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Zwischen Goethe und Chomeini

Annemarie Schimmel, Deutschlands bekannteste und umstrittenste Orientalistin, wird morgen 80 Jahre alt

Die Liebe zu Sprache und Literatur des Orients habe sie in den aus dem Persischen und Arabischen übertragenen Gedichten Friedrich Rückerts entdeckt, heißt es. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die 1922 in Erfurt geborene Annemarie Schimmel nie Gefallen daran fand, sich mit den aktuellen politischen Fragen des Orients auseinander zu setzen. Die Literatur aber, die islamische Mystik, die Volksfrömmigkeit und die Poesie der Menschen zwischen Ankara und Lahore ließen sie nie wieder los.

Im Alter von 15 Jahren begann sie Arabisch zu lernen, ein Jahr später machte sie Abitur und nahm in Berlin das Studium der Orientalistik auf. Mit 21 Jahren promovierte sie, mit 24 Jahren habilitierte sich Annemarie Schimmel – nur Monate nachdem sie bei Kriegsende zunächst von amerikanischen Soldaten in Marburg interniert worden war.

Ein Wunderkind, und dazu noch ungeheuer fleißig: Sechs orientalische Sprachen lernt Annemarie Schimmel, aus denen sie auch übersetzt. Sie schreibt rund 100 Bücher, darunter Standardwerke wie „Mystische Dimensionen des Islam“. Einen Lehrstuhl aber erhält sie im Deutschland der 50er-Jahre zunächst nicht. „Schimmelin, wenn Se ’n Mann wären, dann kriegten Se ’nen Lehrstuhl“, soll ein Ordinarius ihr gesagt haben.

Die Türkei ist da fortschrittlicher: 1954 geht Annemarie Schimmel nach Ankara, um dort Religionsgeschichte und Türkisch zu unterrichten. 15 Jahre später erhält sie einen Lehrstuhl in Harvard. Bis zu ihrer Pensionierung bleibt sie dort und lehrt „Indo-Muslim Culture“.

Mit sicheren Schritten festigt sie ihren Ruf als weltweit anerkannte Expertin für das islamische Sufitum. Darüber hinaus übersetzt sie weiter Gedichte, viel gepriesen für ihr Feingefühl.

Insgesamt sieben Ehrendoktorhüte, etliche Preise und das große Bundesverdienstkreuz hat man ihr verliehen. In Bonn wurde anlässlich ihres 75. Geburtstags ein nach ihr benannter Lehrstuhl eingerichtet, im pakistanischen Lahore ein Boulevard nach ihr getauft.

Doch unumstritten war sie nie: Zu seicht seien ihre von Tausendundeiner-Nacht-Folklore geprägten Einsichten, kritisierten die einen. Zu unkritisch sei sie geworden, klagten andere.

1995 schlagen die Wellen besonders hoch: Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels will ihr seinen Friedenspreis verleihen. Es gibt Proteste und Debatten in den Feuilletons, denn Annemarie Schimmel soll die Fatwa des iranischen Revolutionsführers Chomeini gegen Salman Rushdie unterstützt haben.

„Eine Kampagne“, sagt Schimmel und sieht ihr Lebenswerk bedroht. Sie habe lediglich darauf hingewiesen, dass Rushdie die Muslime in den „Satanischen Versen“ auf „sehr üble Art“ beleidigt habe. Ihr Anliegen, betont sie, sei immer das Werben um Verständnis für den Orient gewesen: „Man kann den Orient nur mit einem liebenden Herzen verstehen“, schrieb sie im vergangenen Jahr in einem Essay.

Rückert und Goethe heißen Schimmels Vorbilder in der Auseinandersetzung mit dem Orient. Das spiegelt sich auch im Titel ihrer Autobiografie, die im Herbst erscheinen soll: „Morgenland und Abendland. Mein westöstliches Leben“. Annemarie Schimmel, die große alte Dame der deutschen Orientalistik, die wie aus vergangenen Zeiten in die Gegenwart ragt, wird am Sonntag 80 Jahre alt.

YASSIN MUSHARBASH

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