: Frontschweine und Krisentouristen
Eine Verabredung von Kunst und Kritik mit dem Krieg: Das Themenwochenende „Blind Dates – Berichte von der Nachrichtenfront“ in Dortmund
Je abstrakter der Krieg in der Alltagswahrnehmung der westlichen Zivilisation wird, desto deutlicher scheint er in der Kunst auf. Das medientechnisch aufgerüstete, inflationäre Wissen vom Krieg wird in der ästhetischen Praxis von der Kunst genutzt und kritisch überprüft wird. Das Film- und Vortragsprogramm „Blind Dates – Berichte von der Nachrichtenfront“ im Dortmunder hartware Medienkunstverein untersuchte am Wochenende das Spannungsverhältnis aus Krieg und Gewalt, deren mediale Verwertung und die Reflexion durch die Kunst. Dabei lenkten die Kuratoren Iris Dressler und Tabea Sieben den Blick vor allem auf den immer noch schwelenden Krisenherd in Exjugoslawien. Während in der Ausstellung „No one ever dies here, no one has a head“ der Zusammenhang von Krieg, Gewalt und Angst teils recht vage befragt wird, überzeugten die Schwerpunkte von „Blind Dates“: Dokumentation und Medienkunst.
Die jüngere Vergangenheit zeigt Kriege verstärkt in Abhängigkeit von den Medien: vom Vietnamkrieg, der durch die Bilder verloren ging, weil die unzensierten Fotoberichte der Magnum-Fotografen zum Umkippen der Pro-Kriegs-Stimmung in der amerikanischen Bevölkerung führten, über die Fernsehbilder der grünen Leuchtfeuer in den Nächten des Golfkriegs bis zu den Ereignissen des 11. September, in denen der Terrorismus die Fiktion klarer Fronten und eines gerechten Kriegs endgültig zur Nostalgie verkommen ließ, wurden die Wegmarken gesteckt, entlang derer sich der künstlerische Umgang mit dem Krieg einrichten muss.
Christoph Draegers Arbeiten befassen sich seit langem mit dem Katastrophischen. Er entreißt Katastrophenschauplätze und -ereignisse den Kontexten und zeigt, dass sie als komplexe Konstrukte nur innerhalb eines engmaschigen Netzes aus situativer Interpretation und gesellschaftlicher Repräsentation funktionieren. Draegers Video „The Last News“, das in Dortmund den furiosen Auftakt bildete, treibt in Anlehnung an vorhandene Nachrichtenformate alle nur denkbaren Katastrophen auf den Punkt der Implosion voran. Auch der Moderator verlischt nach dem Ende der Welt im Final Countdown als Bildpunkt.
Heather Burnett sprach über ihre Arbeit „Witness: AnAesthetic“, die sicher stärkste Position der begleitenden Ausstellung, in der sie Spielszenen aus Hollywoodfilmen mit realen Szenen so zusammengeschnitten hat, dass die klare Unterscheidung von Realität und Fiktion unmöglich wird.
Bei allem Interesse am Dokumentarischen hat man auf eines der gegenwärtig meistbeachteten Produkte des Genres bewusst verzichtet, wie Iris Dressler berichtet. Christian Freis Film „War Photographer“, der gegenwärtig Kinopublikum und Feuilletons bewegt, reagiert auf das Bedürfnis nach Authentizität, in dem er mit Hilfe technischer Gadgets wie einer portablen Minikamera dem Fotografen James Nachtwey buchstäblich über die Schulter schaut. In dem er außerdem die stets vorausgesetzte aufklärerische Absicht des Berichterstatters stilisiert, führt er das Kriegserlebnis scheinbar wieder in den Bereich des unmittelbaren, wenn nicht kathartischen Erlebens zurück.
Die Hintergründe dieses medialen Pathos entlarvt Thomas Kutschkers Dokumentation „Ich wollte einfach dieses Foto haben“, in dem sie den Prozess der Bildgewinnung retrospektiv befragt. Der Berliner Fotograf Olaf Wyludda wurde beim Versuch, eine flüchtende alte Frau mit ihrem Enkel in Kroatien zu fotografieren, schwer verletzt. Zurück in Deutschland, erzählt er dem Filmer die Geschichte dieses Fotos: „Ein besseres Foto vom Krieg hätte es noch nie gegeben … wie sie zerfetzt werden … das wäre der Pulitzer gewesen …“
Weit entfernt von solchen Überlegungen befindet sich das Londoner „Imperial War Museum“, das skurrilerweise noch immer einen Kriegsmaler beauftragt und jedes Jahr einen britischen Künstler in eine Krisenregion schickt. Andreas Gedins befasste sich in seinem Vortrag also mit dem Maler Peter Howson, dessen drastische Kunst auf eine längst unmöglich gewordene Läuterung von Maler und Publikum abzielt.
Fragen nach der historischem Erbe vergangener Kriege, gegenwärtiger Politik und Medienrealität wurden am nachhaltigsten in der komplexen, epischen Montage aus Dokumentation und Found-Footage-Material gestellt, die Marcel Ophuls lieferte, der 1927 geborene Sohn von Max Ophüls. Seine Sarajevo-Dokumentation „The Troubles we’ve seen“ spielte an beiden Abenden. Der Film beleuchtete den Zusammenhang von Krieg und seiner nachrichtlich-kommerziellen Verwertung. Der Ruch von Abenteuer, dem Ophuls 1993 in Exjugoslawien auf der Spur war, paart sich mit Machismo und modernem Heldentum: Die Kriegsberichterstatter haben das Erbe des Fotografen Robert Capa angetreten, dessen Credo lautete: „Wenn dein Foto nicht gut ist, warst du nicht nah genug dran.“
MAGDALENA KRÖNER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen