Schwerelos mit Charles Wilp

Ökonomien des Dazwischen (2): Charles Wilp versteht die Werbung, die er für Afri Cola, Stiebel Eltron, Pirelli oder Volkswagen konzipiert, als Vermittlung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse

von NILS RÖLLER

Besitz spielt für ihn keine besondere Rolle, er will nur noch fliegen. Der dynamisch jung gebliebene Charles Wilp lebt, wenn er nicht in den Trainingscamps der internationalen Raumfahrtorganisationen Programme absolviert, in einem kleinen Haus am Rande Düsseldorfs. Rechts im Hausflur steht eine Vitrine mit golden und quecksilbrig glänzenden Objekten. Es sind Kunstwerke, die Wilp mit Material aus Raumfahrtmissionen angefertigt hat, darunter auch Stücke, für die der Computermilliardär Bill Gates Interesse signalisiert hat. Wilp wird in naher Zukunft das erste Kunstwerk, das im Weltall gewesen ist, versteigern. Das wird Gates sich vermutlich nicht entgehen lassen, und Wilp wird einen Teil des erwarteten Gewinns an eine befreundete Familie in Afrika senden, die er seit Jahren direkt unterstützt.

Er will hoch hinaus, und er ist sicher, dass wir noch alle dort hingelangen, in die Schwerelosigkeit. „Ihr werdet noch fliegen, achtet nur auf eure medizinischen Mittelwerte, dann wird es klappen“, sagt er uns nach wenigen Minuten. Das Gespräch, das wir mit ihm führen, tanzt leichtfüßig um große Namen. Zum Beispiel um Karajan, dem Wilp, als er Student an der TH Aachen war, die Noten getragen hat, den er aber wegen seiner metallenen Stimme nicht mochte. Dann um Wernher von Braun, den er im amerikanischen Raumfahrtzentrum Huntsville (Alabama) getroffen hat. Von der Raumfahrt hat Wilp schon als Junge gehört. Seine Mutter war ein „Groupie“ unter den Raketenbauern in Peenemünde. Nach dem Krieg hat er in Huntsville etwas gesehen, das ihn später als Gestalter und Werber im Deutschen Fernsehen bekannt machen sollte.

Unter einer großen Plastikplane standen metallene Kleiderspinde amerikanischer Soldaten. Im leichten Wind knarrten die Schranktüren, die mit Pin-up-Girls beklebt waren. Deren Formen konnte man durch das Kondenswasser auf der durchsichtigen Plastikfolie nur verschwommen ausmachen und das Wechselspiel zwischen Freizügigkeit und Verhüllung ließ, wie er sagt, „die Kniekehlen des jungen Wilp vibrieren“. Jahre später, als er bereits über einen jährlichen Werbeetat in zweistelliger Millionenhöhe verfügte, stellte er das nach. Ein befreundeter Wissenschaftler aus der TH Aachen erklärte ihm, wie man Glas mit einem Heliumgemisch vereist, und Wilp positionierte dann hinter den vereisten Scheiben die ersten nackten Männer und Frauen, die im prüden deutschen Fernsehen eine Produkt-Ikone bewerben: Afri Cola – das Erkennungszeichen der „Sexy Mini Super Flower Pop Op“-Generation.

Charles Wilp versteht die Werbung, die er für die Marken Afri Cola, Bluna, Stiebel Eltron, Puschkin (Wodka für harte Männer), Pirelli und Volkswagen konzipierte, als Vermittlung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. In seine Spots lässt er nach eigener Aussage „Theorien über die Flimmerfrequenz der orgastischen Manschette des Menschen, Kniekehlenzucken und Enthemmung durch niederfrequente elektrische Ströme einfließen“. Zu deren Kenntnis gelangte er, der für die Fächer Kunstwissenschaft und Wirkungspsychologie eingeschrieben war, weil ihn die Gespräche mit Naturwissenschaftlern an der TH Aachen mehr reizten als die Vorträge in den Hörsälen.

Später als Wilp bereits in einem Atelier arbeitete, kommen befreundete Forscher in den Mittagspausen zu ihm, um die Fotomodels zu sehen. Einer von ihnen bittet Wilp um Rat beim Test einer Enthemmungsmaschine. Sie erzeugt niederfrequente elektrische Schwingungen und ihre Wirkung soll öffentlich gezeigt werden. Daraufhin versucht Wilp, eine besonders steif wirkende Figur der deutschen Öffentlichkeit für das Experiment zu gewinnen. Die Wahl trifft auf den norddeutschen konservativen Politiker Stoltenberg, damals Atomminister unter Adenauer. Der Weg zum Atomminster führt über den Kanzler, den Wilp, auf der Toilette des Palais Schaumburg anspricht. Wenige Minuten später darf Wilp zwar noch nicht den Atomminister kennen lernen, aber was viel besser ist, er erhält die Erlaubnis den Kanzler und seinen Besuch, den Schah von Persien, zu porträtieren.

Wilp zeigt sich weiterhin interessiert, bewundert Adenauers Rosenzucht und findet durch den Rosengarten den Weg zum Atomminister. Der wird Wochen später porträtiert, nachdem sein Empfangszimmer mit der Enthemmungsmaschine in lockernde Schwingungen versetzt worden war. Wilp springt im Interview fort von der Anekdote mit Adenauers Atomminister, taucht in die Weinkeller des Eiffelturms und folgt schließlich den Karatekünsten von Yves Klein an die Hänge des Fudschijamas.

Er sagt, dass er viel zugehört hat, wie die anderen das machen, und war sich dann nie zu schade, ihnen dabei zu helfen, besonders Joseph Beuys hat er mit Geld versorgt. Der Werbeetat von Afri Cola hat ihm auch gestattet, das Gehörte in der Werbung zu verwenden. Man greift man zu kurz, wenn man ihn nur als Werber sieht, und man greift zu weit, wenn man die Suche nach der Schwerelosigkeit des Weltraums als ästhetisches Lebenskunstwerk ansieht. Doch gerade zwischen der Lust, die Massen vor den Fernsehern niederfrequent zu tunen und damit Geld zu verdienen, und dem ästhetischen Lebensziel beginnt Wilp zu schillern.

Wie man sich Zugang zu den closed circuits verschafft, führt Wilp am Beispiel der Raumfahrt aus. Seit Jahren sammelt er in einem Lager Kameras, die von den internationalen Weltraumbehörden nach der Rückkehr aus dem All ausgemustert werden. Mit der Sammlung hat sich Wilp eine Expertise über das Funktionieren von Kameras in der Schwerelosigkeit erworben, um deren willen die heutigen Astronauten Wilp schätzen und kontaktieren. Dafür erfüllen sie ihm so manchen Wunsch, und auch dank dieser Expertise ist es Wilp gelungen, Kunst auf die „Mir“ und wieder zurück zur Erde zu transportieren.

Mit altem ausgemusterten Gerät, und zwar Computern, hat auch der kanadische Gestalter Bruce Mau Akzente in der Typographie gesetzt. In der nächsten Folge der Ökonomien des Dazwischen wird Bruce Maus Büro für Gestaltung in Toronto vorgestellt, das sich Marktvorteile durch philosophische Recherche sichert und dabei souverän Film und Buch annähert.

Charles Wilp informiert über seine Aktivitäten unter www.wilp.de. Eine CD „Michelangelo in Space – The Bunny Remixes“ zu Ehren von Charles Wilp erschien 2001 bei Ata tak