Frankfurt am Main, die am Mittwochabend auf dem Zeltplatz von Bäumen erschlagen worden waren, als Orkanböen mit einer Windgeschwindigkeit von bis zu 152 Stundenkilometern über den Wannsee hinweggefegt waren.

Bis zum Abend war die Welt für die 150 Jugendlichen noch in Ordnung gewesen. Der Nachwuchs der Feuerwehr aus Berlin-Brandenburg sowie des Deutschen Roten Kreuzes und des Technischen Hilfswerks, der jedes Jahr gemeinsam fünf Tage lang auf Schwanenwerder zeltet, hatte bei einer Bullenhitze von 34 Grad gegrillt und gefeiert – gemeinsam mit 25 Halbwaisen aus den USA, die beim Terroranschlag am 11. September einen Elternteil verloren hatten. Auch Bundesinnenminister Otto Schily und Berlins Feuerwehrchef Alfred Broemme hatten vorbeigeschaut.

Kurz nachdem die amerikanischen Gäste Schwanenwerder verlassen hatten, brach das Unwetter los. Der Wetterdienst hatte zwar vor einem schweren Sturm gewarnt, aber das, was kam, übertraf alle Erwartungen. „Plötzlich stand eine schwarze Wand am Himmel“, erinnert sich der frühere Berliner Polizeipräsident Georg Schertz, der seit 67 Jahren auf Schwanenwerder wohnt. „Die Vögel waren mucksmäuschenstill“ – ein deutliches Zeichen für den passionierten Segler, dass gleich ein gewaltiger Sturm losbrechen würde. Aber was dann kam, hatte Schertz noch nie erlebt.

Die Erde bebte, als immer mehr Bäume krachend auf die Erde aufschlugen, Baumkronen splitterten und Äste durch die Luft peitschten. Der Sturm prallte mit voller Wucht auf die Insel. Orkanböen hinterließen dort, wo sich das Zeltlager befand, eine Schneise der Verwüstung. Ein Rettungswagen der Feuerwehr, der zu Absicherung des Lagers abkommandiert war, wurde wie Papier zerknüllt.

Die Teilnehmer des Lagers hatten sich erst unmittelbar vor dem Unwetter an einen sicheren Ort auf der Insel begeben. Aus bislang nicht geklärten Gründen blieben die beiden später erschlagenen Jungen aber in dem Camp zurück oder waren dorthin zurückgekehrt, obwohl die Betreuer alle zum Verlassen des Zeltlagers gedrängt hatten.

Als der Notruf bei der Feuerwehr um 20.23 Uhr einging, war die einzige Zufahrtsstraße zur Insel unter riesigen Baumstämmen begraben. Die Camper, darunter 14 Verletzte, mussten mit Rettungsbooten evakuiert werden. Die Toten wurden später vor zerstörten Zelten gefunden, die nahe am Wasser standen.

Gestern Morgen, bevor die Camper in Schwanenwerder zum Packen zurückkamen, besuchte Innensensator Ehrhart Körting (SPD) den Platz. „Bei der Betreuung der Jugendlichen wurde alles Menschenmögliche getan“, meinte Körting. Es sei problematisch, nach solchen Naturkatastrophen nach Schuldigen zu suchen. Die Frage, ob das Unglück durch eine noch frühzeitigere Evakuierung der Zeltplatzes hätte verhindert werden können, werde geprüft. „Das Unwetter war ein schreckliches Ereignis, wie es seit Jahrzehnten in Berlin nicht passiert ist“, sagte Körting. Auch Vize-Feuerwehrchef Wilfried Gräfling sieht keine Fehler. „Niemand konnte wissen, dass sich das Unwetter so dramatisch entwickelt.“ Erst kurz vor dem Camp waren vom Bezirksamt noch einmal alle Bäume auf ihre Standfestigkeit hin überprüft worden. Der Innensenator ordnete für Freitag Trauerbeflaggung an allen öffentlichen Gebäuden an.

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