: Sparen ist doch nicht so sexy
Viele EU-Länder klagen über die Auflagen aus Brüssel, die Neuverschuldung zu begrenzen. Jetzt soll Währungskommissar Solbes offenbar darüber nachdenken, den Euroländern in schlechten konjunkturellen Zeiten mehr Spielraum zu genehmigen
von KATHARINA KOUFEN
Die EU-Kommission denkt offenbar darüber nach, den Ländern der Eurozone mehr Spielraum bei der Interpretation des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts einzuräumen. Das berichtet die Londoner Financial Times. Dem zufolge will EU-Währungskommissar Pedro Solbes die wirtschaftliche Entwicklung stärker bei der Berechnung des Defizits berücksichtigen. Die Finanzminister könnten dann konjunkturbedingte Ausgaben, etwa wegen gestiegener Arbeitslosigkeit, von der Neuverschuldung abziehen.
Darüber hinaus will Solbes bei der Kontrolle der Haushaltsdefizite mehr Augenmerk auf die langfristige Haushaltsentwicklung richten und Ausgaben für Investitionen in zukunftsorientierte Technologien, Bildung und Ausbildung begünstigen.
Dies gelte allerdings nur für Länder, „die bereits nach den Regeln des Pakts spielen“, zitiert die Zeitung den Währungskommissar. Deutschland, Frankreich, Portugal und Italien gehörten derzeit nicht dazu. Ihre Haushaltsdefizite sind zu groß. Eine solche Regel mit Ausnahmen kann sich Karl-Gustav Horn, Euroexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) allerdings nicht vorstellen: „Wenn es neue Spielräume gibt, müssen die für alle gelten“, sagte Horn der taz.
Der Stabilitätspakt, der 1998 auf dem EU-Gipfel in Amsterdam verabschiedet wurde, soll die Haushaltsdisziplin der zwölf Euroländer erhöhen. Deutschland hat darin zugesagt, dass der Bund ab 2004 keine neuen Schulden aufnimmt, ab 2006 die gesamte öffentliche Hand.
Mittlerweile sehen sich immer mehr Länder außerstande, die in Amsterdam vereinbarten Ziele zu erreichen. Deutschland entkam um die Jahreswende nur um ein Haar dem so genannten blauen Brief aus Brüssel, der einen härteren Sparkurs anmahnt. Überschreitet ein Land bei der Neuverschuldung gar die im Maastrichter Vertrag festgelegte Obergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, drohen Strafen in dreistelliger Millionenhöhe. Derzeit müssten Frankreich, Italien und Portugal mit einem blauen Brief rechnen, mahnte Solbes diese Woche in Brüssel.
Immer wieder kochen daher Gerüchte hoch, denen zufolge einzelne Regierungen darüber nachdenken, wie sie den lästigen Pakt aushebeln können. Vor einem Jahr soll Finanzminister Hans Eichel auf einer Lettlandreise für einen flexibleren Umgang mit dem Stabilitätspakt plädiert haben – was das Ministerium später dementierte. Das DIW befürwortet den Vorschlag, die Konjunktur bei der Berechnung des Haushaltsdefzit stärker zu berücksichtigen. Horn: „Ein Einbruch der Konjunktur führt schließlich zu einer Verschlechterung der Defizitquote.“
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