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Kollektiver Kopfsprung

Dietrich-Eckart Albert hat keine Angst vor Dreck. Er hat schon im Sambesi mit Krokodilen gebadet

aus Dresden MICHAEL BARTSCH

Nein, das sei gar nicht so schlimm gewesen, als der Fotoapparat in die Elbe fiel. Nach dem Auffischen sei sogar der Film darin entwickelt gewesen. Ein Witz, der zu DDR-Zeiten in den verschiedensten Varianten kursierte. Roberto Epple, Projektleiter „Lebendige Elbe“ und Hauptorganisator des gestrigen Elbebadetages hat Recht, obschon er diese Ära nicht hier erlebte: „Man lebte abgewandt vom Fluss, und an seinen Ufern hörte man kein Kinderlachen.“

Was Wunder ob der gequirlten Jauche, wie sie beispielsweise oberhalb Dresdens aus dem Zellstoffwerk in Pirna in die Elbe strömte. Nur einzelne Spinner ernteten Kopfschütteln, wenn sie unbeirrt das braune Chemikaliengemisch durchquerten. Ungläubig bestaunte man auf Fotos aus dem vorletzten Jahrhundert die längst verschwundenen Flussbadeanstalten.

Etwas von der Scheu vor dem einst toten Transportgewässer ist beim Einstieg in den immer noch bräunlichen Strom geblieben, ungeachtet der 239 neuen Kläranlagen und der Rückkehr von 95 Fischarten. „Naturtrüb“ nennt ihn der Dresdner Ortsamtsleiter Dietrich Ewers, der hier seit vier Jahren wieder ein Elbeschwimmen organisiert. Roberto Epple hechtet zwar demonstrativ in den Fluss. Aber der Autor dieser Zeilen ist nicht der einzige, der den Kopf krampfhaft über Wasser und den Mund möglichst geschlossen hält. Treibgut ruft eine amüsant-nachdenkliche Videoinstallation der laufenden Kasseler „documenta“ in Erinnerung, die simultan Zivilisationsmüll in einem Fluss beobachtet. Und hatten nicht die Wassergütestelle Elbe in Hamburg und das Dresdner Gesundheitsamt übereinstimmend vor den Risiken des Elbebadens gewarnt? Beim derzeit niedrigen Wasserstand und dem lauwarmen Wasser von vielleicht 22 Grad wurde vereinzelt der EU-Grenzwert von 10.000 Kolibakterien pro Deziliter überschritten.

Bei den Enthusiasten riefen diese fäkalkoliformen Darmtierchen überwiegend Spott hervor. Er habe mehr Schwimmer als Kolibakterien gesehen, witzelte Epple, nachdem er die 3,2 Kilometer stromabwärts vom „Blauen Wunder“ absolvierte. Ungefähr 500 Volkssportler hatten ebenfalls keine Skrupel, von denen die ersten bei etwa 4 km/h Strömung schon nach einer knappen halben Stunde anlangten. Der Imitator des berühmten sächsischen Hofnarren Fröhlich entstieg dem „Canale grande“ im kompletten historischen Kostüm und schnippte demonstrativ ein Bakterium von der Handfläche, bevor er sich zu Freibier und Freiwurst für die Schwimmer begab. Dietrich-Eckart Albert, 1937 in Dresden geboren, reiste extra aus dem fränkischen Schwabach zum Elbebaden an. Aus seiner Kindheit berichtet auch er schon von dunklen Flusen, merkwürdigen „Kuhfladen“, unter denen man hinwegtauchte, und einem „ganz eigenen Geruch“. Er hat schon im Sambesi mit Krokodilen gebadet. Ihn schrecken die Warnungen vor dem Dreck nicht.

Die Veranstalter des gemeinsam von der Deutschen Umwelthilfe und dem Verlagshaus Gruner + Jahr getragenen Projektes hatten nichts beschönigt. Die Elbe sei noch kein offizielles Badegewässer, erklärte der für den Abschnitt zwischen Dresden und der tschechischen Oberelbe zuständige Alfred Olfert. Das Baden erfolge auf eigene Gefahr, worauf Informationstafeln an den Einstiegsstellen nochmals hinwiesen. Wichtiger als die offenen Probleme aber sei die Tatsache, dass man sich den Badegewässernormen inzwischen bis auf wenige Prozente genähert habe. Das Bad in der Elbe ist nur eine Form der Wiederannäherung an ein Naturgut und dessen breite Inbesitznahme, um die es mit Aktionen wie dem Badetag eigentlich geht. „Was man liebt, schützt man auch“, sagt der aus der Schweiz stammende und teils in Frankreich lebende Roberto Epple.

„Man lebte abgewandt vom Fluss, und an seinen Ufern hörte man kein Kinderlachen“

In Dresden dürfte das wie an den anderen 56 Badestellen auch hervorragend gelungen sein. Tausende kamen zu einer Art Happening auf die Elbwiesen. Neben dem üblichen Trödel gab es auch Didaktisches zu sehen: Umweltgruppen hatten Stände aufgebaut, hunderte Aufsteller zeigten alte Fotos und Postkarten und Flusslandschaften großer und kleinerer Künstler. Eine hölzerne Nackte steht plötzlich in der Landschaft. Nur die „Wassermusik“ des begleitenden MDR zeigt, dass es kaum Elblieder gibt und man hilfsweise auf den Wannsee und die einzupackende Badehose ausweichen muss.

Diese teils mehrere hundert Meter breiten Dresdner Elbwiesen aber weisen auch darauf hin, dass die Gefährdung der Elbe keinesfalls überstanden ist. In der Nachwende-Euphorie der blühenden Betonlandschaften konnte die Bebauung dieses deutschlandweit einmaligen Naturschatzes mit Mühe von Bürgern verhindert werden. Heute sind sie der beliebteste Jugendtreff der Stadt, auch wenn nächtliches Trommeln und Feuer reglementiert wurden. An neue Regeln musste sich auch der Benutzer dieser Bundeswasserstraße gewöhnen. Harmloses traditionelles Flößen am Himmelfahrtstag beispielsweise zieht inzwischen ein Ermittlungsverfahren nach sich. Aber natürlich nicht, wenn es sich wie gestern um ein offizielles, 70 m langes Riesenfloß aus dem tschechischen Litomerice handelt, das gemächlich einen symbolischen Kubikmeter Elbquellwasser aus dem Riesengebirge zu den Badeorten transportierte.

Der Ausbau als Bundeswasserstraße sorgt seit Jahren für neuen Streit, nachdem der Zusammenbruch der DDR-Industrie und verbesserte Abwasserklärung die Verschmutzung deutlich verringerten. Mit Ausnahme einer relativ harmlosen Stufe im norddeutschen Geesthacht ist die Elbe auf deutschem Territorium der letzte Strom ohne Staustufen. Selbstreinigungskräfte können noch wirken. Nicht nur in Dresden oder im sächsischen Elbsandsteingebirge, beispielsweise auch im Naturpark Elbufer-Drawehn sind herrliche Flusslandschaften erhalten. Zwischen Dömitz und Lauenburg hat makabrerweise das DDR-Grenzregime „konservierend“ gewirkt. Im sachsen-anhaltischen Wahlkampf vom Frühjahr spielte das Thema Elbausbau folglich eine wichtige Rolle. Die Bündnisgrünen und der BUND konnten sich bei ihrer Ablehnung eines weiteren Ausbaus auf eine Studie des Umweltbundesamtes stützen. Danach ist eine Vertiefung der Fahrrinne allein schon wegen des seit 1970 um 35 Prozent gesunkenen Frachtaufkommens der Binnenschiffahrt nicht sinnvoll. Eine Klimastudie der Freien Universität Berlin zeigt beispielsweise für Sachsen neben der Erwärmung auch abnehmende Niederschläge und damit einen Rückgang der Wasserstände. Schiffahrt nicht behindern, aber umweltverträglich betreiben, lautet der Tenor eines Beschlusses der bündnisgrünen Bundestagsfraktion vom März dieses Jahres. Sachsens Umweltminster Steffen Flath (CDU) sprach sich im Januar 2002 bei einem Besuch in Prag klar gegen die geplanten Staustufen an der tschechischen Oberelbe aus. Mit den Lastkähnen haben sich die erwarteten 20.000 Schwimmer an der gesamten Elbe gestern jedenfalls gut vertragen. Initiator Epple bekam vorab schon freudige Signale von der Loire, dem Rhein und der Wolga. Im Rahmen des „European Rivers Network“ schwebt ihm nun ein europäischer Flussbadetag vor.

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