: Strafe für den Durchschnitt
Große CDU-Anfrage zur Studiendauer ergibt: In vielen Fächern an allen Hamburger Hochschulen ist Langzeitstudieren die Regel. Bedenken gegen Strafgebühren wachsen selbst bei Schwarz-Schill
von KAIJA KUTTER
Hamburgs Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos) möchte bekanntlich ab Herbst 2003 das Überschreiten der Regelstudienzeit um vier Hochschulsemester unter Strafe stellen. Die Antwort des Senats auf eine Große Anfrage des CDU-Politikers Wolfgang Beuß lässt diese Pläne jedoch erneut fragwürdig erscheinen.
Der hochschulpolitische Sprecher der CDU-Fraktion hatte umfangreiches Zahlenmaterial zum Thema angefordert, aus dem eines ersichtlich wird: In vielen Fächern übertrifft bereits die durchschnittliche Studiendauer die Regelzeit um mehr als vier Semester. Langes Studieren ist demnach ein reguläres Massenphänomen, dessen Bestrafung vor diesem Hintergrund ungerecht erscheint.
An der Technischen Universität Harburg beispielsweise schwankte der Anteil derjenigen, die länger als künftig erlaubt studierten, in den letzten fünf Semestern zwischen 30 und 40 Prozent. An der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) lag die durchschnittliche Studiendauer im Wintersemester 2001 in 17 Studiengängen über der Frist, die künftig mit 500 Euro Strafe pro Semester sanktioniert werden soll. So war die Durchschnittsstudiendauer in Maschinenbau um 6,16 Semester zu lang, in Architektur um 6,72 und in Anlagentechnik sogar um 10,0 Semester.
An der Universität Hamburg fallen mehr als 25 Studiengänge durch das Raster, allerdings reichen die publizierten Daten hier nur bis Sommer 2000 zurück. Informatik beispielweise hat die Regelstudiendauer um 6,0 Semester überschritten, Geologie um 6,8 und selbst Mathematik und Volkswirtschaft halten die Viersemesterfrist nicht ein.
Von der Musikhochschule gibt es keine Daten, die Kunsthochschule überzog in Architektur, Design und Lehramt. Einzig die kleine HWP blieb mit unter zwei Semestern Überschreitung in Drägers Limit. CDU-Politiker Beuß will die Schlüsse, die er daraus zieht, in den nächsten Tagen vorstellen.
Nach taz-Informationen gibt es auch im Regierungslager Bedenken an dem Zeitplan, den Dräger vorlegt. Denn der Koalitionsvertrag von FDP, CDU und Schill sah die Strafgebühren für Langzeitstudierende zwar vor, versprach jedoch zuvor Maßnahmen, die dafür sorgen, dass das Einhalten der Regelstudienzeit auch möglich ist.
So wollte Beuß denn auch wissen, welche Maßnahmen der Senat zu ergreifen gedenkt, um „angemessene Studienbedingungen“ und die „Möglichkeit der Einhaltung der Regelstudienzeit“ zu gewährleisten. Anwort aus Drägers Behörde: Ein „Überschreiten der Regelstudienzeit“ lasse sich aus „hochschulinternen“ Gründen wie „Überfüllung der Prüfungskataloge“ und „Mängel in der Ausstattung“ zwar nicht immer vermeiden. Dies rechtfertige aber keine Überschreitung der Studienzeit „um mehr als 4 Semester“.
Gar nicht ernst genommen wird in der Senatsantwort die große Zahl der Studierenden (79 Prozent), die für den Lebensunterhalt arbeiten muss. Es gebe, so heißt es dort, „das Bedürfnis vieler Studierender, Geld zu verdienen und praktische Arbeitserfahrung außerhalb der Universität zu sammeln“. Deshalb solle die Langzeitgebühr verdeutlichen, dass gefälligst das Studium der „Lebensmittelpunkt“ zu sein habe.
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